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Die Energiewende braucht Immobilienenteignungen

Das Berliner Volksbegehren zur Vergesellschaftung von Wohnungsbeständen bietet auch eine Chance für den Klimaschutz

Von Ralf Hutter

In Großstädten noch viel zu selten zu sehen: Solarmodule auf Häuserdächern. Foto: Science in HD/Unsplash

Die Energiewende ist mehr ein Mythos als ein reales Geschehen. Bekanntlich soll sie aus der ökologischen Gestaltung von Strom- und Wärmeerzeugung sowie Mobilität bestehen, und bekanntlich hat sich bei Wärme und Mobilität immer noch fast nichts getan. Der Begriff »Stromwende« ist also sinnvoller, aber auch da ist Kritik angebracht, wenn wir uns den Gehalt des Wortes »Wende« näher anschauen. Eine gewisse Wende, einen Wandel, eine Änderung hat es nämlich nur auf der Ebene des großen, letztendlich europäischen Strommarktes gegeben. Der Strom im Netz setzt sich nun anders zusammen als früher, die Mischung ist ökologischer. Erreicht worden ist das, weil – nicht nur in Deutschland – in ländlichen Gegenden viele große und immer größere Solar- und Windparks entstanden sind.

Es gibt also vor allem deshalb einen gewissen Wandel, weil an Orten, wo bisher keine Energieproduktion stattgefunden hat und wo Platz ist, etwas Neues gebaut wurde – nicht, weil etwas Altes verändert worden wäre. Die alte Energiewelt hat sich nur wenig verändert. Die Industrie verbrennt und emittiert weiter vor sich hin, lange bequem verschanzt hinter großzügig verteilten Verschmutzungsrechten. Die Kohlekraftwerke wurden von der Regierung nicht in dem Maß zurückgestutzt, wie die Ökostromanlagen zulegten, sodass bis vor Kurzem über etliche Jahre hinweg immer größere Stromexporte zu verzeichnen waren. Und in den Städten hat sich auch kaum etwas getan.

Einer der Hauptgründe für letzteres ist, lapidar gesagt: In den Städten ist kein Platz für Solar- und Windparks, sie stehen voll mit Gebäuden. Genauer gesagt: Gebäude, die überwiegend einzelnen Menschen und Firmen gehören. Menschen und Firmen, die erstens mehr oder weniger zufrieden mit ihrer Eigennutzung oder ihrem Wohnungsgewerbe sind, also keine Alternativnutzung anstreben oder Bedarf nach einer großen Neuerung haben. Und die zweitens einen gewissen Rückhalt bei den Regierungen der letzten Jahre haben. Hauseigentümer*innen haben also, vor allem wenn es sich um Firmen handelt, in der Regel keine großen Ambitionen in Sachen Energiewende – und sie werden bisher auch gesetzlich nicht dazu gezwungen.

Die städtische Energiewende findet kaum statt

Die Folge: Die Solarstromquoten in Deutschlands Städten sind skandalös niedrig, das Potenzial wird nur zu wenigen Prozent ausgenutzt und energetische Sanierungen finden nach wie vor so wenige statt, dass es im Grunde nur noch theoretisch möglich ist, den seit Jahrzehnten entstandenen Rückstand in einem vernünftigen, klimaschonenden Zeitrahmen aufzuholen. Kurz: Die städtische Energiewelt ist kaum im Wandel, nicht mal eine Stromwende findet in auch nur halbwegs angemessenem Tempo statt.

Ein ähnlich großes Hindernis wie die Bundesregierung, die den Wandel nicht mit Gesetzen erzwingen will, ist dabei das Privateigentum an Grund und Boden. Deshalb ist die viel diskutierte Berliner Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen auch für die Energiewende höchst relevant.

Unter Bezug auf Artikel 15 Grundgesetz kann ein Bundesland unter Umgehung der Bundesregierung »Grund und Boden« enteignen und »in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft« überführen. Wenn ein angespannter Wohnungsmarkt dafür Grund genug ist, sind es die Notwendigkeiten des Klimaschutzes schon lange. Die Berliner Initiative will Firmen enteignen, die mindestens 3.000 Wohnungen haben. Sie will zudem eine Anstalt öffentlichen Rechts gründen, die eine Mitbestimmung der Mietenden ermöglicht. Es geht also nicht nur um Verstaatlichung, sondern auch um Selbstermächtigung.

Derart verwaltete große Wohnungsbestände hätten mindestens die folgenden fünf Vorteile: Da in Deutschland erstens die meisten Menschen zur Miete wohnen, stellt sich das allgemeine Problem, dass die Hauseigentümer*innen über die energetische Effizienz ihrer Gebäude zwar bestimmen können, aber nicht von einer höheren Effizienz profitieren und somit tendenziell wenig Interesse daran haben. Zwar ist es möglich, nach einer energetischen Sanierung die Miete zu erhöhen und dadurch langfristig mehr Geld einzunehmen, als die Sanierung gekostet hat. Das wird auch genutzt, um Leute mit wenig Geld aus ihrer Wohnung zu vertreiben. Allerdings hat nicht einmal das zu einem deutlichen Zuwachs an Sanierungen geführt. Somit liegt die Vermutung nahe, dass die Dämmung von Wänden und Rohren sowie der Austausch ineffizienter oder generell kohlendioxidhaltiger Heizungen wahrscheinlicher wären, wenn die Mietenden darüber (mit)bestimmen könnten. Zumal die Energiewende im Grunde immer noch eine relativ große Zustimmung in der Bevölkerung erfährt.

