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Ein fröhlicher und geselliger Mensch

Ante P. starb 2022 in Mannheim durch Polizeigewalt – der bedrückende Prozess legte offen, wie diskriminiert und gefährdet psychisch Erkrankte sind

Von Fides Schopp

Für viele Menschen endeten Begegnungen mit der Polizei in Deutschland in den vergangenen Jahren tödlich. Auch für Ante P. in Mannheim. Foto: Opposition 24/Flickr, CC BY 2.0 Deed

Ante P. hörte gerne Musik der Band Queen. Er lebte allein und bepflanzte seinen Balkon, ging arbeiten und traf Freund*innen. Seine Mutter beschreibt ihn als »fröhlichen und geselligen Menschen«.  Ante P. starb am 2. Mai 2022 im Alter von 47 Jahren am Mannheimer Marktplatz während eines Polizeieinsatzes. Was ihn mit anderen Opfern von tödlich endenden Polizeieinsätzen verbindet, ist seine psychische Erkrankung, die Einwanderungsgeschichte seiner Familie und dass er von Armut betroffen war.

Am 2. Mai 2022 war Ante P. auf dem Weg zu einem längeren Aufenthalt im Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Sein Gesundheitszustand ließ es nicht zu, dass er lange wartete, weshalb er sich dreimal vom Institut entfernte. Zweimal kam er wieder zurück. Beim dritten Mal begleitete ihn sein behandelnder Arzt, der dann auch die Polizei dazu rief und eine sogenannte Rückführung für Ante P. beauftragte, also die Polizei darum bat, Ante P. in das Zentralinstitut zu bringen. Die beiden dafür abgestellten Polizeibeamten setzten dafür Pfefferspray ein, sprangen Ante P. von hinten an, brachten ihn in Bauchlage, knieten auf ihm und verschlossen seine Hände auf dem Rücken. Während Ante P. schon auf dem Boden lag, schlug ihm ein Beamter viermal an den Kopf. Danach ließen die beiden Polizisten Ante P. fast sechs Minuten lang unbeachtet liegen. 

»Lagebedingter Erstickungstod«

Der Obduktionsbericht ergab, dass Ante P. an einem »lagebedingten Erstickungstod« starb. Daraufhin wurden die beiden Polizisten von der Staatsanwaltschaft Mannheim angeklagt. Dass eine Anklage erfolgte, ist eine Besonderheit. Laut der Studie »Gewalt im Amt« der Universität Frankfurt werden nur sieben Prozent der Anzeigen im Fall von Körperverletzungen im Polizeidienst vor Gericht verhandelt. 

Etwa zwei Jahre nach der Tat endete der Prozess mit einer Geldstrafe über 6.000 Euro für den Hauptangeklagten und einem Freispruch für seinen Kollegen.

In Mannheim hätte die Anklage zu mehrjährigen Freiheitsstrafen führen können. Anfang März 2024, etwa zwei Jahre nach der Tat, endete der Prozess jedoch mit einer Geldstrafe über 6.000 Euro für den Hauptangeklagten und einem Freispruch für seinen Kollegen. Mutter und Schwester von Ante P. waren als Nebenklägerinnen im Prozess vertreten. Sie legten Revision ein. Der Anwalt der Schwester bewertet das Urteil als »Diskriminierung von psychisch kranken Menschen«. 

In den fünf Verhandlungstagen ging es kaum um Ante P. als Mensch. Nur über seine Krankheitsgeschichte wurde ausführlich gesprochen, vonseiten der Verteidigung teilweise auf herabsetzende und stigmatisierende Art und Weise. Weshalb seine Mutter in ihren berührenden Schlussworten nur das Fazit ziehen konnte, für sie sei ihr Sohn »dadurch ein zweites Mal gestorben«.

Die Verteidigung versuchte eine Bedrohunglage aufzubauen, indem sie Ante P. als gewalttätig darstellte und die polizeiliche Gewalt als Selbstschutz rechtfertigte. Beispielsweise wertete sie das unkontrollierte Armrudern und den Versuch des am Boden liegenden Ante P., sich aufzubäumen, als Gegenwehr. Der Obduktionsbericht spricht stattdessen von einem »Todeskampf« ausgelöst durch akute Atemnot. 

Die Psychologin Katharina Lorey arbeitet an der Hochschule der Polizei Baden-Württemberg. Sie hat den Umgang der Polizei Baden-Württemberg mit psychisch kranken Menschen untersucht. Lorey verweist darauf, dass sich nicht nachweisen lässt, »dass psychisch kranke Menschen gefährlicher sind als psychisch gesunde Menschen«. Allerdings hat sie festgestellt, dass es für über die Hälfte der befragten Polizeibeamt*innen eine Herausforderung darstellt, Reaktionsweisen zu zeigen wie »beruhigen, empathisch sein, Kommunikation, ruhig bleiben sowie Vertrauen aufbauen«, wenn sie Kontakt mit psychisch kranken Menschen haben. Das führe zu einem höheren Eskalationsrisiko. 

