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|ak 676 | Soziale Kämpfe

Click, Click, Cash

Während die Welt pessimistisch auf Crowdwork schaut, sehen die Arbeiter*innen selbst zu, dass sich etwas ändert

Von Paul Dziedzic

Die Arbeit in der digitalen Welt dient, auch unter Linken, als perfektes Schauermärchen für die dystopische Zukunft der Digitalisierung. Diese »neue«, prekäre Arbeit fasziniert – in Medien und Wissenschaft gab es im letzten Jahrzehnt eine Menge Output. Und die dort formulierten Aussichten sind nicht gut: Nicht selten ist von digitalen Sweatshops die Rede, in denen sich Menschen in Akkordarbeit nur Centbeträge erklicken. Gestaltung und Funktion jener Apps, auf der sich die Selbständigen verdingen, sollen Arbeit, Zeit, Verhalten und Lohn steuern. Doch immer wieder entstehen auch Gegenbewegungen, die im Sinne der Arbeiter*innen heimwerkerisch nachkorrigieren und soziale Räume eröffnen.

Arbeit oder Freizeit?

Simpel gesagt ist Crowdwork das Erledigen kleinerer Arbeiten, die Teil eines größeren Projekts sind. Doch diese kleineren Arbeiten, oder auch Aufgaben, sind optional. Wer sie annimmt, arbeitet gegen einen Countdown an, der entscheidet, ob es Geld gibt oder nicht. In anderen Fällen wird zwar bezahlt, aber nur für die angegebene Zeit. Zudem wird nach erledigter Stückzahl gearbeitet, die Zeit zwischen den Aufgaben wird nicht entlohnt. Weltweit gibt es mittlerweile mehr als 2.000 Clickwork-Firmen und Millionen dort angemeldeter Clickworkers. Der Stundenlohn ist generell niedrig und liegt nicht selten zwischen zwei und vier Euro. In der Hochglanz-Werbung der Clickwork-Plattformen heißt es, Crowdwork sei die perfekte Möglichkeit, mal eben zwischendurch ein kleines Taschengeld zu erklicken: eine Bewertung für ein Produkt schreiben oder kurz an einer Studie teilnehmen. Doch am Ende ist es eine höchst prekäre Arbeit – die zu allem Überfluss eine kollektive Organisierung umso schwieriger macht, denn die meisten Plattformen bieten keine Möglichkeit an, mit anderen Clickworkers zu kommunizieren.

Den Anfang machte die Amazon-Tochterfirma »Mechanical Turk« (kurz Mturk), die 2005 gegründet worden war, um interne Aufgaben auszulagern. Die ersten Crowdworker*innen mussten zum Beispiel redundante oder alte Unterseiten identifizieren, so dass sie gelöscht werden konnten. Doch mit der Zeit weitete MTurk das »Angebot« aus: Nun könnten alle dort entweder Clickwork-Aufgaben bestellen oder ihre Arbeitskraft anbieten. Inzwischen sind große Firmen, mittelständische Unternehmen, Individuen oder Wissenschaftler*innen bei MTurk unterwegs. Sie wollen Feedback auf ihre Produkte, vergeben kleine Programmieraufgaben oder trainieren ihre KI. Sogar Wissenschaftler*innen großer Universitäten führen dort ihre (methodisch und ethisch fragwürdigen) Umfragen durch. Die Aufgaben tragen den Namen Human Intelligence Tasks (HITs), weil sie nur von Menschen, nicht von Algorithmen, gelöst werden können.

Das ganze System baut auf billige, teils unbezahlte Arbeit. Die Strategie von Clickwork-Seiten besteht darin, mehr Arbeiter*innen zu rekrutieren als es Aufgaben gibt. Damit können sie eine Aufgabe an mehrere Clickworkers vergeben und die besten Lösungen rauspicken. Bezahlt wird eine gelöste Aufgabe, wenn überhaupt, nur innerhalb einer definierten Zeit. Nicht bezahlt werden Lösungen, die nicht gewissen Parametern entsprechen. Doch Transparenz über eine gute Lösung gibt es nicht. Im System eingebaut ist also auch die Möglichkeit des massiven Lohnraubs.

