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|ak 714 | Diskussion |Reihe: Funktioniert das?

Funktioniert das? Linker Putsch

Von Johannes Tesfai

Ein Panzer aus Pappe davor und darauf rote Fahnen, um ihn herum viele Menschen
Am Jahrestag des linken Putsches fuhren in den 1980er Jahren auch mal Papp-Panzer durch die Straßen Lissabons. Foto: Henrique José Teixeira Matos/ Wikimedia, CC BY-SA 3.0 Deed

Was Donald Trump gerade mit seinen Executive Orders macht, bezeichnen einige Beobachter*innen als administrativen Putsch. Dass es ein Adjektiv braucht, hat vor allem damit zu tun, dass es ein klares Bild von Putsch gibt. Oftmals versteht man darunter, dass einige reaktionäre Offiziere aus dem Militär unter Einsatz oder Drohung von Waffengewalt eine demokratisch gewählte Regierung absetzen, das Parlament suspendieren und Jagd auf die Opposition (in der Regel Linke) machen. Mit scharfer Repression knipsen sie in der Gesellschaft das Licht aus. Es bedeutet eben nicht nur das Ende von Wahlen, sondern den Versuch, die gesamte Gesellschaft einem toxischen Mix aus Religion, Vaterland und Familie zu unterwerfen.

Als im April 1974 in Lissabon die Panzer rollten, befand sich das Land bereits seit vielen Jahrzehnten unter der Herrschaft einer rechten Diktatur. In den Panzern saßen diesmal aber keine Rechten, sondern Linke. Europa schaute auf ein seltenes Stück politischen Umbruchs: einen linken Putsch. Eigentlich eine Unmöglichkeit, denn im Namen von Recht und Ordnung die Regierung zu übernehmen und die Gesellschaft wie einen Kasernenhof zu verwalten, befriedigt autoritäre Fantasien.

Auch für das portugiesische Militär galt eigentlich das, was für die meisten Armeen der Welt gilt. Ihr Aufbau gleicht einer Karikatur der realen Klassenaufteilung der Gesellschaft. In den unteren Rängen finden sich vor allem Menschen aus der Arbeiter*innenklasse. Volle Befehlsgewalt haben hingegen Offiziere, sie rekrutierten sich in früheren Jahrhunderten vor allem aus dem Adel und wurden mit dessen Abstieg durch Söhne des Großbürgertums verdrängt. Durch den langwierigen Kolonialkrieg, den Portugal in Angola und Mosambik führte, wurde der Militärdienst in den oberen Schichten allerdings immer unpopulärer. Immer mehr Offiziere wurden daher aus der Arbeiter*innenklasse rekrutiert. Sie hatten wenig mit den Interessen der Großgrundbesitzer gemein, die in Portugal eine wichtige Stütze der Diktatur waren. Einige wenige dieser Offiziere hatten zuvor als Bildungsaufsteiger studiert und an den Hochschulen im Verborgenen linke Ideen diskutiert, die Ende der 1960er Jahre in Europa kursierten. Mit wenig Respekt vor der kolonialen und autoritären Ordnung und einem Schuss revolutionärer Ansichten begannen sich einige Offiziere gegen die Diktatur zu verschwören.

Dass sie durch ihren Putsch nicht selbst zu Putschisten wurden, lag vor allem daran, dass sich die linken Militärs als Schutzmacht für ein zweijähriges gesellschaftliches Experiment begriffen.

Dass sie durch ihren Putsch nicht selbst zu Putschisten wurden, lag vor allem daran, dass sich die linken Militärs als Schutzmacht für ein zweijähriges gesellschaftliches Experiment begriffen. Anstatt mit autoritären Verordnungen oder einer blutigen Anwendung des Kriegsrechts zu regieren, schauten sie aus ihren Panzern wohlwollend bei Fabrikbesetzungen und der Kollektivierung der Landwirtschaft zu. Denn die Nelkenrevolution, wie der linke Putsch später in die Geschichte einging, war nicht nur der militärische Sturz einer Diktatur, sondern eine wilde Bewegung aus Streiks und Demonstrationen, die vielleicht auch dem Kapitalismus in Portugal einen schweren Schlag hätte versetzen können.

Die linken Offiziere fungierten als Militärpolizei, die einen veritablen Aufstand am Leben hielt. Denn die vielen Male, wo rechte Parteien oder reaktionäre Teile des Militärs sich die Straße oder Regierungsgewalt nehmen wollten, rückten die revolutionären Soldaten an und machten mit schweren Geschützen klar, dass die Marschrichtung des Landes links sein sollte. 

Das Bündnis aus streikenden Arbeiter*innen, linken Studierenden und Landarbeiter*innen war aber nicht von Erfolg gekrönt. Denn nicht das gesamte Militär hatte sich einem Sozialismus von unten verschrieben. Zudem blickten Westeuropa und die USA ängstlich auf das revolutionäre Experiment auf der iberischen Halbinsel. Portugal war Gründungsmitglied der Nato und die anderen Mitgliedsstaaten wollten, dass es das blieb und wieder zu geordneten kapitalistischen Verhältnissen zurückfand.

Als bewaffnete Feuerwehr der Revolution konnten die linken Offiziere zwar ein Jahr durchhalten, aber die besetzten Fabriken und kollektivierten Felder gerieten immer mehr unter Druck, weil das Land zusehends international isoliert war. Der Ruf nach Stabilität führte 1976 zu einer Verfassungsgebenden Versammlung unter sozialdemokratischer Führung. Die linken Militärs konnten die Bewegung nicht mehr künstlich am Leben halten und ohne die Revolutionspolizei waren die linken Kräfte im Land wehrlos gegenüber bürgerlichen und rechten Parteien. Die Diktatur war abgeschafft, jedoch um den Preis der Integration in das kapitalistische Westeuropa.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.