Lkw-Fahrer*innen im Streik, Regime in der Krise
Ende Mai hat der bisher größte Arbeitskampf in der Geschichte des iranischen Transportwesens begonnen
Von Amina Aziz

Ein solcher Vorgang war in der Islamischen Republik Iran bisher beispiellos: Ein zum Tode Verurteilter wird aus dem Gefängnis entlassen und macht einen Millionen-Deal mit dem Staat. Das ist der Fall des iranischen Business-Tycoons Babak Zanjani, der in den wohl größten Korruptionsskandal Irans verwickelt war. Im Jahr 2016 war er aufgrund von Korruption zur Höchststrafe verurteilt worden. Gut drei Milliarden Euro hatte der Oligarch, der als Mittelsmann bei der Umgehung von Sanktionen diente und dafür selbst von der EU mit Sanktionen belegt wurde, im staatlichen Ölsektor veruntreut. Er zahlte den Großteil der Schulden zurück und kam kürzlich frei. Jetzt hat er mit dem Segen der aktuellen Regierung Massoud Pezeshkians einen Vertrag über etwa 800 Millionen Dollar mit der staatlichen iranischen Eisenbahngesellschaft eingefädelt, der unter anderem die Produktion von Loks vorsieht.
Beispielloses Ausmaß der Organisierung
Den Luxus, sich aus dem Gefängnis freikaufen zu können, haben in Iran die wenigsten. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut, 70 Prozent der sogenannten einfachen Arbeiter*innen können sich aufgrund der Teuerungen ein Drittel ihrer Grundbedürfnisse nicht erfüllen, und viele Arbeiter*innen werden teils monatelang nicht bezahlt. Diese Verhältnisse führen zu mehr Streiks und Protesten. Laut der Menschenrechtsorganisation HRANA ist die Zahl der Arbeitsproteste bis Ende April 2025 binnen zwölf Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 72 Prozent gestiegen, die Anzahl unabhängiger Streiks nahm sogar um 1.315 Prozent zu, während gewerkschaftlich organisierte Streiks einen Zuwachs von 86 Prozent verzeichneten. HRANA spricht von einem »beispiellosen« Ausmaß der Organisierung von Arbeiter*innen. Unter ihnen sind auch streikende Lkw-Fahrer*innen, die seit etwa Mitte Mai einen der bedeutendsten Streiks in über 160 Städten Irans durchführen.
Wie kam es dazu? Ende April war es in der südiranischen Stadt Bandar Abbas am Persischen Golf im Shahid-Rajaee-Hafen, dem wichtigsten Containerumschlagplatz des Landes, zu einer Explosion gekommen, die zu mindestens 70 Toten und über 1.000 Verletzten führte, darunter auch Lkw-Fahrer*innen. Bereits Anfang Mai hatten afghanische Lkw-Fahrer*innen an der Grenze zu Afghanistan aufgrund der ungerechten und rassistischen Behandlung mehrere Tage gestreikt. Die Regierung erhöhte zuvor die Versicherungsbeiträge für Lkw-Fahrer*innen. Die Explosion führte nun zum größten Arbeitskampf in der Geschichte des iranischen Transportwesens.
Die Lkw-Fahrer*innen protestieren gegen hohe Ersatzteil- und Treibstoffpreise, überhöhte Versicherungsbeiträge, niedrige Frachtraten und weit verbreitete Korruption. Ihr Streik führt zu einer weitgehenden Lähmung des Güterverkehrs und massiven Versorgungsengpässen. In Iran gilt der Transport von Gütern über den Landweg per Lkw als wichtigste Form des Transports, noch vor dem Transport per Schiene und Schiff. Eine Modernisierung der Transportbranche konnte man sich bislang nicht leisten. Nun will das staatliche Eisenbahnunternehmen den Gütertransport per Schiene ausbauen. Der Transportsektor war schon vor der teilweisen Privatisierung der letzten Jahrzehnte anfällig für Korruption und Vetternwirtschaft. Staatliche Unternehmen und zentrale Bereiche der Infrastruktur sind damals nicht an unabhängige Privatfirmen übergegangen, sondern an regimenahe oder halbstaatliche Organisationen übertragen worden, meist ohne Transparenz und Kontrolle, wie im Fall Zanjanis.
Tränengas und Festnahmen
Die Streiks passieren, während sich die Islamische Republik in einer instabilen Situation befindet. Das Regime ist geschwächt: innenpolitisch vor allem mit dem Beginn der Jin-Jiyan-Azadî-Aufstände 2022, aber auch außenpolitisch, etwa durch den Sturz des verbündeten Assad-Regimes im Dezember 2024. Ein Ende der Krise ist nicht absehbar, selbst wenn es mit den USA und der EU zu einer Einigung bei den derzeitigen Verhandlungen zum iranischen Atomprogramm kommen sollte.
Aus der Politik sind die Reaktionen zu den Streiks bemüht: Regierungssprecherin Fatemeh Mohajerani äußerte sich versöhnlich. Sie sagte, dass Proteste das Recht aller Bürger*innen sei und man den Lkw-Fahrer*innen, Lehrer*innen, Landwirt*innen, Krankenpfleger*innen und anderen zuhören werde. Die Regierung sehe sich durch die Streiks nicht bedroht. Das harte Durchgreifen gegen die Streikenden entspricht jedoch nicht ihren Worten – die Revolutionsgarden gehen gewaltsam gegen Streikende vor.
Das Regime kann sich solche Ausnahmesituationen auf Dauer nicht leisten.
Menschenrechtsorganisationen wie Hengaw berichten vom Einsatz von Tränengas und Festnahmen vieler Aktivist*innen. Bei besonders aktiven werden auch die Familien durch Regimeschergen bedroht. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA gab es ein Treffen zwischen der Regierung und Vertreter*innen der streikenden Fahrer*innen, doch Resultate bleiben bislang aus. Die Streikenden lassen sich indes von den vereinzelten Beschwichtigungsversuchen aus der Politik nicht beeindrucken. In Telegramkanälen der Zusammenschlüsse von Lkw-Fahrer*innen schreiben sie ermunternde Durchhalteparolen wie: »Solange wir zusammenhalten, endet dieser Weg für uns im Sieg.« Die Arbeitsniederlegungen sind Teil einer seit Jahren anhaltenden Streikwelle und die Fahrer*innen erhalten solidarische Unterstützung aus anderen Branchen.
Die Streiks von Arbeiter*innen aus verschiedenen Branchen wie den wirtschaftlich relevanten Teilen der Ölindustrie und des Handels waren ein wichtiger Faktor für die Revolution von 1979. Für einen tiefgreifenden Wandel reicht es derzeit noch nicht. Die Streiks müssten die iranische Wirtschaft härter treffen, indem sie sich ausweiten und andauern, und durch die Mittelschicht aktiv und breit unterstützt werden. Diese kann es sich jedoch, ähnlich wie Zanjani und anders als die von Unterdrückung besonders betroffenen armen Bevölkerungsteile, leisten, sich im Falle von Repression freizukaufen. Wenn die Streikenden allerdings weitermachen, wird man ihnen entgegenkommen müssen. Auch wenn man verlautbaren lässt, im Angesicht der Streiks cool zu bleiben: Das Regime kann sich solche Ausnahmesituationen auf Dauer schlicht nicht leisten.