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|ak 662 | Ökologie

Radikaler Klimaschutz funktioniert nicht ohne die Klasse

Die IG Metall wurde wegen ihres Einsatzes für eine Kaufprämie für Verbrenner-Autos heftig gescholten. Doch diese Kritik übersieht Wesentliches

Von Katharina Grabietz

Ein Windrad von unten fotografiert, oben sind zwei Männer an Kletterseilen zugange
»Gerechter grün werden« – so lautet ein Slogan der IG Metall. Ernst gemeint oder alles nur grüner Schein? Foto: Science in HD / Unsplash

Im Juni 2019 gingen unter dem Motto #fairwandel rund 50.000 Metallerinnen und Metaller in Berlin auf die Straße, um ein Bekenntnis zum sozial-ökologischen Umbau der Industrie zu machen. Schon hier unterstellten einige der IG Metall mangelnde Authentizität in Sachen Klimaschutz. Die Debatte um die vor wenigen Monaten heiß diskutierte Umweltprämie muss ihnen genüssliche Genugtuung verschafft haben.

Die IG Metall, die sich für eine technologieoffene Ausgestaltung der Prämie ausgesprochen hatte, die neben E-Autos auch emissionsarme Verbrenner umfasst haben sollte sowie einen finanziellen Beitrag der Hersteller gefordert hatte, habe ihr »altes Gesicht« gezeigt, so das Urteil von Fabian Westhoven im Artikel »Grüner Schein« (ak 661). Der Artikel reiht sich ein in eine ganze Serie von Texten linker Publikationen, die seitdem zum Spannungsverhältnis von Industriegewerkschaften und Klimaschutz erschienen sind. Die Kritik in ihnen entzündet sich nicht etwa an der verteilungspolitisch zweifelhaften Implikation einer nur für E-Autos geltenden Prämie oder dem Sinn einer Kaufprämie als Krisenbewältigungsinstrument allgemein, sondern an der Kritik der im Rahmen des Konjunkturpakets beschlossenen Prämie durch die IG Metall, die letztlich nicht die Förderung emissionsarmer Verbrennermotoren enthielt. Liest man diese Artikel, entsteht der Eindruck, die Interessenvertretung von abhängig Beschäftigten sei die Nemesis des Klimaschutzes und nicht der Kapitalismus, dessen Wachstumsdogma zwangsläufig mit der Zerstörung der Umwelt einhergeht.

Wo ist die Empathie für die Klasse?

Die Auseinandersetzung um die Umweltprämie legte Widersprüche offen, die (mit guten Intentionen) bisher nicht deutlich genug diskutiert wurden. Die Aufgabe einer Gewerkschaft ist es, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Das ist nicht ihr »altes Gesicht«, sondern ihr Kern – unerlässlich zum Erhalt ihrer Machtressourcen. Dass dabei Beschäftigungssicherung in einer emissionsstarken Branche im Widerspruch zu einem greifbaren Beitrag zum Klimaschutz steht, ist schwer wegzudiskutieren. Aber wie gehen wir damit um?

Zunächst erstaunt es, dass es für die theoriebelesene Linke häufig schwierig ist, diese aus all den Texten bekannten Widersprüche in der Realität zu erkennen und zunächst wertfrei zur Kenntnis zu nehmen. Warum fällt es so schwer, Verständnis für die aufzubringen, die ihren Lebensunterhalt sichern wollen? In welchem Grundlagenwerk steht, dass es links ist, die Existenzsorgen von Lohnabhängigen im Kapitalismus einfach arrogant als rücksichtslose Klientelpolitik abzutun? Hat der historische Materialismus ausgedient? Leben wir schon in der klassenlosen Utopie ohne private Kapitalakkumulation, die all die wirtschaftlichen Zwänge aufgehoben hat, und wurde nur vergessen, den Kolleginnen und Kollegen aus der Automobilindustrie Bescheid zu geben?

Abgewendet werden kann die Klimakatastrophe nur durch einen Bruch mit dem kapitalistischen Wachstumsdogma.

Wie weit hat man sich von der eigenen Klasse entfernt, wie unsichtbar hat man Herrschaftsverhältnisse gemacht, wenn man im Industriearbeiter und seiner Interessenvertretung den Gegner sieht, an dem es sich abzuarbeiten gilt, ohne ein Wort über die Rolle des Kapitals zu verlieren?

