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|ak 721 | Diskussion

Eine gut laufende Kampagne ist nicht genug

Widersetzen mobilisiert viele Menschen, doch für eine handlungsfähige antifaschistische Bewegung braucht es noch mehr

Von Demos neu denken

Menschen beim Widersetzen-Protest in Gießen demonstrieren und halten Schilder gegen die AfD.
Antifaschismus braucht langfristige Organisierung – und mehr als nur punktuelle Kampagnen. Foto: Santiago Rodriguez / Flickr, CC BY 4.0

Die IL Antifa AG hat in ihrem Artikel »Widersetzen: Mehr als Brandmauer« für eine antifaschistische Bewegung plädiert, die versucht, über die AfD empörte Menschen zu aktivieren. Die Autor*innen fokussieren sich in ihrer Analyse von Widersetzen auf den Aufbau von Gegenmacht und darauf, wie wir Menschen erreichen können, für die der Bruch der Brandmauer ein erster Schritt zur tiefer greifenden Politisierung war. Wir als Demos-neu-denken-Initiative unterstützen dieses Ziel vollkommen. Allerdings zeigt sich unserer Ansicht nach, dass eine Kampagne wie Widersetzen gewisse Grenzen hat, um dieses Ziel zu erreichen.

Es ist ehrlich von den Autor*innen, als Ziel von Widersetzen den Bewegungsaufbau und die Organisierung zu formulieren und nicht nur auf die Blockade-Auswirkungen auf die AfD oder die Öffentlichkeitswirkung zu schauen. Dass die Blockaden von Widersetzen vor allem symbolischen Charakter besitzen, zeigt sich schon daran, dass mit anhaltenden Blockadeerfolgen bei den Aktionen gar nicht gerechnet wurde und die Rückfahrten der Busse direkt am Nachmittag geplant waren. Auch wenn die erreichten Verzögerungen sicher lästig für die AfD waren, waren sie vielleicht sogar schon eingeplant. Und auch über die Berichterstattung wird wohl kaum der AfD das Wasser abgegraben werden können.

Drohender Kampagnenkater

Die Mobilisierung ist die größte Stärke von Widersetzen, besitzt jedoch auch die Einschränkungen einer Kampagnenlogik: Die Praxis ist zwangsläufig stark festgelegt. Für viele zentrale Fragen ist dabei kein Raum und sie bleiben damit offen: Wie sollten Menschen sich organisieren? Was sind Vor- und Nachteile gegenüber anderen Ansätzen wie klassischer Antifa-Arbeit oder solidarischer Nachbarschaftsarbeit? Vor allem aber ist Widersetzen mit der Ambivalenz konfrontiert, strategisch ein Mittel zum Bewegungsaufbau sein zu wollen, aber innerhalb der eigenen Kommunikation und Praxis das Kampagnenziel (Blockieren von AfD-Parteitagen) als Selbstzweck zu setzen, um für die Kampagne zu begeistern. Eigentlich müsste eine solche Kampagne die Menschen langfristig von sich weg organisieren, hin zu eigenständigen Organisierungen. Dabei müsste sie es schaffen, die eigene Werkzeughaftigkeit offen zu thematisieren, bevor die freigesetzte Energie von dem oft auftretenden Kampagnenkater eingeholt wird.

Wir glauben, dass, selbst wenn wir der sehr optimistischen Einschätzung der Autor*innen zur Widersetzen-Kampagne folgen, sie ihr größeres Ziel von Gegenmachtaufbau verfehlen muss, da sich aus einer Kampagne nicht ohne Weiteres eine Bewegung machen lässt. Auch wenn Widersetzen durch breite Bündnispolitik von diversen gesellschaftlichen Gruppen unterstützt wird, kann derzeit nicht von einer gesamtgesellschaftlichen antifaschistischen Bewegung gesprochen werden. Zum einen, weil Widersetzen hauptsächlich aus einem jüngeren und wahrscheinlich studentischen Milieu rekrutiert (das allerdings sehr gut). Zum anderen, weil das Bündnis nicht an gesamtgesellschaftlichen Problemlagen, sondern eben »nur« bei der AfD ansetzt. Beide Punkte sind keine direkten Mängel von Widersetzen, solange man es als gut funktionierende Kampagne sieht und nicht als umfassende antifaschistische Bewegung, wie es teilweise im Artikel angedeutet wird.

Es gibt heute kaum einen Unterschied zwischen einer linksradikalen Demo und einer bürgerlichen »Geht-Wählen«-Demo.

Widersetzen kann somit nur mit einer spezifischen Praxis eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe ansprechen. Wenn wir jedoch eine handlungsfähige antifaschistische Bewegung schaffen wollen, müssen wir über eine einzelne Kampagne hinausdenken.

Verpasste Chance

Mit den Nie-wieder-ist-Jetzt- und Brandmauer-Protesten gab es zwei große Protestwellen in Deutschland, bei denen es nicht gelungen ist, eine antifaschistische Bewegung aufzubauen, und wir als organisierte Linke kaum Einfluss nehmen konnten.

