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Was Sie schon immer über die Linkspartei wissen wollten

Die Bewegung ist nicht radikaler als die Partei, und Spaltung ist auch keine Lösung

Von Raul Zelik

Der Typ im schwarzen Pulli ist gar kein Parteimitglied. Aber das ist wirklich nicht das größte Problem, dass Die Linke hat. Foto: DIE LINKE/Flickr, CC BY 2.0

Dass Die Linke in der Krise ist, weiß wirklich jede*r. Aber wer blockiert hier eigentlich wen? Was haben Abgeordnete der Linkspartei mit Kleinunternehmen zu tun? Und braucht die Bewegungslinke diese Partei überhaupt noch? Raul Zelik, der 2022 nach sechs Jahren Ehrenamt nicht mehr zur Wahl des Parteivorstands antrat, stellt Fragen – und gibt Antworten.

Wer hat in der Partei eigentlich inhaltlich das Sagen?

Die Parteiströmungen an sich sind nicht groß, aber es gibt durchaus so etwas wie politische Lager – deren Grenzen allerdings unscharf verlaufen. Ich würde vier sehen: 1) Die Reformer*innen v.a. aus Berlin und Thüringen, die Regierungsbeteiligungen für das zentrale Instrument der Politik halten. 2) Die »Sozialkonservativen« um Sahra Wagenknecht, die sozialdemokratische Positionen, einen auf die USA beschränkten Antiimperialismus und eine rechtsoffene Rhetorik miteinander verbinden. 3) Das Lager um Bartsch, das in zentralen Fragen politisch wenig definiert ist, aber sehr erfolgreich eine persönliche »Machtoption« verteidigt. 4) Bewegungs- und antikapitalistische Linke, die die Partei als ein Instrument gesellschaftlicher Kämpfe verstehen.

Das Außenbild der Partei wird durch das Bündnis aus Wagenknecht- und Bartsch-Lager beherrscht. Inhaltlich hat dieses Bündnis keine Grundlage, aber es ist tragfähig, weil man sich die Ressourcen in der Fraktion aufgeteilt hat. Deshalb sprechen viele auch von einer »Beutegemeinschaft«. Die ehemaligen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger standen hingegen für den Versuch, Reformer*innen und Bewegungslinke auf einer programmatischen Grundlage zusammenzuführen. Die zentrale Überlegung war, dass man eine Zweigleisigkeit von parlamentarischer Politik und gesellschaftlichen Kämpfen organisieren kann und muss. Außerdem sollte man vielleicht noch wissen, dass die Partei inhaltlich meist weit links von Fraktionen und Mitgliedern der Landesregierungen steht.

Was die Größe des Wagenknecht-Lagers angeht: Bei den Parteitagsabstimmungen hatte sie nie mehr als 15 bis 20 Prozent der Delegierten hinter sich.

Warum schmeißt die Linkspartei Wagenknecht nicht raus, wenn sie ihre Positionen so falsch findet?

Aufgrund der stalinistischen Geschichte der SED und des deutschen Parteienrechts sind die Hürden für einen Parteiausschluss sehr hoch. Dazu kommt, dass die Partei gegenüber Abgeordneten keinerlei Weisungsbefugnis besitzt. Die Parteiführung kann erklären, dass sie mit X oder Y nicht einverstanden ist – aber damit hat es sich denn auch schon. Das ist in der bürgerlichen Demokratie übrigens genau so gewollt: Abgeordnete sollen, auch wenn sie ihr Mandat der Parteibasis verdanken, nicht basisdemokratisch kontrolliert werden können.

Es gäbe allerdings durchaus Möglichkeiten, ein Verhalten wie das von Wagenknecht zu unterbinden: Die Fraktionsspitze könnte Abgeordnete, die Kollektivbeschlüsse gezielt unterlaufen, aus der Fraktion ausschließen. Dass das nicht geschehen ist, hatte mit persönlichen Machtinteressen zu tun. Man muss es deutlich aussprechen: Verantwortlich für das Irrlichtern von Wagenknecht sind Leute wie der parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte, die sich nach außen hin abgrenzen, diesen Wahnsinn nach innen aber organisiert haben.

Kann die Gesamtpartei nicht stärker darauf Einfluss nehmen, was in der Fraktion oder in Regierungsbeteiligungen geschieht?

