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Ein gefährlicher Sommer

Die Waldbrände in Griechenland haben den Aufstieg der Rechten im Parlament und auf der Straße befeuert

Von Judith Weger

Ein Mann steht im Anzug an einem Rednerpult, führt die Handfächen in der Mitte zusammen
Nur eine Handbreit von den Faschisten auf der Straße entfernt: der rechtskonservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Foto: European Parliament/Flickr, CC BY 2.0 DEED

Der diesjährige griechische Sommer war ein langer, aber kein schöner: Zwischen den Bränden auf der Insel Rhodos, in der Region Attika um Athen und am Fluss Evros sowie den verheerenden Überschwemmungen in Thessalien zeigte sich auch das zunehmende Selbstbewusstsein der extremen Rechten des Landes.

Aber auch ohne das Aufkommen der rechtsextremen Kleinparteien stehen die Zeichen im Land auf Migrationsabwehr. Nicht zuletzt gefördert durch die im Juni wiedergewählte rechtskonservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND). Die griechische Küstenwache spielt weiter die Türsteherin Europas, unter ihren Augen starben im Mai über 650 Geflüchtete bei einem Schiffsunglück. Die griechische Behörde ist für ihre Pushbacks berüchtigt.

Doch nicht nur das Mittelmeer, sondern auch das Festland wurde für flüchtende Menschen zur Lebensgefahr. Die zahlreichen Waldbrände stellten das Land vor große Herausforderungen. Im August und September brannte es in der Evros-Region über 16 Tage. Viele Menschen verloren bei den Bränden ihr Zuhause, wurden evakuiert oder mussten vor der weiteren Ausbreitung der Feuer flüchten. Schon vor zwei Jahren, als es großflächig auf der Halbinsel Euböa brannte, wurde die Regierungspartei ND dafür kritisiert, dass sie die Feuerwehr personell nicht aufstocken, sondern stattdessen in den Ausbau der Polizei investieren würde. Auch dieses Jahr kritisierten Expert*innen die unvorbereitete Regierung, die nur noch mit Evakuierungen anstelle von effektiver Brandprävention und -bekämpfung reagieren konnte. Die Evros-Region liegt im nordöstlichen Grenzgebiet zur Türkei und ist Teil einer stark frequentierten Fluchtroute über den Fluss Evros nach Griechenland.

Über den Messengerdienst Viber bildeten sich rechtsextreme Bürgerwehren, die sich selbst als »Grenzwächter« bezeichnen.

Neben acht griechischen durch die Feuer verstorbenen Bewohner*innen wurden auch 20 verkohlte Menschen in den verbrannten Wäldern aufgefunden. Es handelte sich um Geflüchtete, die sich in einer Hütte nahe den Bränden versteckt hatten. Auch in diesem Fall zeigten sich die tödlichen Konsequenzen griechischer Abschottungspolitik. Erst vor kurzem belegte eine Recherche der New York Times: Die Verstorbenen waren als syrische Asylsuchende kurz zuvor an der griechisch-türkischen Grenze abgewiesen worden. Ein zweites Mal wollten sie das nicht riskieren, sodass ein Versteck im Wald und in Nähe des Feuers sicherer erschien als die Gefahr eines weiteren Pushbacks in die Türkei.