Ein buntes Who is Who der Metall- und Elektroindustrie hat schon Ende letzten Jahres in großem Umfang Rationalisierungspläne kommuniziert. Ein deregulierter Arbeitsmarkt und ein Sozialstaat, dessen Sicherungsversprechen dringend erneuert werden muss, sind schon Drohkulisse genug. Komplettiert wird diese durch Hartz IV, das mit seinen unanständig niedrigen Regelsätzen und dem kruden Sanktionsregime die Klasse disziplinieren soll.

All das stellt in keiner Weise eine Relativierung der Klimakatastrophe oder ein Plädoyer dar, Klimaschutz hintanzustellen. Allein der Versuch wäre lächerlich, da sich die z.B. immer schneller auftauenden Permafrostböden in der Arktis ziemlich unbeeindruckt ob solcher Versuche zeigen dürften. Daher ist auch die häufig zu lesende Unterscheidung zwischen »kurzfristigen« Beschäftigungsinteressen und »langfristigen« Klimaschutzzielen eine sprachlich irreführende Unterscheidung. Sie erweckt den Eindruck, man könne sich den Luxus einer zeitlichen Priorisierung leisten. Wir haben es mit Prozessen zu tun, die auf parallelen Ebenen akut bedrohlich sind.Parallele Ebenen, die sich bei Industriearbeiter*innen dann doch treffen.

Im Gegensatz zu der – auch in linken Kreisen – häufig unterkomplexen, eindimensionalen Darstellung von Industriearbeiter*innen und ihrer Interessenvertretung als »Arbeit um jeden Preis«-Advokaten wird in ihrer Lebenswirklichkeit das Spannungsverhältnis zwischen kapitalistischer Produktionsweise und Umweltzerstörung besonders deutlich. Durch drohenden Beschäftigungsverlust und die Zerstörung der Umwelt sind sie doppelt betroffen.

Klimaschutz als Demokratiefrage

Von Letzterer sind wir alle betroffen. Was die Frage aufdrängt, warum wir nicht mehr Entscheidungsgewalt über Bewältigungsstrategien haben. Ansätze hierfür bieten beispielsweise wirtschaftsdemokratische Konzepte, die vorsehen, Struktur- und Produktionsentscheidungen zu demokratisieren. Sie haben so das Potenzial, sie von Renditezielen durch quantitatives Wachstum zu lösen. Doch allein andere demokratische Verfahren reichen nicht. Sollen sie einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, müssen wir gesellschaftliche Antworten auf Fragen finden, wie wir in Zukunft leben, arbeiten, produzieren, verteilen, konsumieren und uns gegen die Risiken des Lebens absichern wollen.

Es ist nicht die Aufgabe der Klimabewegung, Antworten auf diese Fragen zu finden. Aber für viele Menschen sind diese Fragen elementar, weil sie sich nicht ohne Weiteres aus den ökonomischen Zwängen lösen können, in denen sie leben. Wenn das breite Bündnis, das nötig ist, um die Klimakatastrophe abzuwenden, auf stabilen Füßen stehen und möglichst viele Leute hinter sich vereinen soll, dürfen diese Fragen nicht unbeantwortet bleiben.

Abgewendet werden kann sie ohnehin nur durch einen klaren Bruch mit dem kapitalistischen Wachstumsdogma. Denn im Kapitalismus steht Profit zwangsläufig über den Interessen von Mensch und Umwelt. Und dies ist der eigentliche Widerspruch, der Kern der Misere. Er ist nur schwer auszuhalten, vor allem, wenn man nicht das Privileg hat, sich politisch nicht im Hier und Jetzt verhalten zu müssen. Wer die Erde nicht zerstört sehen will, muss sich für eine Gesellschaftsordnung einsetzen, die den Kapitalismus überwindet. Dazu gehört zweifelsohne eine stärkere Fokussierung ökologischer Fragen durch die Gewerkschaftsbewegung. Aber eben auch eine breit aufgestellte, radikal kapitalismuskritische Klimabewegung, die sich nicht über ihre Klasse erhebt. Alles andere ist grüner Schein.

Katharina Grabietz

Katharina Grabietz ist Gewerkschaftssekretärin im Funktionsbereich Sozialpolitik des IG Metall Vorstandes.