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Haben oder nicht haben

Eine Konferenz zu Strategien der Vergesellschaftung soll eine neue Phase der Klimagerechtigkeitsbewegung einläuten

Von Hanno Hinrichs

In weißen Overalls gekleidete Menschen, die einen Bagger besetzen und daneben ein Transparent hochhalten.
Droht die alljährliche Besetzung fossiler Infrastruktur ein harmloses Ritual zu werden? Besetzungsaktion von Ende Gelände in Brunsbüttel im September 2023. Foto: Flickr/Pay Nummerich/Ende Gelände

Der Klimabewegung ist die Luft ausgegangen, so scheint es zumindest. Die bloß noch traditionshalber »Streik« genannten Freitagsdemonstrationen verlaufen im Sande, und auch die alljährliche Besetzung fossiler Infrastruktur droht ein harmloses Ritual zu werden. Sogar die in Verruf geratenen »Klimakleber« haben angekündigt, das Kleben fortan sein zu lassen und mangels politischer Resonanz nun selber in die Politik zu gehen. Die Antworten auf die Krise fallen höchst unterschiedlich aus – Einigkeit jedoch besteht in der Enttäuschung, dass die jahrelangen Massenproteste sich in klimagerechte Realpolitik nicht übersetzen konnten.

Schon eine ganze Weile ist die gesellschaftliche Linke auf der Suche nach neuen Strategien und Zielbestimmungen im Kampf gegen Klimazerstörung. Unter dem Stichwort »Let’s Socialize – Vergesellschaftung als Strategie für Klimagerechtigkeit« soll nun eine Frühjahrskonferenz die Orientierung voranbringen. Vom 15. bis 17. März treffen sich über 300 Aktive aus unterschiedlichen politischen Feldern am Werbellinsee in Brandenburg, um entlang der Eigentumsfrage ihre Praxis neu auszurichten. Eingeladen haben ein Dutzend Organisationen, die für eine grundlegende Transformation der ökonomischen Verhältnisse einstehen.

»Es gibt einen Richtungswechsel in Teilen der Klimabewegung aufgrund der fehlenden Durchsetzungsperspektive emissionsfixierter Klimapolitik«, konstatiert Lasse Thiele vom Konzeptwerk Neue Ökonomie im Gespräch mit ak. »Die Appelle an die Politik und das Bitten um demokratische Regulierung haben ihr Ende gefunden«, ergänzt seine Kollegin Mascha Schädlich: »Die Bewegung erkennt immer mehr, dass das Klima eine Systemfrage ist.« Beide sind an der Planung der Konferenz beteiligt und beschäftigen sich seit Jahren mit Konzepten des Gemeineigentums und bedürfnisorientierter Wirtschaft.

Die Forderung nach Vergesellschaftung ist wohl so alt wie der Kapitalismus selbst. Nach einem langen Dornröschenschlaf trat sie 2021 – mit dem erfolgreichen Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co Enteignen in Berlin – wieder in den politischen Diskurs ein. Daraufhin kamen im Folgejahr über eintausend Linke aus dem deutschsprachigen Raum für eine erste Vergesellschaftungskonferenz in Berlin zusammen. Aus dieser Konstellation sei auch der Impuls für die kommende Veranstaltung erwachsen, so Schädlich: »Für das Wohnen wurde schon sehr viel vorgedacht. Wir wollen die Erkenntnisse jetzt auf weitere Bereiche übertragen.« Vier Themenstränge stehen am Wochenende im Fokus: Energie, Mobilität, Care und Landwirtschaft.

Den Blick schärfen für die ökonomischen Verhältnisse

Im Energiesektor gibt es seit einigen Jahren bereits ein Projekt, das nicht nur namentlich an den Berliner Vorreiter anschließt: RWE & Co enteignen. Vergesellschaftung dürfte bei Kohlekonzernen allerdings anders aussehen als bei Wohnungsunternehmen. »Eignet man sich die fossilen Industrien an, oder schafft man sie gleich ab? Das ist eine Frage, die in der Kampagne viel diskutiert wird«, berichtet Thiele: »Die Idee ist natürlich nicht, mit massiven öffentlichen Geldern abzuwrackende Industrien aufzukaufen und damit nur die Verluste zu sozialisieren.« Wie eine demokratisch organisierte und gemeinwohlorientierte Energieproduktion stattdessen aussehen könnte, wird eine der zentralen Fragen auf der Konferenz sein.

