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|Thema in ak 694: Klimabewegung, wie weiter?

Ein ökosozialistisches Labor?

Die demokratische Konversion des ehemaligen Autozulieferers GKN in der Toskana

Von Lukas Ferrari und Julia Kaiser

Die GKN-Fabrik von schräg oben fotografiert, ein rotes Banner prangt an der Wand.
Seit zwei Jahren besetzt: der ehemalige GKN-Autozuliefererbetrieb in Campi Bisenzio bei Florenz. Foto: Cedric Büchling

Der Kampf des Collettivo di Fabbrica GKN ist in Italien und teils auch in Deutschland zum ökosozialistischen Symbol und einem Hoffnungsträger geworden. Vor knapp zwei Jahren, am 9. Juli 2021, erhielten die gut 500 Arbeiter*innen des Autozuliefererbetriebes GKN in Campi Bisenzio bei Florenz ihre Kündigung. Die Verlagerung des toskanischen Standortes ist Teil einer Schließungswelle, die ein GKN-Werk nach dem anderen trifft. Das Unternehmen war 2017 vom britischen Private-Equity-Fonds Melrose Industries übernommen worden. Dessen Motto lautet knapp und unverblümt: »Buy, improve, sell«. Im Januar dieses Jahres wurde auch den GKN-Arbeiter*innen in Zwickau-Mosel die Schließung ihres Werkes angekündigt. 

Nachdem die Arbeiter*innen von Campi Bisenzio ihre Entlassungsmail erhalten hatten, durchbrachen sie die Ketten des Werkschutzes und verschafften sich Zugang zum Werk. Sie beriefen eine permanente Betriebsversammlung ein, die bis heute andauert. Unter dem Motto »Insorgiamo« (Erheben wir uns), das den florentinischen Partisan*innen entlehnt ist, kämpfen sie seither nicht nur für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Im Bündnis mit Fridays for Future, einem Kollektiv solidarischer Wissenschaftler*innen und großen Teilen der toskanischen Zivilgesellschaft setzen sie sich für eine ökologische Konversion ihres Werkes ein. Arbeiter*innen und Wissenschaftler*innen haben in den vergangenen Jahren verschiedene Produktionsalternativen entwickelt: Elektrolyseure zur Herstellung von grünem Wasserstoff, Achswellen für Busse, Photovoltaikanlagen und Lastenräder seien auf Grundlage der Fähigkeiten der Arbeiter*innen, der Gegebenheiten in der Fabrik und aus ökologischer Perspektive sinnvolle zukünftige Produktionsvorhaben, so wird es in ausführlichen Konversionsplänen beschrieben.

Ein Climate Turn der Arbeiter*innen- und ein Labour Turn der Klimabewegung sind nicht nur in Bereichen wie dem öffentlichen Verkehr möglich.

Auf Demonstrationen mit bis zu 40.000 Teilnehmenden wurde die Entlassungswelle in der italienischen Industrie sowie das Ausbleiben einer ökologischen Wende in den letzten zwei Jahren skandalisiert und der Umbau der Fabrik gefordert. Denn von Beginn an war allen Akteur*innen klar: Für eine wirklich soziale und ökologische Zukunft in der Toskana und darüber hinaus braucht es eine Massenmobilisierung, welche die Entscheidung zwischen Jobs oder Klimaschutz ablehnt und eine demokratische, soziale und ökologische Systemalternative für alle einfordert: »Per questo, per altro, per tutto«, heißt es in den Reden der Arbeiter*innen, man kämpfe »für dieses, für jenes, für alles«. 

Das Collettivo di Fabbrica hat in den letzten zwei Jahren zweierlei gezeigt. Erstens: Ein »Climate Turn« der Arbeiter*innenbewegung und ein »Labour Turn« der Klimabewegung sind nicht nur in Bereichen wie dem öffentlichen Verkehr möglich. Gemeinsame Forderungen und Kämpfe von Arbeiter*innen und Klimaaktivist*innen lassen sich ebenso in ökologisch schädlichen Branchen wie der Automobilindustrie entwickeln. 

Zweitens: Forderungen nach einer ökologischen Konversion der Automobil- oder Rüstungsindustrie, die in Europa seit den 1980er Jahren kaum noch eine Rolle spielten, könnten zumindest in der politischen Linken wieder an Aufwind gewinnen. Darauf deutet zumindest das große Interesse der italienischen und deutschen Klimabewegung am Kampf des Fabrikkollektivs hin. Inspiriert von ihrem Kampf wurde zum Beispiel unmittelbar nach der Bekanntgabe der Schließung des nächsten GKN-Standortes in Zwickau-Mosel ein Schreiben von zahlreichen Klimagruppen unterzeichnet, in dem die Solidarität mit den Arbeiter*innen bekundet und nach dem Vorbild des italienischen Konversionskampfes eine ökologische Alternative für das Zwickauer Werk gefordert wurde. Auch der Klimastreik im Frühjahr in Zwickau wurde von den Fridays for Future Aktivist*innen aus Zwickau explizit in Solidarität mit den Kolleg*innen aus dem GKN-Werk ausgerufen. Der Fall GKN zeigt aber auch, dass im kapitalistischen System ein demokratischer, sozialer und ökologischer Umbau der Produktion fast unmöglich scheint. 

Obwohl die Arbeiter*innen von Ex-GKN ihren Kampf sowohl am Verhandlungstisch mit dem zuständigen Ministerium, dem neuen Fabrikbesitzer und ihrer Gewerkschaft FIOM-CGIL als auch auf der Straße führten und zudem einen detaillierten Plan zur Wiederaufnahme der Produktion vorlegen konnten, kamen sie ihrem Ziel nicht wirklich näher. Der neue Eigentümer, Francesco Borgomeo, sprach zwar von eigenen Transformationsvorhaben, kündigte aber Ende März erneut den Verkauf des Werks an. Weder der Staat noch Borgomeo haben Pläne zur Reindustrialisierung vorgelegt. 

Die Arbeiter*innen schlagen deshalb notgedrungen einen eigenen Weg ein: Sie gründeten kürzlich eine Genossenschaft und starteten diesen Frühling ein Crowdfunding. Damit soll der Grundstein für eine selbstverwaltete Produktion gelegt werden. Innerhalb weniger Wochen wurden 170.000 Euro gespendet. In den kommenden Monaten startet Phase zwei: Im Rahmen eines Equity Crowdfundings sollen größere Summen gesammelt, um Kredite aufnehmen und Maschinen kaufen zu können. Trotz des erfolgreichen Crowdfundings ist die Stimmung im Fabrikkollektiv derzeit spürbar angespannt, wie im Ende Mai geführten Interview mit Dario Salvetti, einem der Kernaktiven, deutlich wird. Das liegt auch daran, dass im November die Zahlung des Kurzarbeitergeldes ausgesetzt wurde. Die Folge: Viele Arbeiter*innen sind gezwungen, sich Jobs in anderen Fabriken zu suchen.

Lukas Ferrari

ist Dolmetscher und Politikwissenschaftler und beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Geschichte Spaniens und besonders mit der Region Katalonien. Dorthin organisiert er regelmäßig Bildungsfahrten.

Julia Kaiser

ist Soziologin an der Uni in Leipzig und erforscht schwerpunktmäßig sozial-ökologische Transformationskonflikte und Allianzen. Sie ist politisch aktiv in der Partei Die Linke in Leipzig.

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