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|ak 680 | Ökologie

Die Öko-Revolte in Serbien

Ausgehend vom Jadar-Tal entstand im ganzen Land eine Protestbewegung gegen den Raubbau durch internationale Konzerne

Von Tatjana Mladjen

Da fährt nichts mehr: Szene von der Blockade einer Autobahn in Belgrad am 11. Dezember 2021. Foto: Marko Djurica

Es waren die Bewohner*innen von Gornje Nedeljice, einem kleinen serbischen Ort an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina im Jadar-Tal, die mit dem Widerstand begannen. Sie widersetzten sich vergangenes Jahr Rio Tinto, einem australischen Giganten der globalen Bergbauindustrie. (Siehe den Beitrag von Volker Böge auf S. 16) Der Konzern war während geologischer Untersuchungen auf Jadarit, ein Mineral, das reich an Lithium und Bor ist, gestoßen. Die Vorkommen in Gornje Nedeljice sollen, wie die serbische Regierung betonte, circa zehn Prozent des weltweiten Bedarfs an Lithium decken. Anderen Schätzungen zufolge seien es nur ein Prozent. Um das Lithium und Bor vom Jadarit-Erz zu trennen, wollte das Unternehmen eine unerprobte »grüne« Technologie anwenden. Allerdings ziehen serbische Expert*innen den grünen Charakter der Technik in Zweifel. Denn zur Herauslösung der Mineralien müsste eine große Menge an Schwefelsäure verwendet werden. Es entstünden Rückstände, die die Umwelt 60 Jahre oder länger nach Schließung der Minen belasten würden. 

Die serbische Regierung verkaufte das Projekt, das auch von der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel unterstützt wurde, als ökonomische Entwicklungschance für Westserbien; es sollte neue Arbeitsplätze schaffen. Seit Unterzeichnung der Verträge zwischen Rio Tinto und der serbischen Regierung 2002 waren diese für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die Folge: Die Bewohner*innen im Jadar-Tal konnten sich nicht mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Bauprojekte wehren. Überdies blieb auch im Dunkeln, was das Ziel des Projektes war. Erst mit dem Beginn ernsthafter Investitionen in die Infrastruktur und dem Erwerb von Privatgrundstücken in den Dörfern des Jadar-Tals wurden die Bewohner*innen aktiv. Sie beauftragten Rechtsanwält*innen und schlossen Allianzen mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. 

Massenproteste und Straßenblockaden

Der drohende Minenbau im fruchtbaren, dicht besiedelten und von Landwirtschaft geprägten Jadar-Tal und die fehlende Bereitschaft der Regierung, erforderliche Studien zur Umweltverträglichkeitsprüfung zu erbringen, ließ andere Menschen in Serbien hellhörig werden. Auch sie bemerkten, dass geologische Bodenuntersuchungen in ihrer Region durchgeführt wurden. Das serbische Ministerium für Bergbau und Energie hat 172 Genehmigungen für geologische Untersuchung in ganz Serbien erteilt – in der Hoffnung, weitere Lithium-, Bor-, Gold-, Silber- und Kupfervorkommen zu finden. 

Parallel mit dem Widerstand im Jadar-Tal begann so der Protest in anderen Teilen Serbiens. Bekannt wurde er als »Aufstand für das Überleben« (Ustanak za opstanak). Um den Widerstand zu stärken, schlossen sich formelle und informelle Verbände aus Levča, Jadra, Dobrinja, Pranjan, Jagodina, Kosjerić und anderen gefährdeten Gebieten in einem Dachverband zusammen: dem Verband der Umweltorganisationen Serbiens (SEOS). Dieser rief zu landesweiten Protesten und Straßenblockaden auf. So blockierten Demonstrierende Anfang Dezember an rund fünfzig Orten im ganzen Land Straßen. Selbst der Verkehr auf der Autobahn durch Belgrad kam zum Erliegen. Von einer Öko-Revolte war die Rede.

Ein Zwanzigstel Serbiens steht unter den Explorationsrechten verschiedener Bergbauunternehmen.