Offensichtlicher scheint es im Bereich der Mobilität zu sein, schließlich ist der öffentliche Personennahverkehr ein genuin klimafreundliches Gewerbe. Mit dem von Fridays for Future und ver.di initiierten Bündnis #WirFahrenZusammen (ak 700) gibt es auch hier bereits ein Vorbild, wie klima- und sozialpolitische Ziele gemeinsam erstritten werden könnten. Ob sich die Allianz für einen besseren ÖPNV in Richtung Vergesellschaftung zuspitzen lässt, ist allerdings fraglich. Doch gilt der Brückenschlag zwischen Arbeitskampf und Klimastreik jetzt schon als Blaupause für die Zukunft der Klimagerechtigkeitsbewegung und könnte den Blick für ökonomische Verhältnisse schärfen.

Die Konferenz scheint einen Nerv zu treffen: Fast 800 Anmeldungen sind eingegangen, obwohl es nur 320 Plätze gibt.

»Wir wollen eine Wirtschaft, in der Sorgearbeit im Zentrum steht. Denn eine Gesellschaft, in der es nicht um Profite, sondern um menschliche Bedürfnisse geht, ist zweifellos klimafreundlicher«, argumentiert Schädlich. Die Konferenz soll daher gleichsam an die Erfolge der Krankenhausstreiks anschließen. Auch die unbezahlten Sorgetätigkeiten müsse man in den Blick nehmen: »Es ist nicht zufällig, dass die vergleichsweise wenigen Industriejobs im Klimadiskurs so viel Aufmerksamkeit bekommen«, merkt Thiele an. »Einerseits, weil das klassisch männlich konnotierte Arbeiten sind, andererseits, weil sie gewerkschaftlich verhältnismäßig gut abgesichert und gut bezahlt sind.« Im Care-Bereich sieht das ganz anders aus. Wie Vergesellschaftung hier – über die bloße Rekommunalisierung von Krankenhäusern hinaus – umgesetzt werden kann, gilt es noch auszuloten.

Ebenso in der Landwirtschaft: Sie ist von der Klimabewegung bisher nicht nur wenig politisiert worden, sondern scheint ihr in weiten Teilen antagonistisch gegenüberzustehen. Allerdings hängen die jüngsten Bauernproteste gegen die Kürzung klimaschädlicher Subventionen auch mit dem Höfesterben und der Kapitalkonzentration in Händen weniger Großunternehmen zusammen. Anhand der Eigentumsfrage könnten die Ziele der bäuerlichen Landwirtschaft mit dem Klimaschutz auf neue Art vermittelt werden. Nicht ohne Grund findet die Konferenz bereits im März statt: »Wir wollten von Anfang an Menschen aus dem progressiven Teil der Landwirtschaft einbinden, was nur außerhalb der Hochsaison möglich ist«, erläutert Thiele. »Mit den Entwicklungen der letzten Wochen merken wir, dass das genau die richtige Entscheidung war.« 

Von der Klima- zur Vergesellschaftungsbewegung

Die Konferenz scheint in vielerlei Hinsicht einen Nerv zu treffen: Fast 800 Anmeldungen sind eingegangen, obwohl nur 320 Plätze zu vergeben waren. »Wir haben versucht, eine Mischung zu finden aus Leuten, die schon viel Erfahrung haben und Menschen, die Zeit und Lust haben, neu mitzuarbeiten«, erklärt Schädlich: »Die Grenze zwischen Referierenden und Teilnehmenden verschwimmt dabei sehr stark.« Ihr sei es ein Anliegen gewesen, die deutsche Gesellschaft möglichst getreu abzubilden, beispielsweise in der Ost-West-Verteilung oder dem Grad der Akademisierung. 

Ob so die Klimabewegung einen neuen Anstoß gewinnt oder sich gar zu einer Vergesellschaftungsbewegung erweitert, bleibt abzuwarten. Nicht nur inhaltlich könnte sie von der Verbreiterung profitieren, auch taktisch öffnen sich neue Möglichkeiten. Rechtlich könnte sie den bisher ungenutzten Artikel 15 des Grundgesetzes in Stellung bringen, der die Sozialisierung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmittel ermöglicht. »Wir werden jedoch nicht nur juristische Kämpfe führen«, wendet Schädlich ein. »Streiken, organizen, besetzen, aber auch putzen, teilen oder gärtnern sind Taktiken, mit denen wir das Anliegen der Vergesellschaftung vorantreiben wollen.« Auf der Konferenz soll es Raum geben, aus diesen Ideen konkrete Projekte zu entwickeln, um sie im Anschluss an das Wochenende in die Praxis zu überführen.

Hanno Hinrichs

studiert Philosophie und ist in der Interventionistischen Linken aktiv.

»Let’s Socialize – Vergesellschaftung als Strategie für Klimagerechtigkeit«, 15.–17. März, am Werbellinsee; vergesellschaftungskonferenz.de/