Soziale Orte als Gegenpol

Zwar stimmt es, dass es schwierig ist, sich dort zu organisieren, wo keine gemeinsamen Orte existieren – unmöglich ist es allerdings nicht. Vor vielen Jahren gründeten einige Turkers, wie sich die Clickworkers von MTurk nennen, ihr eigenes Forum. Das zwischenzeitlich größte seiner Art heißt Turker Nation. Ursprünglich auf einer eigenen Webseite gehostet und mittlerweile auf Reddit und Slack umgezogen, tauschen sich hier die Turkers aus, geben sich regelmäßig Tipps, bewerben interessante Aufgaben und beschweren sich über besonders schlechte Auftraggeber*innen.

Da Turkers keine Möglichkeit haben, mit den Auftraggeber*innen direkt zu verhandeln, versuchen sie, mit technischen Lösungen nachzuhelfen. So bastelten einige an einer Browser-Erweiterung, mit deren Hilfe sie Auftraggeber*innen bewerten und sich damit vor den skrupellosesten von ihnen warnen konnten. In der Vergangenheit gab es aber auch regelrechte Kampagnen, wie eine Briefschreib-Aktion unter dem Namen »Dear Jeff Bezos«, in der die Clickworkers verlangten, als Menschen und nicht als Maschinen anerkannt zu werden. Denn die Unsichtbarmachung der Menschen hinter alphanumerischen Codes ging ihnen an die Substanz.

Gleichzeit ist über die Jahre noch etwas anderes passiert. Turkers selbst haben eine große Skepsis gegenüber Journalist*innen und Wissenschaftler*innen entwickelt. Das mag mit dem anfangs beschriebenen Hype zu tun haben, der Faszination für die Dystopie des Digitalen. In einer 2018 veröffentlichten Studie beschreiben zwei Forscher*innen der Fachzeitschrift Catalyst diese Skepsis. Ihre These ist, dass die gemeinsame Organisierung in Turker Nation der Kampf der Turkers gegen die Abstraktion von MTurk war. Sie merkten recht früh, dass die Mitglieder keine Lust auf Wissenschaftler*innen hatten, die sie als Arbeiter*innen untersuchen wollten. Denn in der Vergangenheit war es schon vorgekommen, dass Forscher*innen intransparente Methoden benutzten oder Turkers dazu zwangen, sich gewaltvolle Bilder und Videos anzuschauen, um herauszufinden, für welchen Preis sich Menschen so etwas anzutun bereit sind. Auch in den Medien gibt es ein klar einseitiges Bild von Clickworkers, das nichts mit dem Selbstbildnis der Turkers zu tun hat.

In den Medien gibt es ein einseitiges Bild von Clickworkers, das nichts mit dem Selbstbildnis der Turkers zu tun hat.

Es gibt natürlich auch Ansätze, das Segment Crowdwork zu regulieren, dazu entstehen Partnerschaften zwischen Gewerkschaften und Plattformen. Allerdings gehört vieles, was dort versprochen wird, in den Bereich der Absichtserklärungen. Am Ende baut die ganze Branche darauf, die Löhne zu drücken, denn sonst müssten die daran beteiligten Firmen die ganze ausgelagerte Arbeit wieder eingliedern. Ein anderer Ansatzpunkt wäre, die angeblich neutralen Plattformen, die nach eigener Darstellung lediglich Arbeit vermitteln, stärker in die Verantwortung zu ziehen, beispielsweise indem sie als offizielle Arbeitgeber*innen klassifiziert werden.

Ein größeres Interesse von Linken an digitaler Arbeit ist wichtig. Sprüche darüber, was für ein Albtraum das alles ist, oder dass die Konsument*innen oder die Clickworkers selbst dran Schuld trügen, diese Art von Arbeit zu verursachen beziehungsweise anzunehmen, gibt es schon genug. Über das Interesse hinaus bräuchte es ein besseres Verständnis der Spezifität digitaler Arbeit heute: Welche Bereiche es darin gibt, wie alles funktioniert – und wo das Soziale in der Abstraktion entsteht.