Wir glauben, dass das Scheitern dieser Proteste vor allem an unserer Denk- und Organisationsweise bei Demos liegt. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen einer linksradikalen Demo und einer bürgerlichen »Geht-Wählen«-Demo – abgesehen von den Redner*innen und den Sprechchören. Beide sind sie hoch-asymmetrische und passive Räume, der Zuhörende und Sprechende, Organisierende und Teilnehmende strukturell trennen. Einige wenige produzieren die Demo als Event, während die anderen sie konsumieren.

Demos sind die niedrigschwelligste und bekannteste Aktionsform. Wenn eine Person schon einmal etwas getan hat, das sie als politisch empfunden hat, dann war es wahrscheinlich der Besuch einer Demo. Der Schritt von einer Demo zu Organisierung, und damit zu einem Bewegungsaufbau, ist jedoch sehr groß – auch für die 20.000 Menschen, die nach Gießen zur Demo gefahren sind. Und die Struktur von Demos trägt nicht dazu bei, diesen Schritt irgendwie zu erleichtern. Um das zu ändern, müssen wir Demos wieder als Versammlungen denken, mit dem Ziel, durch Austausch Selbstorganisation zu initiieren.

Demos als Bewegungsaufbau

Demos sollten als sozialer Begegnungsraum strukturiert werden, in dem die Fragen, die die Menschen bewegen und wegen derer sie auf Demos gehen, tatsächlich behandelt werden – vor allem die Frage: Was tun? 

Um auf diese Frage eingehen zu können, müssen wir aufhören, in den Demoreden ständig herunterzubeten, warum die Menschen bereits da sind, und uns an ein ominöses Außen zu richten, das in der Regel gar nicht zuhört. Stattdessen sollten wir Demos als Bewegungsöffentlichkeiten verstehen, die sich auf relevante Bewegungsfragen konzentrieren. Es sollte weniger Reden und weniger »Latschen«und »Herumstehen« geben und stattdessen mehr aktiven Austausch.

Ein Minimum wäre, statt einer Rede zumindest Kleingruppendiskussionen zu moderieren. Das würde die anonyme Distanz einer Demo aufbrechen und ermöglichen, miteinander ins Gespräch zu kommen – allein das würde einen Raum der kollektiven Meinungsbildung öffnen, der persönlicher Handlungsunfähigkeit entgegenwirkt.

Auf dem letzten Klimastreik in Hannover endeten wir mit Kleingruppen, und so war dann einer von uns am Schluss mit einer Schüler*in, einer Person, die zum ersten Mal auf einer Demo war, sowie zwei Mitgliedern von Architects for Future in einer Gruppe. Obwohl dort Welten aufeinandertrafen, war die Begegnung sehr lebendig und wir diskutierten mit Tee noch anderthalb Stunden nach der Demo weiter.

Größer gedacht könnten thematische Kleingruppen eröffnet werden, in denen gezielt Fragen behandelt werden, die die Menschen angesichts der Faschisierung bewegen: Was tue ich gegen rechte Menschen am Arbeitsplatz? Was tue ich gegen die AfD? Was tue ich gegen die Sozialkürzungen? Wie können wir uns gegenseitig unterstützen? So können Menschen, die ähnliche Fragen umtreiben, zusammengebracht werden. Gleichzeitig gibt dies organisierten Gruppen die Möglichkeit, gezielt Handlungsperspektiven in diesen Austausch einzubringen und dadurch Selbstorganisation zu ermöglichen. Auch der Zugang zu bestehenden Gruppen kann so wesentlich erleichtert werden. So könnte eine wirklich gesamtgesellschaftliche antifaschistische Bewegung entstehen, die von unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen aus gegen die Auswirkungen von Faschisierung kämpft.

Die nächste Intervention vorbereiten

Bewegungsmomente können nicht herbeiorganisiert werden, aber wir können sie gestalten, wenn sie auftreten – und sie werden kommen. Der Faschismus wird nicht an die staatliche Macht gelangen, ohne dass es zu großen Protestwellen kommt. Als organisierte Strukturen müssen wir uns daher die Frage stellen, welche Vorbereitungen wir für solche Protestmomente treffen müssen.

Erstens: Wie müssen Demos gestaltet sein, damit von ihnen aus Organisierung möglich ist? 

Zweitens: Welche Perspektive wollen wir als organisierte Linke in die Bewegungsräume der Demos einbringen?

Drittens: Wie müssen unsere Strukturen gestaltet sein, damit sie möglichst viele Menschen ansprechen und deren Politisierung fördern – ohne dass sie durch Szene- oder andere Sozialdynamiken unzugänglich werden?

Selbst ohne Protestmomente können wir viel gewinnen, wenn wir Demos anders gestalten. Denn wie viele Menschen sehen wir alle Vierteljahre mal auf einer Demo, die aber sonst kaum aktiv sind?  Wie viele von uns gehen nur aus Pflichtgefühl zu Demos und verbinden sie nur noch mit lustlosen Shouts und langweiligen Reden?

Demos neu denken

ist eine Initiative im Aufbau mit dem Ziel, Demos für Bewegungsaufbau umzunutzen und damit die unhinterfragte Vorherrschaft der klassischen Appell-Demo aufzubrechen. Sie setzt sich aus Menschen der Klimagerechtigkeitsbewegung zusammen, die der Frust über wirkungslose Klimastreiks und Brandmauerproteste zusammengebracht hat. Mehr unter: demosneudenken.noblogs.org

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