Auf der Internetseite von Geosrbija, die geologische Daten zusammenstellt, wird sichtbar, dass derzeit mindestens ein Zwanzigstel des gesamten Territoriums Serbiens unter den Explorationsrechten verschiedener Bergbauunternehmen steht. Rio Tinto wurde so zum Symbol des Neoliberalismus und zum gemeinsamen Nenner aller Bergbauunternehmen, die für ihren Profit die Bodenschätze Serbiens ausbeuten wollen. 

Die Massenproteste zeigten Wirkung: Die Regierung musste das Enteignungsgesetz zugunsten privater Unternehmen sowie den Raumorientierungsplan, der die Umsiedlung von 19.000 Anwohner*inen vorsah, aufgeben. Doch in Gornje Nedeljice bleibt man skeptisch, ob die Regierung diese Entscheidung im Interesse der Bürger*innen getroffen hat. Der Verkauf von Ackerland, Waldrodungen und der Bau einer Erdgasleitung deuten darauf hin, dass weitere Minen im Jadar-Tal geplant sind. Das Zurückrudern der Regierung sei vielmehr dem Auftakt des bevorstehenden Wahlkampfs geschuldet. Im April werden sowohl der serbische Präsident als auch das Parlament neu gewählt.

Gesetze außer Kraft gesetzt

Im Osten Serbiens entzündeten sich die Proteste an dem Verkauf des Bergbau- und Schmelzbeckens Bor an das chinesische Unternehmen Zijin. Damit wurden die Voraussetzungen für die Schaffung eines staatsähnlichen Bergbaugebiets geschaffen, in dem serbische Gesetze und Vorschriften weitgehend außer Kraft gesetzt sind. Probleme entstanden durch die Erweiterung der Mine, die erhöhte Ausbeutung des Kupfererzes und die enorme Ausweitung ihrer Verarbeitung. Auch eine neue Mine wurde erschlossen: die »Cukaru Peki«.

Ähnliche Mechanismen wie bei den Projekten von Rio Tinto griffen auch hier: Die serbische Regierung präsentierte den Einwohner*innen im Bor-Gebiet weder den Hintergrund des chinesischen Bergbauprojekts noch stellte sie Umsiedlungspläne öffentlich vor. Die Regierenden zeigten kein Interesse an der katastrophalen Umweltverschmutzung und den massiven Rechtsbrüchen in den Gemeinden Bor und Majdanpek.

Die Bewohner*innen des Dorfes Krivelj, die bereits mehrmals umgesiedelt wurden und nun erneut ihr Dorf verlassen müssen, fühlen sich eines würdigen Lebens beraubt. Sie bezeichnen das Vorgehen der Regierung als Erpressung, da sie ihr Land gegen einen geringen Betrag verkaufen müssen – auch weil ihr Ackerland immer weniger wert sei. Die Menschen leben momentan buchstäblich zwischen den Abraumhalden. Das Institut für öffentliche Gesundheit hält die Daten über die Umweltverschmutzung in Bor und Umgebung zurück. Nur über inoffizielle Kanäle erfuhr die Öffentlichkeit, dass jede*r vierte*r Einwohner*in an Krebs erkrankt sei.

Das Wesen der Transformation seit dem Sturz des ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milošević im Oktober 2000 war für viele in Serbien lange Zeit unklar geblieben. Aber die Umweltproteste haben die ökologische Ausbeutung Serbiens, die durch mächtige Bergbauunternehmen und neoliberale Politik vorangetrieben wird, zum Thema in der Mitte der Gesellschaft gemacht. Was bleibt, sind offene Fragen: Verstärkt der Profit aus der Bergbauindustrie die soziale, wirtschaftliche und ökologische Krise; stärkt er die Position der Regierung? Wird er die Profite der Konzerne erhöhen? Und: Wird letztendlich durch die Platzierung schmutziger Technologien in das Herz Europas – auf dem Balkan – ein vergifteter Neoliberalismus gestärkt, damit der Rest des Kontinents sorglos atmen kann?

Tatjana Mladjen

ist eine Umweltaktivistin und Journalistin in Kragujevac, Serbien. 

Übersetzung: Biljana Djordjević und Kathrin Jurkat