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Bei der Gesichtserkennung darf die Polizei bisher nicht alles – das würden einige gern ändern

Von Matthias Monroy

verschwommene Aufnahme eines Frauengesichts, darüber liegt ein quadratischer Rahmen
Einfach Fahndungsfotos in private KI-Tools wie PimEyes eingeben, darf die Polizei im Normalfall aus gutem Grund nicht. Foto: Facebook

Die Fahndung gegen mutmaßliche RAF-Mitglieder hat die Diskussionen um die Ausweitung der polizeilichen Gesichtserkennung wieder in Schwung gebracht. »Jetzt zeigt sich, wie gut Polizeiarbeit funktionieren würde, wenn sie mit technischer Unterstützung, KI und Gesichtserkennung unterstützt wird«, verkündete Jochen Kopelke, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Nicht nur Kopelke fordert mehr polizeiliche Befugnisse – und damit den massiven Eingriff in Grundrechte durch massenhafte Überwachung, auch Unionspolitiker*innen nutzen die Gelegenheit und verlangen mehr Videoüberwachung, mehr KI, mehr Gesichtserkennung für die Polizei.

Es geht dabei um die anlasslose Suche nach Gesichtern im Internet, die der Polizei – anders als dem Verfassungsschutz – aus Gründen des Datenschutzes nicht erlaubt ist. (Siehe Kasten) Innerhalb des eigenen Datenbiotops darf die Polizei jedoch Lichtbilder miteinander abgleichen und verfügt dazu seit 2008 auch über die nötige Biometrietechnik. Der damit beauftragte Dienstleister ist die Firma Cognitech aus Dresden.

Was darf und was macht die Polizei?

Das als GES abgekürzte Gesichtserkennungssystem steht beim Bundeskriminalamt (BKA) und wird auch von den Landeskriminalämtern und der Bundespolizei genutzt. Abfragen können etwa mit Standbildern von Videokameras im öffentlichen Raum oder auch mit Handyfotos von mutmaßlichen Straftäter*innen vorgenommen werden. Gesucht wird dann in der Inpol-Datei. Diese größte deutsche Polizeidatenbank wird ebenfalls vom BKA für alle Polizeien zentral geführt. Sie enthält zu etwa gleichen Teilen Daten aus erkennungsdienstlichen Behandlungen und aus Anträgen von Asylsuchenden. 2022 waren dort rund 6,7 Millionen Bilder zu 4,6 Millionen Personen recherchefähig gespeichert – trotz festgelegter Löschfristen eine deutliche Zunahme im Vergleich zum Vorjahr.

Auch die Nutzung des GES nimmt jedes Jahr zu. So hat allein die Bundespolizei ihre Treffer bei der Personensuche in dem System im Jahr 2022 mehr als verdoppelt: 2.853 Personen wurden mit Hilfe der Technik identifiziert. Auffällig ist, dass sich die Anzahl der Suchläufe durch die Bundespolizei im gleichen Zeitraum nur unwesentlich erhöht hat. Das lässt darauf schließen, dass entweder die Software mit einem Upgrade auf ein 3D-Verfahren entscheidend verbessert oder die Polizei in der Anwendung besser geschult wurde. Der Trend zeigt sich auch bei den Kriminalpolizeien von Bund und Ländern, deren jährliche Trefferquote sich im Jahr 2021 mit 3.656 Personen gegenüber 2017 verzehnfacht hat. Angeblich können für den polizeilichen Abgleich auch Lichtbilder aus Registern der Einwohnermeldeämter genutzt werden. Der Spiegel berichtete, dass sich das LKA Niedersachsen für die Suche nach Daniela Klette von allen Ämtern im Bundesland anonymisierte Bilder aus der Altersgruppe der Gesuchten schicken ließ und diese mit einer Gesichtserkennungssoftware durchsuchte.

Wie die KI-Gesichtserkennung PimEyes funktioniert

Im Dezember 2023 erschien der Podcast »Legion: Most Wanted«. Das Team um den Moderator Khesrau Behroz begibt sich darin auf die Suche nach dem abgetauchten, mutmaßlichen Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette. Dafür beauftragten die Podcast-Macher*innen Michael Colborne vom Recherchekollektiv Bellingcat. Der speiste Fahndungsfotos der Gesuchten in das KI-Tool PimEyes ein. Die Anwendung fand Bilder von Klette auf der Seite des Capoeira-Vereins, in dem sie bis vor einigen Jahren trainiert haben soll. Die KI-Gesichtserkennung integriert zwei Funktionen. Einerseits durchsucht PimEyes den frei zugänglichen Teil des Internets nach Bildern, dabei erstellt und erweitert sie eine riesige Bilddatenbank. Zugleich indexiert sie diese Datenbank und erstellt durchsuchbare Listen – so ähnlich funktioniert Google im Prinzip auch. Die Polizei darf auch mit Gesichtserkennung arbeiten, allerdings nicht mit Anwendungen, die unbegrenzt Daten sammeln. (Siehe Artikel) Im Fall von Klette will das LKA Niedersachsen den entscheidenden Hinweis im November 2023 bekommen haben – als auch die Podcast-Redaktion in Berlin suchte. Behroz sagte in »Legion: Most Wanted«, dass sie als Journalist*innen zwar nicht mit den Behörden zusammenarbeiten würden, aber sich im Zuge der Recherche »ausgetauscht« hätten.

