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Auf dem Spiel steht alles

Der Kampf um GKN, eine besetzte Fabrik nahe Florenz, geht in die wohl letzte Runde  

Von Lucia Steinwender

Mehrere Menschen haben sich eingehakt und bilden die erste Reihe einer Demonstration, für den Erhalt der besetzten Automobilteilefabrik GKN bei Florence/Italien. Einige Reihen weiter hinten halten Menschen ein Strangentrasparent in die Höhe, mit einer italinischen Aufschrift.
An Silvester demonstrierten erneut GKN-Arbeiter*innen für den Erhalt ihres Werkes am Standort Campi Bisenzio – gemeinsam mit Menschen aus der Gegend und mit Bewegungsaktivist*innen. Foto: Antonella Bundu

Barrikaden bauen« lautete das Motto, unter dem die ehemalige Belegschaft von GKN Florenz ihre Unterstützungsbewegung in der Silvesternacht zur besetzten Fabrik mobilisierte. Denn ein erneuter Entlassungsprozess mit Stichtag 1. Januar 2024 hätte der längsten Betriebsversammlung in der Geschichte Italiens um ein Haar den Garaus gemacht. Seit zweieinhalb Jahren hält die Belegschaft die ehemalige Autozulieferfabrik im industriellen Florenzer Vorort Campi Bisenzio nun schon besetzt. (Siehe ak 694)

Nachdem die damals gut 400 Arbeiter*innen am 9. Juli 2021 allesamt ihre plötzliche Kündigung erhalten hatten, brachten sie das Werk noch am selben Tag – Betretungsverbot und Securities zum Trotz – unter ihre Kontrolle. Aus dem Arbeitskampf wurde binnen kürzester Zeit eine breite gesellschaftliche Bewegung, die Zehntausende für die selbstverwaltete, klimagerechte Wiederaufnahme der Produktion auf die Straße brachte. Statt Achswellen für FIAT, Maserati, Ferrari & Co sollten nunmehr Lastenräder und Solarpaneele vom Fließband rollen.

Beispiel mit Strahlkraft

Die Strahlkraft dieses Praxisbeispiels der Transformation von unten ist nicht zu unterschätzen – gerade in einem politischen Moment, in dem rechte Kräfte in ganz Europa das neoliberale Transformationsprojekt des grünen Kapitalismus zu ihren Gunsten nutzen: Ängste werden geschürt und Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigt. GKN hingegen entlarvt den oft behaupteten Widerspruch von Arbeiter*inneninteressen und klimagerechtem Umbau als einen falschen.

Inmitten der rasant fortschreitenden Prekarisierung in Italien gelingt es, den Kampf um konkrete materielle Verbesserungen mit dem Kampf für Klimagerechtigkeit zu verbinden. »Ich denke, wir sollten uns vom Ausdruck ›Kämpfe verbinden‹ verabschieden. Wenn wir für höhere Löhne streiken, kämpfen wir für die Fähigkeit, uns selbst zu reproduzieren. Das Gleiche gilt für Auseinandersetzungen um ein funktionierendes Gesundheitssystem, Sorgearbeit, saubere Luft und die Verteidigung unserer Lebensgrundlagen gegen die Klimakrise. Das alles ist ein Kampf – mit dem Ziel, Produktion und Reproduktion demokratisch zu organisieren«, sagte Dario Salvetti, ehemaliger Betriebsrat und Kernaktiver bei GKN, bei einer Podiumsdiskussion im November.

Der Bewegung ist es gelungen, reale Gegenmacht aufzubauen.

Dass die Bewegung so breite Teile der Gesellschaft mobilisiert, liegt wohl aber auch daran, dass es ihr gelungen ist, reale Gegenmacht aufzubauen – sogar über den konkreten Konflikt hinaus. Als Campi Bisenzio im vergangenen Herbst überschwemmt wurde, wurde das selbstverwaltete Werk zum Epizentrum der selbstorganisierten Katastrophenhilfe innerhalb der Nachbarschaft – und zur realen Vision davon, wie (Re-)Produktion nach gesellschaftlichen Bedürfnissen tatsächlich aussehen könnte. Auch der Plan für die Reindustrialisierung hat Hand und Fuß: in Kollaboration mit Wissenschaftler*innen entwickelt, wird seine Finanzierung aktuell durch ein Shareholder-Modell organisiert.