Neue faschistische Gewalt

Die Wut der lokalen Bevölkerung angesichts der anhaltenden Brände in der Evros-Region entlud sich – jedoch nicht gegen die Regierung. Viele Menschen vor Ort fanden, angeheizt durch jahrelange rassistische Stimmungsmache, einen anderen Sündenbock: flüchtende Menschen, die die Region durchqueren. Zahlreiche Medien sowie Politiker*innen unterstützten diese Hetzkampagne und machten Migrant*innen für die Brände verantwortlich. So sagte der Politiker Papis Papadakis von der rechtsextremen Partei Ellinikí Lýsi (EL), auf Deutsch Griechische Lösung: »Wir befinden uns im Krieg.« Auch der Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis (ND) schürte durch vage Aussagen weiter das rassistische Feuer. Über den Messengerdienst Viber bildeten sich rechtsextreme Bürgerwehren, die sich selbst als »Grenzwächter« bezeichnen. Sie riefen auf Social Media dazu auf, Migrant*innen »einzufangen«. Dabei tauchten im August schockierende Videos in den sozialen Medien auf, in denen zwei Männer stolz das Ergebnis ihrer Mission zeigten. Sie hatten 13 Migrant*innen in einem Wohnwagen eingesperrt und riefen andere auf, es ihnen gleichzutun. Das Video sorgte zwar für einen öffentlichen Aufschrei und die Verantwortlichen wurden rechtlich belangt, aber die 13 von der Bürgerwehr willkürlich gefangen genommenen wurden nicht freigelassen, sondern auf der lokalen Polizeiwache wegen versuchter Brandstiftung festgenommen.

Als 2020 die neonazistische Partei Goldene Morgenröte verboten wurde, nahm die Präsenz faschistischer Gruppen auf den Straßen stark ab. Dies änderte sich in den letzten Monaten: Immer mehr faschistische Graffitis, Flyer und Transparente sind in den Städten Griechenlands zu sehen. Auf ihnen wurden zum Beispiel die kroatischen Neonazi-Hooligans, die im August einen Mord an einem Fan des Athener Vereins AEK begangen haben, verteidigt. Die Anhänger*innen des Fußballclubs gelten als links.

Für den 1. November riefen einige faschistische Gruppen europaweit zu einer Demonstration im Athener Vorort Neo Iraklio auf. Alle Demonstrationen, auch die Gegenproteste, wurden vorab angesichts der Gefahrenlage im entsprechenden Stadtgebiet verboten. Trotzdem kam es am Abend des 1. Novembers zu enormer Gewalt der Neonazis. Den Höhepunkt stellte der praktisch ungestörte Angriff einer vermummten Gruppe dar, die, behelmt und mit Schlagstöcken ausgerüstet, eine U-Bahn und die sich darin befindenden Gegendemonstrant*innen attackierte. Ein Video zeigt, wie ein junger Mann Benzin in den Waggon kippt, dabei rufen andere: »Verbrennt sie, Jungs!«. Weitere Fotos zeigen eine junge Frau mit stark blutenden Kopfverletzungen. Die Gruppe hatte mit Stöcken auf sie eingeschlagen, sodass sie wegen der starken Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden musste. Zuvor hatten die faschistischen Gruppen an derselben U-Bahn Station schon Migrant*innen angegriffen.

Das rechteste Parlament seit der Junta

Die zunehmende rassistische und faschistische Gewalt ist auch ein Produkt der Neuformierung der parlamentarischen Rechten. Auch in Griechenland konnte sich die parlamentarische und außerparlamentarische Rechte während der Corona-Pandemie neu aufstellen. Dass die Rechte im Aufwind ist, zeigte die Parlamentswahl im Juni: Neben der bisherigen rechtskonservativen Regierungspartei ND zogen nun drei rechtsextreme bis faschistische Parteien ins Parlament ein. Diese bilden ein breites Spektrum von rechts-religiöser, verschwörungstheoretischer bis hin zur personellen Nachfolge der mittlerweile verbotenen Goldenen Morgenröte. Die EL und ihre Kriegsrhetorik gegen Geflüchtete war schon vor der letzten Wahl im Parlament vertreten. Sie vertritt nationalistische, antifeministische, queerfeindliche und migrationsfeindliche Positionen. Der Vorsitzende der Partei, Kyriakos Velopoulos, rief während der Brände dazu auf, Milizen zu gründen, der Abgeordnete Papadakis ermutige dazu, selbst »Maßnahmen zu ergreifen«, denn »illegale Einwanderer« würden die Löscharbeiten »verhindern«. Eine weitere der drei Parteien ist die Demokratisch Patriotische Bewegung (Dimokratikó Patriotikó Kínima – Níki). Die Partei Níki zählt zur christlichen extremen Rechten, wie es sie auch in anderen europäischen Ländern gibt.