Immer wieder gibt es in Deutschland auch Diskussionen, die Gesichtserkennung in Echtzeit einzusetzen. Möglich wäre etwa, im öffentlichen Raum nach vermissten Kindern, Terrorismusverdächtigen oder untergetauchten Straftäter*innen zu suchen. 2017 hatte die Deutsche Bahn mit der Bundespolizei ein solches Verfahren am Berliner Bahnhof Südkreuz getestet – allerdings ohne dabei »echte« polizeiliche Datenbanken abzufragen. Bahn und Polizei bewerteten das Projekt als Erfolg, Kritiker*innen verwiesen auf eine hohe Rate »falscher Treffer«.

Eingeführt wurde die Echtzeit-Gesichtserkennung nach Vorbild des Bahnhofs Südkreuz in Deutschland noch nirgends. Auch ein neues Überwachungssystem der Polizeidirektion Görlitz wird nach Angaben der Landesregierung in Sachsen lediglich zum nachträglichen, manuellen Abgleich genutzt. Eine Sonderkommission will mit diesem Personen-Identifikations-System (PerIS) Straftaten im Bereich der Eigentumskriminalität an der deutsch-polnischen Grenze verfolgen. Mithilfe der aufgenommenen Lichtbilder werden Personen und Fahrzeuge, die bei den Ermittler*innen einen Verdacht erregen, in Polizeidatenbanken gesucht.

In Görlitz besteht das PerIS aus zehn Kamerasäulen an Kreuzungen sowie an Grenzübergängen zu Polen. Außerdem werden zwei mobile Kameras in Polizeifahrzeugen genutzt. Auch in Zittau sowie »grenznah« an der Bundesstraße 178 sollen dazu sieben Kamerasäulen errichtet und zwei mobile Systeme gekauft werden. Bislang wurden auf diese Weise aber – soweit bekannt – nur ein Treffer mit Gesichtern und zwei Treffer mit Kennzeichen erzielt. Die anlasslose Videoüberwachung dient deshalb vor allem der Abschreckung, bestätigt auch die sächsische Polizei und nennt dies »Strafverfolgungsvorsorge«.

Datenabgleich international

Grundsätzlich ist die Abfrage von polizeilichen Lichtbildern auch im Ausland möglich. Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten haben sich dazu mit dem Parlament auf eine Neufassung des Vertrags von Prüm geeinigt. Dieses Gesetz von 2008 regelt den automatisierten Datenaustausch unter Polizei- und Zollbehörden und umfasste bislang Fingerabdrücke und DNA-Spuren, nun wird es auf Gesichtserkennung erweitert.

Abfragen sollen zur »Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten«, zur Suche nach vermissten Personen, zur Identifizierung menschlicher Überreste und bei Naturkatastrophen möglich sein. Zunächst kann eine Polizeibehörde anfragen, ob in den polizeilichen Datenbanken eines anderen Staates Informationen zu einer auf dem Foto gezeigten Person vorliegen. Gibt es dazu eine positive Rückmeldung, können sogenannte »Kerndaten« angefordert werden. Auch die Schengen-Staaten Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein sind am Prüm-System beteiligt, sogar Großbritannien, trotz Brexit.

Nach Vorbild des Vertrags von Prüm fordert nun auch die US-Regierung Zugang zu den Biometriedaten der Polizeien in Europa und droht andernfalls damit, die Länder aus dem Programm für visumfreies Reisen in die USA auszuschließen. Die neue Regelung wird als »Verstärkte Partnerschaft für Grenzsicherheit« (EBSP) bezeichnet. Bis 2027 will Washington dazu mit jeder Regierung einen entsprechenden Vertrag geschlossen haben. Dann soll die US-Grenzpolizei die Gesichtsbilder und Fingerabdrücke zur Grenzkontrolle, aber auch zur Strafverfolgung und »Terrorismusbekämpfung« nutzen dürfen. Das Verfahren geht über den europäischen Prüm-Rahmen hinaus: Der Austausch von »Kerndaten« zu den betreffenden Personen soll im Rahmen des EBSP nach einem Treffer automatisiert erfolgen, und nicht etwa erst nach einer offiziellen Anfrage oder einem Richtervorbehalt. Ein solcher Pull-Zugriff auf nationale Datenbanken eines anderen Staates ist außergewöhnlich und wird normalerweise auch »unter Freunden« nicht gewährt.

Matthias Monroy

ist Redakteur der Zeitung nd und des Magazins CILIP mit Fokus auf Polizei und Überwachung in der EU.