Die Fraktion ist das eigentliche Machtzentrum. Das sieht man auch an den finanziellen und persönlichen Ressourcen. An den Abgeordneten und der Fraktion hängen mehrere Hundert Mitarbeiter*innen, am Parteiapparat nur ein paar Dutzend.

Aber die Parteibasis könnte natürlich dafür sorgen, dass andere Leute auf die Landeslisten kommen und sich damit auch die Zusammensetzung der Fraktion verändert. Das ist eine große Herausforderung, weil die Mitarbeiter*innen der Abgeordneten einen wichtigen Teil des Mittelbaus der Partei ausmachen und bei der Zusammenstellung der Landesdelegiertenkonferenzen eine wesentliche Rolle spielen. Die Abgeordnetenbüros, die wie patriarchal geführte Kleinunternehmen funktionieren, bilden Machtnetzwerke. Will man andere Leute ins Parlament bringen – entscheidend sind ja immer nur die ersten drei, maximal zehn Listenplätze pro Bundesland –, muss man große Widerstände überwinden. Aber es ist natürlich möglich: Im Fall von Sahra Wagenknecht beispielsweise fehlten 2021 in Nordrhein-Westfalen nur etwa zehn Delegiertenstimmen, um eine andere Person auf Sahras Listenplatz zu setzen. Daran sieht man, dass die pauschale Parteienkritik oft gar nicht besonders hilfreich ist. Wenn die außerparlamentarische Linke besser verstünde, wie Abgeordnete nominiert werden, könnte sie – mit überschaubarem Einsatz – gezielter Einfluss nehmen.

Die meisten Menschen bewundern Prominente. Gewählt wird, wer oft in den Medien ist.

Es gibt aber auch noch ein anderes Problem: Die meisten Menschen bewundern Prominente. Gewählt wird, wer oft in den Medien ist. Und deshalb wollen viele Mitglieder und Wähler*innen auch gar keine regelmäßige Erneuerung der Fraktion. Das Verhältnis ist wirklich sehr ambivalent: Einerseits ist die Basis mit bestimmten Positionen überhaupt nicht einverstanden, andererseits halten viele an den prominenten Repräsentant*innen dieser Standpunkte fest.

Ist es nicht falsch, so viel über Wagenknecht und so wenig über Strukturen zu sprechen? Auch andere führende Vertreter*innen von Die Linke, z.B. Bodo Ramelow, vertreten regelmäßig Positionen, die vom Parteiprogramm nicht gedeckt sind.

Man muss vielleicht zunächst noch einmal das Problem beschreiben: Selbstverständlich haben alle Mitglieder das Recht, Positionen falsch zu finden, und können das auch öffentlich kundtun. Sie müssen sich allerdings, wenn sie Funktionsträger*innen sind, darum bemühen, einen Konsens kenntlich zu machen. Viele Politiker*innen mit medialer Reichweite machen das bewusst nicht – um die Positionen der Linkspartei in ihrem Sinne zu verschieben oder um sich persönlich auf Kosten des Kollektivs zu profilieren.

Hier müsste die Partei meiner Ansicht nach stärker Widerstand leisten. Für eine Partei wie Die Linke, die den Kapitalismus nicht nur verwalten will, ist die individuelle Selbstinszenierung eine viel größere Gefahr als für andere Parteien. Um Gegenmacht gegen das Kapital entfalten zu können, braucht die Linke einen organisierten kollektiven Willen. Also eine gewisse Selbstverpflichtung gegenüber gemeinsam getroffenen Vereinbarungen.

Was würde bei einer Spaltung der Linkspartei passieren?

Ich halte die Gefahr einer echten Spaltung für eher gering. Sahra Wagenknecht ist eben nicht Jean-Luc Mélenchon, der in Frankreich Klassenpolitik, Antirassismus, Ökologie und souveränistische Positionen miteinander verbunden hat. Auch Mélenchon ist in vielerlei Hinsicht schillernd, aber seine populistische Zuspitzung orientiert sich nicht am kurzfristigen Zuspruch: Er verteidigt militante Arbeitskämpfe, widerspricht Rassist*innen, greift radikalökologische Forderungen auf. Wagenknecht hingegen hat keine Verbindungen zu realen sozialen Kämpfen. Ihre rechtsoffene Rhetorik funktioniert als diffuse Abgrenzung gegen »die da oben« und »skurrile Minderheiten«, aber würde als programmatisches Angebot nur wenige Linke erreichen. Genau deshalb hat sich ihre Sammlungsbewegung »Aufstehen« innerhalb kürzester Zeit zerlegt.