Dringend nötige Debatte

Staatsanwaltschaft und Richterkammer folgten in ihren Schlussworten am Landgericht Mannheim dessen ungeachtet der Seite der Verteidigung. Diese hatten zwei zusätzliche Gerichtsmediziner*innen beauftragt. Sie kamen in ihren Gutachten zu dem Schluss, Ante P. sei an einem plötzlichen Herzversagen gestorben und nicht an einem lagebedingten Erstickungstod. Die äußeren Umstände, den Stress, die Schläge, das Blut in den Atemwegen von Ante P. – all das ließen sie in ihren Gutachten außer Acht. 

Kann es sein, dass bei Gericht niemand die aktuellen universitären Forschungen zu Polizeiarbeit kennt?

Der Kriminologe Thomas Feltes und der ehemalige Polizist Wolfgang Mallach schreiben in einer Veröffentlichung zum lagebedingtem Erstickungstot, Kenntnisse darüber gehörten bei der Landespolizei Baden-Württemberg seit 1999 »zum Standardprogramm in der Ausbildung von Polizeibeamt*innen«. Und sie fügen hinzu, dass man somit davon ausgehen solle, »dass das Phänomen und die damit verbundenen Gefahren bundes- und polizeiweit bekannt sind«.

Kann es trotzdem sein, dass bei Gericht niemand die aktuellen universitären Forschungen zu Polizeiarbeit kennt? Der Anwalt Lukas Theune verweist in seiner Forschung (»Polizeibeamte als Berufszeugen in Strafverfahren«) darauf, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte in ihrem Alltag auf die Ermittlungsarbeit der Polizei angewiesen sind. Dadurch bestehe ein besonderes Näheverhältnis, und Zeug*innenaussagen von Polizist*innen werde eher geglaubt. 

Dieser Umstand führte dazu, dass auch der Prozess am Landgericht Mannheim keinen Raum für Debatten über den Umgang der Polizei mit psychisch kranken Menschen öffnete. Dass diese Diskussion dringend nötig ist, bezeugen indes die Todeszahlen: Seit Ante P.s Tod sind allein in Mannheim zwei weitere Männer bei Polizeieinsätzen gestorben. 

Gemeinsam trauern

In der Stadt bildet die Initiative 2. Mai ein Gegengewicht aus der Zivilgesellschaft. Sie hat sich kurz nach Ante P.s Tod gegründet und arbeitet seitdem an einem würdevollen Gedenken. Sie hat den Prozess am Landgericht kritisch begleitet, die Angehörigen unterstützt und mit Kundgebungen immer wieder Möglichkeiten für gemeinsame Trauer und Debatten geschaffen.

Die Initiative fordert unter anderem, dass die beiden Polizisten nicht mehr in den Polizeidienst zurückkehren dürfen, mobile Kriseninterventionsteams, bestehend aus unterschiedlichen Professionen wie Sozialarbeitende und Psycholog*innen. Außerdem einen Opferfonds, der Angehörige von Opfern tödlich endender Polizeieinsätze unterstützt, sowie eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle mit eigener Ermittlungskompetenz, mehr Schutz und psychologische Betreuung von (Augen-)Zeug*innen, die Polizeigewalt miterleben müssen. Und sie fordert eine gesamtgesellschaftliche Debatte um Inklusion. 

In der gerichtlichen Auseinandersetzung um den Tod von Ante P. bleibt zu hoffen, dass die Revision erfolgreich ist und den Angehörigen doch noch so etwas wie Gerechtigkeit widerfährt. Und dass es zu einem weiteren Prozess kommt, denn am 23. Dezember 2023 wurde Ertekin Özkan von einem Polizisten erschossen – wieder in Mannheim.

Fides Schopp

arbeitet als freie Journalistin in Mannheim.

Die Initiative 2. Mai, die sich nach Ante P.s Tod in Mannheim aus der Zivilgesellschaft heraus gegründet und unter anderem den Prozess gegen die beiden Polizisten, die Ante P. getötet haben, begleitet hat, sammelt auf bettlerplace.org Spenden. Damit soll sowohl die Revision unterstützt, als auch der Familie von Ante P. unter die Arme gegriffen werden. Außerdem setzt sich die Initiative für die bessere Vernetzung von Menschen, deren Angehörige und Freund*innen durch Polizeigewalt zu Tode gekommen sind, ein. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite der Initiative: https://initiative-2mai.de