Feuer auf der Avenida de Mayo
Während die internationale Rechte Milei feiert, organisieren sich in Argentinien immer mehr Menschen gegen seine Politik
Von Robert Samstag

Kettensäge, Kettensäge!« Sichtbar erfreut schwenkt Tech-Milliardär und US-Regierungsberater Elon Musk brüllend das Gerät, das ihm Javier Milei auf der Bühne der rechten Konferenz Conservative Political Action Conference (CPAC) Ende Februar in Washington überreichte. Der Auftritt des argentinischen Präsidenten machte erneut den Status deutlich, den er innerhalb der globalen Rechten für seinen kompromisslosen Abbau des Sozialstaates genießt. Seine Kettensäge ist zum internationalen Symbol radikaler Sparpolitik geworden. Doch während er von Donald Trump gelobt wird, lässt die Welle an massiven Demonstrationen gegen seine marktradikale Politik seit Jahresbeginn nicht nach und stürzt ihn in seine erste tiefe Krise.
Rechter Kulturkampf in den Schweizer Alpen
Alles begann am 23. Januar, als der argentinische Präsident in seiner Rede vor dem Internationalen Wirtschaftsforum in Davos zu einem Rundumschlag gegen den »kulturellen Marxismus« ausholte. Zu diesem »Gedankenvirus der Woke-Ideologie«, der die »freien Länder des Westens« befallen habe und wie ein »Krebsgeschwür« vernichtet werden müsse, gehörte neben dem »unheilvollen radikalen Klimaschutz« und der »umgekehrten Kolonisierung« durch »Horden von vergewaltigenden und mordenden Immigranten« die »kriminelle Gender-Ideologie«. In seiner reaktionären Hasstirade ging Milei soweit, Homosexualität mit Kindesmissbrauch gleichzusetzen, und positionierte sich gegen Rechte von trans Menschen und jegliche Politik zur Gleichstellung der Geschlechter als »absurde Auswucherung des Feminismus«.
Die Antwort auf diese brutale Provokation ließ nicht lange auf sich warten. Mitten in den Sommerferien wurden Versammlungen durch die LGBTIQ-Bewegung organisiert, und am 1. Februar gingen im ganzen Land Hunderttausende auf die Straßen, um sich gegen die homo- und transphoben Aussagen des Präsidenten zu stellen. »Wir verteidigen unsere Rechte wie die gleichgeschlechtliche Ehe, das Recht auf Abtreibung, das Gesetz auf Geschlechtsidentität auf der Straße, weil wir sie hier erkämpft haben«, erklärt Sofia, Kunststudentin an der Nationalen Universität Córdoba und trans Aktivistin. Wie viele andere sieht auch sie eine Verbindung zwischen der zunehmenden Gewalt an Frauen und trans Menschen und dem Diskurs der Regierung. »Die Gewalt gegen unser Kollektiv war nie weg, doch jetzt wird sie von oben befeuert. Damit wollen sie uns spalten und ihre Kürzungspläne noch einfacher durchsetzen.« Mit der Regierung verbundene rechte Trolls verbreiten immer aggressivere Hassdiskurse auf sozialen Netzwerken, die in physischen Gewalttaten gegen Schwule, Lesben, trans Menschen münden, wie der Lesbizid an drei Frauen in einem Frauenhaus in Buenos Aires im vergangenen Jahr.
Bei den traditionellen Demonstrationen anlässlich des Internationalen Frauenkampftages am 8. März kamen erneut Menschenmassen in allen größeren Städten des Landes zusammen gegen die Angriffe der Regierung auf das Recht auf Abtreibung und den Versuch, den besonderen Straftatbestand des »Femizids« abzuschaffen. Rednerinnen und feministische Organisationen zeigten auf, wie die Kürzungspolitik der Regierung Frauen besonders trifft: von Kürzungen für Tafeln, bei Verhütungsmitteln und Sexualbildung bis hin zu Programmen zum Schutz von Vergewaltigungsopfern oder häuslicher Gewalt.
Auch die Erinnerungskultur an die Gräueltaten der Militärdiktatur, die zwischen 1976 und 1983 30.000 Arbeiter*innen, linke Aktivist*innen, Frauen und Jugendliche verschwinden und ermorden ließ, ist ein Ziel des Kulturkampfes der Milei-Regierung. Vize-Präsidentin Victoria Villaruel stammt aus einer Militärfamilie und ist die Figur der Bewegung, die den Staatsterror der Diktatur rechtfertigt und heute an der Spitze des Staates steht. Anlässlich des Gedenktages am 24. März verbreitete die Regierung ein Video, in dem sie die Positionen der Militärjunta übernahm und das Ausmaß ihrer Verbrechen leugnete. In den größten Städten des Landes versammelte sich über eine halbe Million Menschen, um sich gegen den Negationismus zu stellen und die Aufklärung und Bestrafung aller Beteiligten am Staatsterrorismus zu fordern.
Brennende Barrikaden bei Rentenprotesten
Der Mobilisator für diese massive Beteiligung an den traditionellen Demonstrationen war jedoch nicht nur die Kampferklärung an die feministischen Errungenschaften und die Erinnerungskultur. Die Zunahme der Repression und die Einschränkung des Demonstrationsrechts bekommen seit Regierungsbeginn all diejenigen zu spüren, die sich gegen ihre Sparpolitik zur Wehr setzen. Besonders hart getroffen wurden davon die Rentner*innen: Ein Viertel aller Haushaltseinsparungen geht auf die Rentenkürzungen zurück, fünf Millionen Rentner*innen leben unter der Armutsgrenze.
