analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 687 | Ökologie

»Wir werden nicht freiwillig gehen«

Nordöstlich von Dresden sollen zwei Waldflächen für den Kiesabbau gerodet werden – Aktivist*innen protestieren mit der Besetzung »Heibo« dagegen

Von Jannis Große

Eine vermummte Waldbesetzerin auf einem Baum.
»Es geht uns also nicht darum, die Naturzerstörung hier vor Ort zu verhindern, nur damit sie dann in Polen oder im Globalen Süden stattfindet.« Foto: Jannis Große

Es ist eine Idylle wie aus dem Bilderbuch: Die warme Herbstsonne lässt die bunten Blätter der wenigen Laubbäume in der Laußnitz-Radeburger Heide in satten Farben erstrahlen. Der lichte Waldboden des Kiefernwalds ist von Heidekraut bewachsen. Man hört das Klopfen eines Spechts und den Wind durch die Baumwipfel rauschen. Doch die Idylle ist bedroht. Zwischen den Orten Würschnitz und Ottendorf-Okrilla, nordöstlich von Dresden, sollen in den nächsten Jahren mehrere Waldflächen für zwei neue Kiessandtagebaue gerodet werden. Um das zu verhindern, ist eines der geplanten Rodungsgebiete seit August 2021 besetzt. 

Aktivist*innen haben hier aus Stämmen, Holzbrettern und Planen gut 15 Baumhäuser gebaut. Die meisten hängen fünf bis zehn Meter über dem Boden und sind über selbst gebaute Leitern oder Kletterseile zu erreichen. Kleinere Bauten dienen als Wohn- und Schlafräume, größere Baumhäuser als Materiallager oder Küche. Mit dicken Seilen aus Polypropylen zwischen Kiefern eingebunden, schwingen sie im Wind hin und her. »Heibo« nennt sich die Besetzung – benannt nach der Region Dresdner Heidebogen, in der auch die Laußnitz-Radeburger Heide liegt. 

Die meisten Aktivist*innen sind für längere Zeit im Wald, andere kommen nur tageweise zu Besuch. Wie groß die Besetzung tatsächlich ist, lässt sich nur schwer sagen. Mitte Oktober ist es relativ ruhig im Heibo. Der Großteil der Aktivist*innen sind zu diesem Zeitpunkt junge FINTA (Frauen, inter, nicht-binär, trans und A-Gender) aus Ostdeutschland. Doch das sei nicht immer so, sagen die Aktivist*innen. Mit der Besetzung wollen sie die Rodung blockieren. »Das Waldstück, in dem wir gerade sind, soll als nächstes für den Tagebau Würschnitz gerodet werden«, sagt eine Aktivistin, die sich Fichte nennt. Die Aktivist*innen nutzen sogenannte Waldnamen, um ihre Identität zu schützen. »Der Betriebsplan war so, dass hier schon letztes Jahr gerodet werden sollte – das haben wir verhindert«, erklärt Fichte. 

Kies und Klima

Schon jetzt durchbricht der rund 250 Hektar große Tagebau Laußnitz 1 die bewaldete Heidelandschaft. Seit 1949 wird in der Region Sand und Kies im industriellen Stil durch das Kieswerk Ottendorf-Okrilla (KBO) abgebaut. »Kennzeichnend für den Ottendorfer Rohstoff sind der hohe Quarzgehalt und das Fehlen betonschädlicher Substanzen«, schreibt das Unternehmen in einem Informationsblatt. Die Rohstoffe werden dabei in der Bauwirtschaft und für die Wasseraufbereitung benötigt. Um die gigantischen Rohstoffmengen auch in Zukunft lokal fördern zu können, will das KBO im Tagebau Würschnitz auf 121 Hektar Waldfläche Sand und Kies fördern. Für ein weiteres Abbaugebiet Würschnitz-West mit 135 Hektar Waldfläche läuft aktuell das Planfeststellungsverfahren. Das sei nötig, da alleine in Sachsen jährlich rund 36 Millionen Tonnen Kies und Sand und Splitt für die Bauwirtschaft benötigt werden. 

