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|ak 716 | Antirassismus & Antifaschismus |Reihe: Funktioniert das?

Funktioniert das? Bezahlkarte umgehen

Von Ebi Kraatz

Der Bargeldbezug für Asylbewerber*innen ist mit der Bezahlkarte auf 50 Euro pro Monat beschränkt. Foto: PxHere

Wir wollen, dass die Bezahlkarte deutschlandweit zum Einsatz kommt, und werden ihre Umgehung beenden.« So steht es im neuen Koalitionsvertrag. In solchen Verträgen wird viel versprochen (oder angedroht); die Umsetzung steht oft auf einem ganz anderen Blatt. Fakt ist allerdings, dass die diskriminierende Bezahlkarte längst eingeführt wurde, und ebenso, dass sie umgangen wird. 

Nach einem Beschluss der Ministerpräsident*innenkonferenz von Anfang 2024 soll in allen Bundesländern eine Bezahlkarte für Asylsuchende eingeführt werden, um die bisherigen Bargeldauszahlungen bzw. Basiskonten abzulösen. Die Karte wird ausdrücklich nicht eingeführt, um den Umgang mit dem eigenen Geld zu erleichtern. Im Gegenteil: Erklärtes Ziel ihrer Einführung ist es, den Menschen, die sie bekommen, das Leben schwerer (und damit Deutschland als Ziel von Asylsuchenden unattraktiver) zu machen. Eine ihrer Haupteigenschaften ist eine Begrenzung der möglichen Bargeldabhebungen auf 50 Euro im Monat. Überweisungen und Lastschriften sind nur eingeschränkt und mit Genehmigung entsprechender Ämter möglich. Auch wenn die Ausgestaltung je nach Bundesland und Kommune unterschiedlich gehandhabt wird: Von politischer Seite ist klar kommuniziert, dass mit der Bezahlkarte die Zahl der Asylbewerber*innen gesenkt werden soll. Angebliche Zahlungen an Schlepper*innen sowie Rücküberweisungen in die Heimatländer sollen verhindert werden. Diese Behauptungen sind längst widerlegt, doch der populistischen Argumentation folgend würden durch diese Einschränkungen wichtige »Pull-Faktoren« entfallen und sogar Menschen wieder aus Deutschland ausreisen.

Die Umgehung dieser Karte wird nur nötig durch die Bargeldbegrenzung sowie eingeschränkte Überweisungs-/Lastschriftmöglichkeiten. Geflüchtete Menschen bekommen sowieso schon äußerst wenig Geld. Dadurch sind sie gezwungen, sparsam einzukaufen, also vor allem entsprechende Angebote zu nutzen, z.B. Flohmärkte, Privatverkäufe oder Sozialkaufhäuser. Hier sind digitale Zahlungsmöglichkeiten selten. Bei kleinen Läden entstehen bei Kartenzahlung oft Gebühren für die Käufer*innen. Überweisungen für Vereinsbeiträge, Klassenfahrten usw. werden verkompliziert, und die Beantragung ist für Menschen, die die deutsche (Schrift-)Sprache nicht gut beherrschen, eine Herausforderung.

Um den Menschen, die ihre Leistungen über eine Bezahlkarte bekommen, mehr Bargeldverwendung zu ermöglichen, haben sich bundesweit in vielen Städten und Kommunen Initiativen gegründet, die sogenannte Tauschaktionen durchführen. Ein simples und völlig legales System: Bezahlkarteninhaber*innen gehen in einen Supermarkt und kaufen dort eine Geschenkkarte, z.B. für 50 Euro. Diesen Gutschein bezahlen sie bargeldlos mit ihrer Bezahlkarte. Anschließend tauschen sie die so erworbene Geschenkkarte bei einer der Tauschinitiativen 1:1 in Bargeld um: Für ihren 50-Euro-Gutschein erhalten sie 50 Euro in bar. Somit ist ihre Bargeldverfügung entsprechend vergrößert.

Diese direkte Aktion sollte aber nicht den Eindruck erwecken, sich selbst zu genügen. Es bleibt die politische Forderung nach einer sofortigen Abschaffung der Bezahlkarte.

Voraussetzung für das Tauschen sind solidarische Menschen, die erstens den Tausch organisieren und zweitens mit Geschenkkarten einkaufen gehen. Das müssen gar nicht dieselben Menschen sein. Wichtig ist nur, dass sich die verschiedenen Personen vernetzen. Wenn zu Beginn genug Geld gespendet wurde, damit ausreichend Bargeld in der Kasse liegt, trägt sich das System selbst, ohne dass neues Geld hinzufließen muss.

Am Tauschtermin liegt ausreichend Bargeld in der Kasse. Bezahlkarteninhaber*innen kommen mit den Geschenkkarten, die sie vorher im Supermarkt bargeldlos erworben haben. Die Tauschinitiative gibt ihnen den Gegenwert der Geschenkkarten in bar. Am Ende des Termins ist kein Geld mehr in der Kasse, sondern sie enthält nun viele Geschenkkarten. Bis zum nächsten Tauschtermin müssen alle Geschenkkarten an »solidarische Haushalte« weitergetauscht werden (wieder 1:1 »rückwärts«), die dann mit den Karten einkaufen gehen.

Durch die Notwendigkeit, Woche für Woche diesen Rücktausch zu organisieren, entsteht ein Netzwerk von sehr verschiedenen Menschen, die ihre solidarische Haltung gegenüber Geflüchteten verbindet. Dieses Netzwerk muss zwangsläufig sehr verbindlich und regelmäßig funktionieren. Gleichzeitig ist dies kein rein technischer Zusammenhang, sondern begleitet von kontinuierlichen Gesprächen und Auseinandersetzungen über die Lebensrealität der Asylsuchenden bzw. die politischen Verhältnisse. Diese lokale Vernetzung von unten kann ein Beitrag zu der oft geäußerten Notwendigkeit von Organisierung gegen Rechtsruck, Rassismus und Faschismus sein. 

Die Bezahlkarte zu umgehen und ihren Inhaber*innen mehr Bargeld zu ermöglichen, ist ein kleiner, aber realer Beitrag zur Verbesserung der Lebensumstände von Geflüchteten. Diese direkte Aktion sollte aber nicht den Eindruck erwecken, sich selbst zu genügen. Es bleibt die politische Forderung nach einer sofortigen Abschaffung der Bezahlkarte – mindestens aber aller Restriktionen, die mit ihr verbunden sind. Deshalb sind viele der Tauschinitiativen bzw. die politischen Gruppen, die sie tragen, in den einzelnen Bundesländern und auch bundesweit vernetzt. Unter anderem im bundesweiten Netzwerk Gleiche soziale Rechte für ALLE verbindet sich der Widerstand gegen die Bezahlkarte mit anderen Kämpfen für Rechte von Asylbewerber*innen und anderen marginalisierten Gruppen.

Ebi Kraatz

ist beim Bündnis Nein zur Bezahlkarte – Gießen solidarisch aktiv.

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