analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 678 | International

»Solange Amazon nicht unterschreibt, werden wir kämpfen«

Nazma Akter organisiert Kolleg*innen in Bangladeschs Textilfabriken

Interview: Hans Stephan

Demonstration am internationalen Protesttag gegen Amazon am 26. November 2021, dem Black Friday. Foto: Sommilito Garment Sramik Federation

Amazon tritt den Kund*innen in Deutschland zumeist als Onlinehändler entgegen. Allerdings besitzt der Konzern auch eigene Modelabels mit Namen wie find oder truth & fable. Wie viele andere westliche Marken produziert Amazon seine Kleidung in Bangladesch. Die Sommilito Garments Sramik Federation (SGSF) will die Lage der Arbeiter*innen in den Fabriken, in denen Amazon produziert, verbessern. Große Demonstrationen der Gewerkschaft gab es etwa im Rahmen des internationalen Protesttages gegen Amazon am 26. November 2021, dem Black Friday. Die Aktivistin Nazma Akter berichtet in einem E-Mail-Austausch, den wir hier dokumentieren, über Bangladeschs Bekleidungsindustrie und Amazons Agieren in dem Land.

Welche Bedeutung hat die Textilbranche für die Wirtschaft Bangladeschs?

Nazma Akter: Bangladesch ist einer der größten Bekleidungsproduzenten der Welt. In den letzten 25 Jahren war die Textilindustrie der wichtigste Wirtschaftszweig im Export. Der Wert des gesamten Textilexports liegt bei jährlich fünf Milliarden Dollar. In dem Sektor arbeiten drei Millionen Menschen, von denen 90 Prozent Frauen sind. 

Warum ist es so attraktiv für Unternehmen, Kleidung in Bangladesch zu produzieren?

Man kann sagen: Anstatt auf der Seite der Arbeiter*innen zu sein, ist das Recht auf der Seite der Geschäftsleute. Niedrige Löhne und die fehlenden Jobalternativen machen es aus Sicht der globalen Wertschöpfungskette einfach, von Bangladesch aus zu produzieren. Wenn der Lohn niedrig ist, werden die Arbeiter*innen automatisch verwundbarer. Nicht nur Amazon, sondern auch andere Marken produzieren in Bangladesch. 

Die Textilproduktion ist das einzige Feld, in dem Amazon derzeit in Bangladesch tätig ist. 

Wie produziert Amazon in Bangladesch?

Amazon ist noch nicht lange in Bangladesch präsent und gerade dabei, das Geschäft auszuweiten. Amazon produziert in unterschiedlichen Fabriken. Die einzelne Fabrik produziert dabei nicht nur für Amazon. Unsere Gewerkschaft wächst in den großen Industrieregionen. Derzeit ist sie vor allem in den Regionen Dhaka und Chittagong tätig. (1) Die Textilproduktion ist das einzige Feld, in dem Amazon derzeit in Bangladesch tätig ist. 

Amazon betreibt keine Warenlanger in Bangladesch. Können die Arbeiter*innen überhaupt den Onlinehandel theoretisch nutzen?

Derzeit nicht. Amazon produziert hier nur. Die reicheren Klassen können die Amazon-Webseite von anderen Ländern nutzen. In Anbetracht der Versandkosten und der Lieferzeiten kann es sich die Mittelschicht oder die arme Bevölkerung dagegen nicht leisten, Dinge auf der Amazon-Website zu kaufen. Wir haben aber unsere lokalen Onlinehändler, die immer beliebter werden so wie Daraz oder Foodpanda. (2)

Kannst Du uns mehr über eure Gewerkschaftsarbeit bei Amazon berichten?

Die SGSF ist vor allem in der Bekleidungsindustrie tätig. Wir setzen uns für Vereinigungsfreiheit, Tarifverträge, Frauenrechte, die Beseitigung geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz, existenzsichernde Löhne und soziale Sicherheit ein. In den verschiedenen Fabriken, in denen Amazon produzieren lässt, setzen wir uns für die Gründung von Gewerkschaften ein. Wir starteten im Rahmen der letzten beiden Make-Amazon-Pay-Aktionstage 2020 und 2021 die größten Kampagnen der Welt. An vielen Orten wie in Alabama in den USA sind Amazon-Arbeiter*innen mit Problemen konfrontiert. Wir haben unsere Solidarität durch Botschaften in den sozialen Netzwerken zum Ausdruck gebracht.

Am 24. April 2013 stürzte das Rana Plaza Gebäude ein, wobei 1133 Menschen starben und tausende Menschen ernsthaft verletzt wurden. Daraufhin haben 200 Firmen eine rechtlich bindende Vereinbarung, den Accord, unterschrieben. Wir üben nun Druck auf Amazon aus, diese Vereinbarung ebenfalls zu unterschrieben. Solange Amazon nicht unterschreibt, werden wir unseren Kampf fortsetzen.

Nazma Akter

ist ehemalige Textilarbeiterin und heutige hauptamtliche Gewerkschafterin in Bangladesch. Sie begann mit elf Jahren zu arbeiten. Neben ihrer Tätigkeit in der SGSF ist sie Gründerin der Awaj Foundation, die sich für Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie einsetzt. 