Stolz präsentiert das Unternehmen den 2022 gewonnenen Nachhaltigkeitspreis, ausgestellt vom Bundesverband für Mineralische Rohstoffe. In einem Werbevideo betont das KBO dabei, dass Umweltschutz bei den neuen Arealen an erster Stelle stehen würde. Nach dem Abbau folge gemäß den Vorgaben der Behörden die Renaturierung durch die Aufforstung eines Laub-Nadel-Mischwalds. »Die Abbaufläche wird somit anschließend mit einem wesentlich klimaresistenteren Waldbestand bewachsen sein«, schreibt das KBO. In einem Erklärfilm des Unternehmerverbands Mineralische Baustoffe (UVMB) wird der Abbau von Sand und Kies sogar als Aufbruch einer artenarmen Kulturlandschaft hin zu einem Lebensraum für bedrohte Tier- und Pflanzenarten verkauft. 

So wichtig der Freiraum für das Zusammenleben ist, der Fokus liegt auf dem Erhalt des Waldes.

Aktivistin Fichte

Ein Bild, dem die Besetzer*innen widersprechen. »Bei der Aufforstung wird vor allem auf die Baumarten gesetzt, aber ein Wald macht viel mehr aus: zum Beispiel die Krautschicht und der Boden«, kritisiert Fichte. Ein klimaresistenter Wald hänge eben nicht nur an den Bäumen. »Bäume können nachwachsen, aber der Waldboden wird nicht in 50 Jahren zu dem, was er heute hier ist«, so die Aktivistin weiter. Mit dem geplanten Tagebau Würschnitz-West würden außerdem zwei Moore bei Großdittmannsdorf als unersetzbare Biotope auf Spiel gesetzt, kritisiert der NABU. Gerade in Zeiten der Klimakrise bräuchten wir Wälder und intakte Moore, wie hier in der Laußnitz-Radeburger Heide als CO2-Speicher, argumentieren die Aktivist*innen. »Der Wald ist ein Kiefernwald, aber hier wachsen auch kleine Buchen, Birken und Eichen«, berichtet Fynn. »Es könnte irgendwann ein schöner Mischwald werden«. 

Besetzung als Freiraum

Immer wieder dringen Geräusche aus dem Tagebau zu den Besetzer*innen herüber, untermalt von den Motorengeräuschen der Landstraße, die den Tagebau Laußnitz 1 säumt. Hier in der Waldbesetzung verläuft das Leben in anderen Bahnen. Gekocht wird auf offenem Feuer an einer Feuerstelle, Wasser wird in großen Kanistern aus dem nächsten Ort geholt und Essen aus dem Müll von Supermärkten containert. Auch Reparaturen und der Bau neuer Strukturen gehören hier zum Alltag. Mittags machen die Aktivist*innen nahezu täglich einen Lesekreis, bei dem abwechselnd eine Person aus einem politischen Buch vorliest. Einige schnitzen oder stricken dabei. Danach wird über das Gelesene diskutiert. 

Den Aktivist*innen geht es auch darum, diesen Ort als Freiraum zu gestalten. »Gerade hier in der Region ist der Freiraum sehr wichtig, weil wir auch die einzige aktive Waldbesetzung im Osten sind«, berichtet Hans. »Es gibt hier einfach wenige Alternativen, wenige Räume, die man selbst gestalten kann«, fährt er fort. »Wir versuchen hier, nach unseren Werten zu leben: so diskriminierungs- und hierarchiearm wie möglich«, ergänzt Fynn. An vielen Stellen der Besetzung sieht man anarchistische Symbole. Schilder weisen darauf hin, nach Pronomen der Personen zu fragen. Anfallende Aufgaben werden möglichst solidarisch und selbstbestimmt übernommen. 

Seit August 2021 ist ein Waldstück in der Laußnitz-Radeburger Heide von Klimaaktivist:innen besetzt, um die Rodung für den Bau eines Kiessandtagebaus zu verhindern. Im Bild: Das Barrio Oink. Foto: Jannis Große

Klimakrise ist überall

So wichtig der Freiraum für das Zusammenleben hier ist, der Fokus liegt auf dem Erhalt des Waldes, betont Fynn. Als Besetzung wollen die Aktivist*innen dabei nicht isoliert Umwelt- und Klimaschutz betreiben. Das kapitalistische System führe zu einem zerstörerischen Ressourcenverbrauch und befeuere die Klimakrise, meinen die Besetzer*innen. »Es geht uns also nicht darum, die Naturzerstörung hier vor Ort zu verhindern, nur damit sie dann in Polen oder im Globalen Süden stattfindet«, kann man auf ihrem Blog nachlesen. »Der wichtigste Punkt wäre vielleicht, ganz grundsätzlich etwas daran zu ändern, wie wir wirtschaften, wie wir mit dem Planeten umgehen und wie wir miteinander umgehen«, meint Fichte. Dazu gehören ihrer Meinung nach ganz verschiedene Kämpfe gegen Naturzerstörung und Klimakrise, die an unterschiedlichen Orten geführt werden müssen. 