»Die Mindestbezüge liegen bei 285.000 Pesos (ca. 250 Euro) und selbst mit zwei Mindestrenten können wir die gestiegenen Strom-, Gas- und Wasserrechnungen kaum bezahlen«, erläutert Cristina, eine Rentnerin aus Buenos Aires in ihrer Küche. »Dazu kommt, dass die kostenlose Medikamentenausgabe abgeschafft wurde, genauso wie die Subventionen für palliative Behandlungen oder für auf Stromversorgung angewiesene Patienten. Und durch die Stellenstreichungen in öffentlichen Krankenhäusern ist die Behandlung dort noch defizitärer als ohnehin«, erläutert sie. Wie viele andere nimmt auch sie an den Demonstrationen von Rentner*innen teil, die mithilfe linker Organisationen seit Monaten für höhere Renten auf die Straße gehen.
Besonders hart getroffen wurden davon die Rentner*innen: Ein Viertel aller Haushaltseinsparungen geht auf die Rentenkürzungen zurück, fünf Millionen von ihnen liegen unter der Armutsgrenze.
Neben Cristina sitzt Graciela, die ebenfalls seit dem ersten Tag an den Demonstrationen teilnimmt. Sie ergänzt: »Die Regierung ließ das Rentenmoratorium auslaufen, mit dem man auch in Rente gehen konnte, wenn der Arbeitgeber nicht in die Rentenkasse eingezahlt hatte, weil man zum Beispiel keinen Arbeitsvertrag hatte oder als Hausfrau tätig war. Acht von zehn künftigen Rentner*innen werden dadurch nur noch Anspruch auf 80 Prozent der Mindestrente haben. Das reicht nicht zum Leben aus. Schon jetzt müssen viele von uns unsere Familien um Unterstützung bitten, die selbst mit ihren Mitteln am Limit sind.«
Im Viertel von Cristina und Graciela versammelten sich immer mehr Menschen, »um uns gegen dieses perverse System zu stellen«, sagen sie. »Dann haben wir beschlossen, jeden Mittwoch vor dem Parlamentsgebäude zu demonstrieren. Jedes Mal sind die Sicherheitskräfte mit einem unverhältnismäßig großen Aufgebot von Wasserwerfern, Pferdestaffeln und Tränengas da, jedes Mal wurden wir geschlagen und haben Tränengas abgekommen«, berichten die beiden Frauen weiter. Nachdem die Polizei wiederholt Rentner*innen mit Schlagstöcken von der Straße vertrieb, organisierten sich Fußballfans verschiedener Vereine und riefen zum Rentenprotest am 12. März auf, um sie vor der Polizeigewalt zu schützen.
Doch am Demonstrationstag ließen die Sicherheitskräfte die Menschenmenge gar nicht erst zusammenkommen, und der Polizeieinsatz artete in einer unkontrollierten Gewaltorgie aus. Der Fotograf Pablo Grillo, der die Repression dokumentierte, wurde von einem Tränengasgeschoss am Kopf getroffen und liegt immer noch auf der Intensivstation. Die Avenida de Mayo, eine Prachtstraße im Stadtzentrum mit französischer Architektur, die Kongress und Präsidentenpalast im Stadtzentrum verbindet, war gefüllt vom Rauch brennender Mülltonnen und dem Tränengas der Polizei. Wasserwerfer jagten Gruppen von Demonstrierenden durch die Seitenstraßen. Doch etwas hatte sich verändert: Die Protestierenden zogen sich nicht einfach zurück, sondern hielten der Repression über mehrere Stunden hinweg stand. Die Bilder der brennenden Barrikaden machten deutlich, dass die Regierung die Kontrolle über die Straße zumindest zeitweise verloren hatte – ein schwerer Schlag für den offiziellen Law-and-Order-Diskurs.
Auch die Gewerkschaftsdachverbände erkannten, dass die anhaltenden Proteste kein Randphänomen waren, sondern Ausdruck eines wachsenden Unmuts von Teilen der arbeitenden Bevölkerung. Viele der prekär Beschäftigten leiden selbst unter den Sparmaßnahmen, 185.000 Stellen wurden im vergangenen Jahr abgebaut, und die Löhne im informellen Sektor liegen zehn Prozent unter dem Vorjahresniveau. Bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst beträgt der Gehaltsverlust sogar 30 Prozent.
Auch sie sehen, wie ihre Großeltern oder Eltern zu kämpfen haben, und unterstützten den Protest. Mit einer für die bürokratischen Führungen typischen Verspätung organisierten sie den ersten Generalstreik seit einem Jahr am 10. April, der durch die hohe Beteiligung im Transportsektor in großen Teilen des Landes wie ein Feiertag wirkte. Doch braucht es noch mehr, um die verschiedenen Kämpfe gegen Kürzungen, Entlassungen und den reaktionären Kulturkampf zu verbinden, wie es die besonders in Teilen der Gewerkschaftsbewegung starke trotzkistische Linke fordert. Cristina ist optimistisch, dass ein solcher gemeinsamer Kampf möglich ist: »Wir Rentner*innen haben die Lunte angezündet, und wir hoffen, dass sie der Anfang eines großen Feuers wird, um die nötigen Veränderungen zu bringen.«