Was bedeutet es für die Arbeiter*innen, wenn Amazon ihn nicht unterschreibt? 

Es handelt sich um eine unabhängige und rechtlich verbindliche Vereinbarung zwischen den Firmen und den Gewerkschaften, gemeinsam an einer sicheren Textilindustrie in Bangladesch zu arbeiten. Die Vereinbarung erstreckt sich auf Fabriken, in denen Konfektionskleidung produziert wird, aber teilweise auch auf Produzent*innen von Heimtextilien oder Accessoires aus Stoff. Auch schon in den Jahren vor dem Einsturz von Rana Plaza war es in Bangladesch zu unzähligen tödlichen Bränden in Fabriken gekommen. Der Accord wurde geschaffen, um ein Arbeitsumfeld zu ermöglichen, in dem Arbeiter*innen keine Feuer oder andere Unfälle, die durch angemessene Sicherheitsmaßnahmen verhindert werden können, fürchten müssen. Unserer Meinung nach sollte die Gewährleistung der Sicherheit in der Fabrik vor jeder Art von Unfall für jede Marke oberste Priorität haben. Einige Unternehmen, die für Amazon arbeiten, haben den Accord unterschrieben, aber Amazon selbst als mächtigste Firma nicht. Das besorgt mich sehr. Wenn eine Firma den Accord nicht unterschreibt, dann ist das ein klarer Hinweis darauf, dass dieses Unternehmen die Rechte der Arbeiter*innen nicht respektiert. Und genau das tut Amazon nicht. 

Gewerkschaftswahl in Bessemer/ USA wird wiederholt

Der gewerkschaftliche Kampf bei Amazon in den USA geht weiter. Im Zeitraum vom 4. Februar bis zum 25. März 2022 sollen Arbeiter*innen am Standort Bessemer im US-Bundesstaat Alabama erneut an einer Wahl teilnehmen können, bei der erneut darüber abgestimmt werden soll, ob man sich vor Ort der Handelsgewerkschaft RWDSU (Retail, Wholesale and Department Store Union) anschließt oder nicht. Dies hat die Arbeitsschutzbehörde NLRB (National Labor Relations Board) Anfang Januar 2022 mitgeteilt. 
Spricht sich die Mehrheit für einen Beitritt aus, wäre es das erste Mal, dass sich Amazon im US-amerikanischen Raum direkt mit einer Gewerkschaft auseinandersetzen muss. Im vergangenen Jahr war die Gewerkschaft mit der Abstimmung deutlich gescheitert: Von den 5.876 wahlberechtigten Arbeiter*innen im Lager hatten lediglich 3.041 an der Wahl teilgenommen und nur 738 für die Gewerkschaft gestimmt.
Daraufhin gab es Vorwürfe, der Konzern habe Einfluss auf die Wahl genommen, so die Aufseher*innen der Arbeitsschutzbehörde. Laut Anhörungsbeauftragten des NLRB haben sich Arbeiter*innen vor und während der Abstimmung von Amazon u.a. überwacht gefühlt. Aufgrund dieser Kritik und einer potenziellen Einmischung Amazons ist nun die erneute Abstimmung nötig.

Was sind weitere Kritikpunkte an Amazons Agieren in Bangladesch?

Die meisten Arbeiter*innen in den Textilfabriken sind junge Frauen aus ländlichen Regionen. Sie sind zwischen 14 und 45 Jahre alt, aber nicht älter, denn länger können sie nicht in den Textilfabriken arbeiten. Das liegt an den langen Arbeitszeiten und dem hohen Druck, den die Arbeiter*innen in der Produktion ausgesetzt sind. Die Arbeiter*innen verdienen weniger als 100 Dollar. Das ist nicht viel in Bangladesch. Das entspricht ungefähr 8.000 Taka. Es ist nicht genug für die Miete, Medizin und so weiter. In Bangladesch sind die Lebenshaltungskosten sehr hoch, und in dieser Situation können sich die Arbeiter*innen mit 100 Dollar nicht einmal das Nötigste leisten.

Arbeiter*innen in den globalen Lieferketten sind vielen Diskriminierungen ausgesetzt, wobei geschlechtsspezifische Gewalt eine der abscheulichsten ist. Arbeiterinnen werden in der Fabrik, im Haus und auf der Straße sexuell belästigt. Deshalb kämpfen wir für die Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt in allen Lebensbereichen. Dazu gehören auch Gesetze, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verhindern.

Hans Stephan

forscht zu Arbeitskämpfen im Logistiksektor und unterstützt den Arbeitskampf bei Amazon.

Anmerkungen:

1) Hierbei handelt es sich um die beiden größten Städte Bangladeschs. In Chittagong befindet sich Bangladeschs wichtigster Hafen, von dem aus die Kleidungsstücke in die ganze Welt verschifft werden.

2) Daraz ist ein E-Commerce-Unternehmen, das mit der Unterstützung des deutschen Risikokapitalgebers Rocket Internet 2012 in Pakistan gegründet wurde. Foodpanda ist ein appbasierter Essenslieferdienst, der zu Delivery Hero gehört. Foodpanda ist vor allem in Asien präsent. Die Etablierung auf dem deutschen Markt wurde erst im Dezember 2021 wegen mangelnder Erfolgsaussichten abgeblasen.