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|ak 676 | Soziale Kämpfe

Machtpolitik an der Uni

Studentische Beschäftigte organisieren sich inzwischen bundesweit für einen Tarifvertrag

Von Lene Kempe

Demonstrant:innen halten ein Banner mit der Aufschrift "Prekäre Arbeit, Studieren auf Schulden, Sparpolitik? Wir haben die Schnauze voll!" Dahinter viele Fahnen
Im Oktober und November haben studentische Hilfskräfte der Uni Hamburg ihre Arbeit niedergelegt und sind gemeinsam auf die Straße gegangen. Ihr Ziel: ein Tarifvertrag. Foto: TVStud Hamburg

Geht es nach dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, soll Deutschland zur ersten Adresse »für die besten Forscherinnen, Forscher und Studierenden aus aller Welt werden«. Ein Blick in den Alltag des nicht-professoralen Lehrpersonals, der studentischen Hilfskräfte und Tutor*innen und des sogenannten Mittelbaus verrät jedoch schnell, dass hier nicht die Qualität der Lehre im Mittelpunkt steht. Die Löhne bewegen sich meist auf oder knapp oberhalb des geltenden Mindestlohnniveaus, und die Stellen sind extrem prekär: Kettenbefristung und fehlende Mitbestimmungsrechte sind Gründe dafür, dass sich besonders in diesem Jahr immer mehr Lehrkräfte und studentische Beschäftigte zusammengeschlossen haben, um gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Schon im letzten Jahr begann die bundesweite TVStud-Kampagne mit Protestaktionen. Ihre Forderung: Ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, der ihnen existenzsichernde Löhne und Planungssicherheit im Studium garantiert. Damit wären noch nicht alle Probleme des nicht-professoralen Lehrpersonals gelöst, für die studentischen Beschäftigten aber wäre viel gewonnen.

Der Weg dahin allerdings ist steinig. Grundsätzlich, so erläutert Marvin Hopp von TVStud-Hamburg gegenüber ak, gebe es derzeit zwei Möglichkeiten, wie ein solcher Vertrag zustande kommen könnte. Entweder die vertretenden Gewerkschaften, ver.di und die GEW, wenden sich mit dieser Forderung an die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL). Hier haben sich die Bundesländer – mit Ausnahme Hessens – zu einem Arbeitgeberverband zusammengeschlossen, der die Landesregierungen in Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes vertritt. Würde es auf dieser Ebene zum Abschluss eines Tarifvertrages kommen, wäre »das Optimum erreicht«, so Hopp. Alle etwa 300.000 studentischen Beschäftigten wären dann auf einen Schlag tariflich abgesichert. Am 8. Oktober hat eine neue Tarifrunde begonnen und die Gewerkschaften ver.di und GEW haben die Forderung nach einem Tarifvertrag für die zunehmend gut organisierten studentischen Beschäftigten mit in die Verhandlungen  der TdL genommen.

Alle etwa 300.000 studentischen Beschäftigten wären dann auf einen Schlag tariflich abgesichert.

Allerdings: Die TdL ist ein mächtiger Gegner, der bis dato nicht einmal seine Absicht erklärt hat, Verhandlungen über einen TVStud aufnehmen zu wollen. Bei den aktuellen Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst zeigt die TdL vielmehr, wohin die Reise aus ihrer Sicht gehen soll: Wertschätzung hin oder her, für Gehaltssteigerung sei gerade in Krisenzeiten kein Spielraum. 

Zweigleisige Strategie

»Ohne eine entsprechende Organisationsmacht im Rücken«, so Hopp, »ist klar, was bei Verhandlungen mit der TdL rauskommen würde: schlechte Tarifverträge«. Die TVStud-Kampagne fährt deshalb zweigleisig. Sie fordert auch die jeweiligen Landesregierungen an den Verhandlungstisch. In Bremen wurde bereits eine Tarifkommissionen gegründet, Hamburg zog im Juni nach und schaffte damit ebenfalls die formale Voraussetzung dafür, dass die studentischen Beschäftigten und ihre Gewerkschaftsvertreter*innen einen Vertrag auf Landesebene aushandeln könnten.