Hier im Heibo heißt das auch, Kritik an der Bauindustrie zu formulieren. Das Baugewerbe verursacht nach Zahlen des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie rund 1,2 Prozent an den gesamten CO2-Emissionen in Deutschland. Weltweit ist die Zementherstellung – als Hauptbestandteil von Beton – mit einem Anteil von rund acht Prozent jährlich der größte industrielle Emittent an den CO2-Emissionen, wie die Johannes Gutenberg Universität Mainz im Jahr 2021 veröffentlichte. Die Aktivist*innen verweisen auf den bestehenden Leerstand. »Es muss ja nicht immer abgerissen und neu gebaut werden«, argumentiert Fynn. 

Geringe Unterstützung

Mit ihrer Kritik machen sich Klimaaktivist*innen nicht bei allen beliebt. Bei Ende Gelände Aktionen in der Lausitz kam es in der Vergangenheit mehrfach zu Konfrontationen mit rechten Personengruppen, Sicherheitskonzepte verhinderten Schlimmeres. Die Waldbesetzung Moni in Sachsen-Anhalt war immer wieder Angriffen der rechten Szene in der Region ausgesetzt. Auch hier im Heibo kam es Berichten der Aktivist*innen zufolge schon zu verbalen Konfrontationen. Große Angst vor konkreten Angriffen durch Neonazis scheinen die Besetzer*innen aber nicht zu haben. Vorsichtsmaßnahmen würden sie trotzdem treffen, berichtet Fynn. »Am Badesee sind wir schon Menschen begegnet, die Rechtsrock gehört haben«, ergänzt they. »Auch wenn ich wieder in die Stadt zurückfahre, fahren manchmal Menschen in ihren Autos vorbei und zeigen den Hitlergruß«, ergänzt Hans. In den angrenzenden Dörfern würde man allgemein eine abgeneigte Haltung spüren, sagt der Aktivist. Die Unterstützung sei dort gering. 

Dabei ist die Waldbesetzung aber auf Unterstützung angewiesen, will sie bis März – dem Ende der allgemeinen Rodungssaison – bestehen bleiben. Die Besetzung fällt unter das Versammlungsgesetz. Auf Nachfrage erklärt die zuständige Versammlungsbehörde in Bautzen: »Es wird regelmäßig die Einhaltung der Allgemeinverfügung rechtlich bewertet«. Im Ergebnis dieser Prüfung würden dann Folgemaßnahmen abgestimmt werden, schreibt die Behörde. Die Aktivist*innen rechnen mit einer Räumung. Einen genauen Termin gab es zu Redaktionsschluss noch nicht. »Viele Menschen hier werden nicht freiwillig gehen«, sagt Fynn dazu. Das Materiallager ist gut gefüllt: verschiedene Holzlatten, Paletten, alte Fenster, Ofenrohre, Seile, Betonsäcke und ein Lock-On lagern hier. Der Beton wird in Waldbesetzungen häufig für die Konstruktion von Lock-Ons genutzt. »Es gibt viele Räumungsstrukturen in der Höhe und es wird auch Menschen geben, die sich anketten werden«, führt they aus.

Während zwei Aktivist*innen ein Banner in Solidarität mit den von Räumung bedrohten Besetzungen in Lützerath und dem Fechenheimer Wald malen, hört man im Hintergrund einen Menschen Gitarre spielen. Die Abendsonne taucht das Waldstück in goldenes Licht. Die Geräusche aus dem Tagebau sind nicht mehr zu hören. Der lichte Wald strahlt eine trügerische Ruhe aus. Die Barrikaden auf den Wegen und die Gesprächsrunden der Aktivist*innen erinnern ständig an die drohende Gefahr. Bis hier Hebebühnen durch den Wald rollen, um die Aktivist*innen aus den Bäumen zu holen, dürfte es nur noch Wochen dauern.