Wahrscheinlicher ist, dass 15-20 Prozent der Mitglieder, die Wagenknecht gut finden, die Partei verlassen, aber nichts dauerhaft Tragfähiges auf die Beine stellen. Vermutlich würde die Rest-Linkspartei aufgrund dieser Zersplitterung erst mal aus dem Bundestag fliegen. Allerdings könnte eine Partei, die das Konzept der verbindenden, also auch ökologischen Klassenpolitik ernst nimmt, viele andere Menschen dazu gewinnen. Diese Chance hat man meiner Ansicht vor vier Jahren verspielt, als die Trennung von Wagenknecht eigentlich schon vollzogen war.

Man muss allerdings dazu sagen, dass damals auch viele außerparlamentarische Linke Druck gemacht haben, um eine Trennung zu verhindern. Eine Fehleinschätzung, meine ich, denn nichts ist so tödlich wie Unentschlossenheit.

Ist die Gefahr der Anpassung nicht eigentlich noch viel größer als die einer rechtsoffenen Politik?

Ja, tatsächlich ist den meisten die andere große Zerreißprobe nicht wirklich bewusst: Alles spricht dafür, dass die Landesregierung in Berlin die Enteignung der Immobilienkonzerne verhindern wird. Wenn die Linkspartei hier abwiegelt, wie es Klaus Lederer als stellvertretender Bürgermeister tut, macht sie sich überflüssig. Sie stellt unter Beweis, dass linker Reformismus unmöglich ist.

Das Problem hat sich bereits in Spanien und Griechenland gezeigt, wo Podemos und Syriza den eigenen linksreformistischen Ansprüchen ebenfalls nicht genügen konnte. Die Schlussfolgerung hieraus muss lauten, dass die Organisierung gesellschaftlicher Gegenmacht ins Zentrum linker Politik rückt. Emanzipatorische Reformen sind nur dort möglich, wo man Kämpfe organisiert. Eine linke Partei, die das nicht ins Zentrum ihrer Strategie stellt, kann nur scheitern.

Aber wenn außerparlamentarische Bewegungen so wichtig sind, ist es dann nicht falsch, auf eine Wahlpartei zu setzen?

Parlamentarische Politik ist so etwas wie der Resonanzraum, über den sich eine politische Öffentlichkeit herausbildet. Insofern wäre es schon sehr hilfreich, wenn jetzt Brandreden für eine Verbindung von Klima- und Klassenpolitik im Parlament zu hören wären. Zudem sind die Strukturen der Linkspartei und der Rosa-Luxemburg-Stiftung an vielen Orten für praktische Politik überaus wichtig. Es gibt sicherlich Regionen, wo man auch ohne sie aktiv werden kann. Aber vielerorts sind die Finanzen, Räumlichkeiten und die Wissensproduktion von Abgeordneten, Partei und Stiftung wichtig für gesellschaftliche Kämpfe. Ich würde sagen, wir brauchen eine Staatskritik im Sinne von Gramsci und Nicos Poulantzas: Parlamentarismus und Wahlparteien sind Einrichtungen des bürgerlichen Staates, aber auch Felder emanzipatorischer Veränderung. Dieses Feld nicht zu bespielen ist kein Ausdruck von Stärke.

Wäre es nicht einfacher, eine neue linke Partei neu zu gründen?

Neugründungen sind sehr schwer. Außerdem würde sich die neue Partei wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit wieder spalten. Das Spektrum, das sich in der ökologischen Frage einig ist, hat zum Krieg in der Ukraine oder den Corona-Maßnahmen schon wieder sehr unterschiedliche Positionen.

Was ist am überraschendsten in der Partei Die Linke?

Außerparlamentarische Linke halten sich ja oft für radikaler als die Linkspartei. In den Debatten der letzten Jahre sind in der Partei jedoch ganz ähnliche Positionen vertreten worden wie in den sozialen Bewegungen. Die Partei ist ein Abbild der gesellschaftlichen Linken.

Raul Zelik

ist Politikwissenschaftler, Journalist und Schriftsteller.

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