Dass dieser Weg beschreitbar ist, haben Studierende in Berlin deutlich gemacht. Hier wurden 2018, nach einer dreijährigen Tarifkampagne und 41 Streiktagen, erhebliche Verbesserungen des bereits gültigen Tarifvertrages auf Landesebene erkämpft. Die SPD-geführten Länder Bremen und Hamburg kamen der Aufforderung zu Verhandlungen dagegen nie nach. Ihr Argument: Dies sei nicht möglich, weil es keinen entsprechenden Beschluss des bundesweiten Arbeitgeberverbandes, der TdL, gäbe. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz.

Um die Blockadehaltung der Länder aufzubrechen, hat die TVStud-Kampagne in den letzten Monaten systematisch den Druck erhöht. Sie hat die Organisierung, die in Hamburg, Bremen und Göttingen begonnen hatte, Anfang des Jahres bundesweit ausgedehnt und mit Protestaktionen und Infoveranstaltungen auf das Thema aufmerksam gemacht. Zu Beginn der Tarifrunde im öffentlichen Dienst besetzten Studierende der Uni Hamburg einen Hörsaal und wandelten ihn in ein offenes Streikcafé um. Und sie beteiligten sich an den Warnstreiks der Beschäftigten von Bezirksämtern, Landesbetrieben, Schulen und der Sozialbehörde. Am ersten Streiktag Ende Oktober hatten sich im Vorfeld etwa 200 Studierende und Beschäftigte auf dem Campus der Universität Hamburg versammelt, zehn Tage später waren es schon 400.

Planvolles Organizing

Trotz der eher geringen Chancen, dass die Arbeitsniederlegung zu einem Einlenken der TdL oder der Landesregierungen führt, wertet Hopp die Aktion als Erfolg – ein Streik von studentischen Beschäftigten in Hamburg stellt ein historisches Novum dar. Da es immer noch als Privileg gilt, in Forschung und Lehre zu arbeiten und die Konkurrenz entsprechend hoch ist, nehmen viele auch schlechte Arbeitsbedingungen in Kauf.

Natürlich seien auch andere Kämpfe während der Corona-Pandemie für viele inspirierend gewesen, meint Hopp. Er nennt die jüngsten Streiks der Berliner Krankenhausbeschäftigten, die Arbeitskämpfe beim Lieferdienst Gorillas oder die bei der Deutschen Bahn. Aber solche Kämpfe entstünden nicht aus dem Nichts. Letztlich käme es darauf an, dass Leute anfingen zu handeln und das bedeute, sich zu organisieren. Die TVStud Kampagne sei Ergebnis von viel Arbeit und genauer Planung. »Es gab Anfang des Jahres den Beschluss, die bundesweite Kampagne zu starten, es gab strategische Debatten um die richtige Verhandlungsebene, die Idee der Gründung einer Tarifkommission und den organisierten Versuch, in die aktuelle Tarifrunde der Länder reinzukommen.«

Für Hopp ist der bisherige Erfolg von TVStud deshalb vor allem ein Beleg dafür, dass klassische Organizing-Methoden funktionieren. Und dass Linke lernen müssen, »sich selbst wieder ernster zu nehmen. Es geht bei linker Politik um die Zuspitzung von gesellschaftlichen Konflikten, aber auch um Strukturaufbau und um Machtpolitik. Viele Linke glauben offenbar gar nicht mehr daran, solche Konflikte gewinnen zu können.« Ob TVStud den Kampf um einen Tarifvertrag am Ende gewinnen wird, ist ungewiss. Ganz sicher braucht es dafür einen langen Atem. In jedem Fall zeigt die Kampagne, wo auch und gerade in Krisenzeiten Handlungskorridore für linke Politik entstanden sind.

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.