Die Idee: Neben der Arbeiter*innenkooperative, die das Herzstück der Selbstverwaltung bildet, sollen auch Nachbar*innen aus Campi Bisenzio und Klimaaktive aus Hamburg als Anteilseigner*innen in die demokratische Planung der Produktion einsteigen. Vereine, Bewegungen, Arbeitnehmer*innen, Gewerkschaftsdelegierte, solidarische Gruppen oder Einzelpersonen können seit Herbst mit einem finanziellen Beitrag Mitglied der Genossenschaft werden. So wurden binnen drei Monaten bereits 600.000 der nötigen 1.000.000 Euro mobilisiert. Mithilfe einer weiteren Million, die der Staat aufgrund eines Gesetzes hinzufügen müsste, könnte die selbstverwaltete Produktion somit gestartet werden. Der klimagerechte Umbau von unten scheint zum Greifen nahe – und strahlt als Leuchtturmprojekt schon jetzt über die Grenzen Italiens hinaus.

Auf der Kippe

Umso dramatischer, dass mitten in der heißen Finanzierungsphase ein neuerlich eingeleitetes Kündigungsverfahren seitens des Eigentümers die Zukunft des Projekts erneut ins Wanken brachte. Die linke Stadträtin Antonella Bundu steckte mitten in den Vorbereitungen für die Silvestermobilisierung zur Verteidigung der Fabrik, als am 28. Dezember das Gerichtsurteil hereinflatterte. Mit guten Nachrichten: Das Kündigungsverfahren ist vorläufig gestoppt. Es ist ein weiterer Etappensieg für die Bewegung, die durch das Urteil sechs Monate Zeit gewinnt, um die fehlenden 400.000 Euro zusammenzubekommen. Bundu ist optimistisch: »Die Unterstützungsbewegung ist größer denn je«, so die Stadträtin gegenüber ak. Das ist auch in der Silvesternacht nicht zu übersehen: 7.000 Menschen sind in den Industrievorort Campi Bisenzio gekommen. Unter den vielen Freiwilligen, die Mahlzeiten kochen, Barschichten übernehmen und beim Aufbau helfen, sind Unterstützer*innen aus der Umgebung, die das Rentenalter bereits erreicht haben dürften, ebenso wie junge Aktivist*innen aus Pisa, Perugia oder Rom.

Die gelungene Mobilisierung sei auch bitter nötig, meint Salvetti. Denn während die Bewegung nach außen wächst, bröckelt es innen gewaltig: »Wir kämpfen jetzt seit zweieinhalb Jahren. Viele von uns sind mittlerweile zynisch, hoffnungslos oder schlicht finanziell dazu gezwungen, eine andere Arbeit zu suchen.« Als der Eigentümer Borgomeo das Kurzarbeitsgeld im November 2022 rechtswidrigerweise für acht Monate einstellte, verlor die Belegschaft über 100 Kolleg*innen. Kein Wunder, dass alle Alarmglocken schrillen, als am 2. Januar 2024, wenige Tage nach dem Triumph, der nächste Niederschlag folgt: Der Eigentümer Borgomeo stellt das Kurzarbeitsgeld an die verbliebenen 181 Arbeiter*innen erneut ein. »Selbst wenn er nach Monaten dazu verpflichtet wird, die Gehälter zurückzuzahlen – die verlorenen Kolleg*innen bringt das nicht zurück. Borgomeo pokert darauf, dass es bis Juni niemanden mehr zu entlassen gibt, weil unser Kampf bis dahin ausgehungert ist«, meint Dario Salvetti.

Shareholderkampagne entscheidend

Zwar fordert die Bewegung und die Gewerkschaft FIOM nach wie vor eine Intervention seitens des Staates – diese ist unter der Meloni-Regierung aber unwahrscheinlicher denn je. Die letzte Chance, dem Projekt endgültig zum Sieg zu verhelfen, sind nun die fehlenden 400.000 Euro durch die Shareholderkampagne. Auf dem Papier hat die Bewegung durch das Gerichtsurteil dafür sechs Monate Zeit gewonnen. Doch Salvetti zweifelt, ob die verbliebene Belegschaft eine so lange Zeit ohne Löhne übersteht: »Wir haben nicht mehr viel Zeit, um diesen Kampf zu gewinnen.«

2024 wird wohl den Sieg oder den Fall des zweieinhalbjährigen Kampfes um GKN bringen. Angebrochen ist das Jahr mit einem Silvesterfeuerwerk, das kurz nach Mitternacht in eine kämpferische Demo überging. Tausende zogen singend und Solidarität skandierend durch das nächtliche Industriegebiet Campi Bisenzio. Laut wurde an die benachbarten Fabriktore von Mondo Convienza geklopft, wo sich kürzlich ebenfalls ein Arbeitskampf entzündete. Noch ist ungewiss, welchen Ausgang die junge Bewegung um das GKN-Werk nimmt. »Aber die Herrschenden saßen ohne (sie) sicherer«, wie Bertolt Brecht einst formulierte, so viel steht fest.

Lucia Steinwender

war in den letzten Jahren in verschiedenen Klimakämpfen in Wien aktiv und berichtet über internationale Proteste.