Wenn ein angespannter Wohnungsmarkt für Enteignungen Grund genug ist, sind es die Notwendigkeiten des Klimaschutzes schon lange.

Zweitens können in einem Mietshaus mit Zentralheizung die Mietenden in der Regel nicht über die Gaslieferung bestimmen, selbst wenn z.B. alle Haushalte bereit wären, mehr zu zahlen, um Biogas zu bekommen.

Drittens könnte eine rein kommerziell motivierte Immobilienfirma zwar auf den Gedanken kommen, auf dem Dach eine Photovoltaikanlage zu installieren, denn das rentiert sich oft. Allerdings passiert das nicht allzu oft. Vermutlich haben die Firmen kein Personal, das sich darum kümmern oder überhaupt auf diesen Gedanken kommen würde. Den Strom vom Dach an die Mietenden zu verkaufen, rechnet sich zudem in Altbauten mit relativ wenigen Haushalten eher nicht, weil es viel Aufwand bedeutet. Auch in diesem Punkt haben willige Haushalte keine Chance, das selbst in die Hand zu nehmen.

Wichtig für die städtische Energiewende sind viertens Quartierslösungen. Wird Energie auf Nachbarschaftsebene erzeugt, verbraucht und zwischengespeichert, reduziert das mehrere Kostenpunkte und entlastet das allgemeine Netz. Auf so etwas haben Immobilienkonzerne offenbar wenig Lust – das ist nicht ihr Geschäft und sie können daran vermutlich auch kaum etwas verdienen. Eine Siedlung oder auch einfach ein paar benachbarte Gebäude in öffentlicher Hand und mit Selbstverwaltungselementen bieten da ein anderes Potenzial.

Fünftens kommen die staatlichen Fördergelder für kleine Lösungen wie Dach-Photovoltaik und Wärmepumpen Menschen mit Eigenheim zugute, also tendenziell den gut Situierten. Wer zur Miete wohnt, profitiert normalerweise nicht von immer weiter sinkenden Kosten der Solarstromerzeugung. Wenn Mietshäuser dem Allgemeinwohl verpflichtet sind und die darin Wohnenden Mitspracherechte haben, kann die Energiewende sozialer gestaltet werden und Menschen erreichen (materiell wie mental), die sich vorher nicht dafür interessiert haben und die auch gar nicht das Geld gehabt hätten, sich daran zu beteiligen.

Sozialismus muss ökologisch sein

Das Berliner Volksbegehren und der ursprüngliche Anstoß der Energiewendebewegung haben eine Gemeinsamkeit: den Wunsch nach Selbstermächtigung in einem Bereich der elementaren Grundversorgung, nach Unabhängigkeit von Konzernen.

In antikapitalistischen Kreisen – und aus solchen kommt Deutsche Wohnen & Co enteignen – ist das Potenzial der dezentralen Energiewende für eine Selbstermächtigung beziehungsweise für die Vergesellschaftung eines bedeutenden Produktionsbereichs allerdings unterthematisiert. Das ist eine bemerkenswerte analytische Schwäche angesichts der Möglichkeiten in diesem Bereich, die viel besser sind als in so ziemlich allen anderen. Der Kapitalismus beruht auf der räumlichen Konzentration der Produktivkräfte. Das Prinzip Dezentralität steht ihm nicht hundertprozentig entgegen, aber doch sehr stark, denn unter anderem erschwert es das Entstehen dominanter Firmen. Übrigens würden wir mit der dezentralen, beteiligungsoffenen Energiewende nicht nur die Energiekonzerne weitgehend los, sondern auch die Mineralölwirtschaft. Denn Autos und Busse führen dann überwiegend mit Strom von privaten und kommunalen Dächern. Gleichzeitig kämen dann unsympathische Regimes in Schwierigkeiten: Russlands größter Konzern Gazprom etwa, der größte Gaskonzern der Welt, zahlt jedes Jahr Milliarden Euro an Steuern, manchmal im hohen zweistelligen Bereich.

Auf der anderen Seite ist die Energiewendebewegung offenbar überwiegend blind für die Eigentums- und Systemfrage, für das Anpacken der materiellen Grundlagen der Gesellschaft. Statt die Frage zu diskutieren, inwieweit eine Vergesellschaftung der Energieinfrastruktur der Energiewende zuträglich wäre, konzentriert sich die Szene traditionell auf Appelle und auf Marktlösungen. Die Distanz zu fundamentalen staatlichen Eingriffen ist insoweit verständlich, als die Energiewende normalerweise gegen die herrschenden Parteien durchgesetzt werden musste und heute durch die entstandene Marktdynamik die Regierungen auf dem ganzen Planeten vor sich her treibt. Dennoch: Es ist verwunderlich und traurig, wie selten das Beweinen drastischer und immer drastischerer aktueller und zukünftiger Umweltprobleme bei den Ökos zu drastischen Lösungsvorschlägen führt.

Gemeinsame Kampagnen für die Enteignung von Immobilienfirmen könnten sowohl die traditionell-sozialistischen Akteure als auch den marktwirtschaftlich orientierten Teil der Energiewende-Bewegung auf ein höheres Reflexionsniveau führen.

Ralf Hutter

ist freier Journalist in Berlin.

Dieser Text ist die leicht veränderte Fassung eines Artikels, der am 19. April bei den Klimareportern erschien.