Die Partei der Spartaner, die stärkste unter den drei rechtsextremen seit der letzten Wahl, wiederum pflegt direkte Kontakte und weist personelle Kontinuitäten zu den hinter Gittern sitzenden Anhänger*innen der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte auf, darunter auch Ilias Kasidiaris, der ehemalige Sprecher der verbotenen Partei, der 2020 zu 13 Jahren Haft wegen seiner führenden Rolle innerhalb der Goldenen Morgenröte verurteilt wurde. Kasidiaris rief öffentlich zur Wahl der Spartaner auf, nachdem seine eigene Kandidatur bei den Parlamentswahlen mehrfach vor Gericht gescheitert war. Aus dem Gefängnis heraus startete er über Youtube und Twitter eine Wahlkampagne für die Spartaner. Über das Telefon hielt der ehemalige Sprecher Reden, die von Verbündeten aufgenommen und verbreitet wurden. Der Journalist Dimitris Psarras bezeichnete die Spartaner angesichts des erfolgreichen Wahlergebnis als trojanisches Pferd, welches der Goldenen Morgenröte zur Wiedergeburt verhilft.

Die drei rechtsextremen Parteien konnten insgesamt 12 Prozent der Wähler*innenstimmen für sich gewinnen. Damit bekam die griechische Bevölkerung das rechteste Parlament seit dem Ende der Militärdiktatur im Jahr 1974. Das Verbot von Kasidiaris Kandidatur wurde jedoch nicht lange aufrechterhalten. Im Zuge der im Oktober stattgefundenen Kommunal- und Regionalwahlen wurde er zu den Bürgermeister*inwahl in Athen zugelassen. Dort erhielt der Neofaschist – weiter hinter Gittern – 8,3 Prozent der Stimmen.

Das Parlament bleibt auch so rechts, weil die rechtskonservative ND im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit der Stimmen erlangen konnte. Gebeutelt durch die anhaltenden Krisen wie dem Zugunglück bei Tempi, den Waldbränden sowie den verheerenden Überschwemmungen setzte die ND angesichts der anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen weiter auf eine Law-and-Order-Politik, die auf Grenzschutz und Abschottung abzielt, sich aber auch gegen linke Bewegungen richtet. Ende August wurden innerhalb weniger Tage zwei besetzte Häuser sowie ein besetzter Raum an der Technischen Universität in Athen geräumt. Wenig später folgte auch die Räumung des sozialen Zentrums Evangelismos in Heraklion auf Kreta. All diese Orte haben eine lange Tradition innerhalb der linken und anarchistischen Bewegung und existierten teils über 20 Jahre.  Bei den Räumungen im August zeigte sich die Absurdität der herrschenden Prioritätensetzung besonders: Während die Waldbrände außer Kontrolle gerieten und die Unterfinanzierung der Feuerwehr für alle sichtbar wurde, gab es mehr als genug Polizeikräfte, um mehrere besetzte Häuser gleichzeitig zu räumen.

Die Rechte sitzt allerdings nicht fest im Sattel. Die Lokal- und Regionalwahlen liefen an einigen wichtigen Orten für die ND unerwartet schlecht: In den beiden größten Städten des Landes, Athen und Thessaloniki, wurden die Bürgermeister der Partei nicht wiedergewählt, und auch in der Flutregion Thessalien erhielt die ND keine Mehrheit mehr. Aktivist*innen haben eines der geräumten Häuser und den Raum an der Technischen Universität erneut besetzt.

Judith Weger

ist Soziologin. Als freie Journalistin schreibt sie außerdem zu Griechenland.