Ein amerikanisches Produkt
Ist Trump ein Faschist? Darüber streiten Linke und Intellektuelle in den USA schon lange, seine zweite Amtszeit wirft neue Fragen auf
Von Lukas Hermsmeier

Fast zehn Jahre liegt es mittlerweile zurück, dass Donald Trump die goldene Rolltreppe des Trump Towers in Manhattan hinunterglitt, um vor Fans und Presse seine Präsidentschaftskandidatur bekanntzugeben. Quasi seit diesem Tag im Juni 2015 wird in den USA diskutiert, ob der Mann ein Faschist ist. Die sogenannte »fascism debate« hat dabei etliche Volten geschlagen, mal erhellend, mal ermüdend, und es ging nie nur darum, was Trump programmatisch vorhat, wie radikal-transformativ seine Ziele sind, sondern es war immer auch eine identitäre Erkundung. Kann es sein, dass der Trumpismus gar keinen Bruch darstellt, sondern vor allem amerikanische Traditionen fortführt?
Der Historiker Timothy Snyder zählte zu denen, die früh Parallelen zwischen dem europäischen Faschismus der 1930er Jahre und der Gegenwart sahen, unter anderem darin, dass Trump, genau wie Hitler damals, die Demokratie von innen aushöhle und um sich herum einen gewaltbereiten Kult errichte. Als eine von Trump aufgeheizte Meute am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington D.C. stürmte, sah sich Snyder bestätigt. Auch für den Historiker Robert Paxton, der lange gewarnt hatte, Trump vorschnell einen Faschisten zu nennen, war »January 6« eine Zäsur. Paxton ist seither davon überzeugt, dass der Begriff zutreffe, wenngleich er in Frage stellt, ob er strategisch nützlich sei.
Andere Expert*innen halten das Label bis heute für unpassend. Der Politikwissenschaftler Corey Robin etwa verwies darauf, dass Trump weder eine organisierte Massenbewegung hinter sich noch gegen sich habe, dass also die Bedingungen des Faschismus nicht existierten. Trumps Position sei vergleichsweise schwach, argumentierte Robin, was man unter anderem an dessen Abhängigkeit von Institutionen wie dem Supreme Court erkenne. Robin betonte immer wieder, dass er Trump nicht verharmlosen wolle, aber in ihm keinen Faschisten sehe, sondern vielmehr einen rechten Konservativen neoliberaler Prägung, der die Ordnung unter dem Strich bestätige.
Chaos und Überwältigung
Dieses Argument, dass Trump die bestehende Ordnung bewahre, ist im Frühjahr 2025 kaum noch haltbar. Der 47. Präsident der USA hat seit seiner Amtseinführung so viele demokratische Regeln gebrochen, so viele rechtsradikale und potenziell verfassungswidrige Verfügungen erlassen, so viele Verträge und Allianzen aufgekündigt, dass man von einem autoritären Umbruch sprechen muss, zumindest vom Versuch dessen.
Viele seiner Versprechen wird Trump zwar nicht erfüllen können, manches ist auch nur zum Schauspiel und als Aktionismus gedacht. Genug Entscheidungen haben allerdings schon jetzt fatale materielle Konsequenzen, zum Beispiel, wenn es um die Kürzungen in der Gesundheitsversorgung und Entwicklungshilfe geht. Die größten Krisen stehen indes wohl noch bevor. Sollte Trump seine aggressive Zollpolitik durchziehen, scheint ein wirtschaftlicher Abschwung fast zwangsläufig. »Donald Trump ist auf dem besten Weg, der erste Präsident zu werden, der absichtlich eine schwere Depression herbeiführt«, schreibt der Journalist Robert Kuttner.
Am Ende lässt sich der Trumpismus nur in seiner hybriden Form, zwischen amerikanischer Tradition, Tech-Akzelerationismus und neuen internationalen autoritären Allianzen verstehen.
Wieviel Umbruch diese Regierung will, wurde zuletzt vor allem außenpolitisch deutlich. Die jahrzehntelang gültige Allianz zwischen den USA und Europa: passé. Ob es die Nato in ein paar Monaten in der jetzigen Form überhaupt noch gibt: ungewiss. Im Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat der US-Präsident klargemacht, wem er sich näher fühlt. Vereint sind Trump und Putin in der Ablehnung jeder emanzipatorischen Politik und in der Mythologisierung einer goldenen Vergangenheit. Make America und Russia Great Again. Man muss wirklich kein Fan der bestehenden Institutionen und Ordnungen sein, um das alles mit Sorge zu beobachten.
Trump 2.0 bedeutet Chaos und Überwältigung. Manches ist lange geplant, anderes wird einfach mal ausprobiert. Diese Doppelstrategie kommt vor allem beim Umbau des Staates zum Einsatz, vorangetrieben von Elon Musk, der ohne demokratische Legitimation durch die Räume des Apparates stürmt und seinen libertären Fantasien nachgehen darf, während seine Unternehmen vom Staat mit Milliarden gefördert werden.
Zehntausende Beamt*innen wurden gefeuert, ganze Behörden demontiert, obwohl es für derartige Eingriffe eigentlich Parlamentsbeschlüsse bräuchte. Was in manchen Medien als »Bürokratieabbau« verklärt wird, ist vielmehr eine Art administrativer Putsch. Gerichte intervenieren zwar und stoppen die Regierung hier und da. Schon jetzt allerdings kommt die Justiz an ihre Grenzen. Über die Entscheidung des Supreme Courts, TikTok zu verbannen, hat sich Trump hinweggesetzt. Sollte das zum System werden, wäre auch die These von Corey Robin hinfällig, dass Trump zu sehr auf die Institutionen angewiesen sei, um als faschistisch zu gelten.
Trump mit Umberto Eco betrachtet
Die Frage ist natürlich, an welcher Definition von Faschismus man sich überhaupt orientiert. Nimmt man eine der bekanntesten, nämlich die des italienischen Schriftstellers Umberto Eco, der in den 1990er Jahren »vierzehn Merkmale des Ur-Faschismus« zu Papier brachte, dann bleibt kaum etwas anderes übrig, als in Trump einen faschistischen Führer zu sehen.
Mit »Make America Great Again« beschwört Trump einen Kult der Tradition, was Eco als erstes Merkmal festhielt. Kritik und wissenschaftlicher Einspruch werden von Trump als Verrat betrachtet (Merkmal 4), wie sein obsessiver Kampf gegen Medien, Universitäten und politische Gegner*innen beweist. Die Angst vor Andersartigkeit (5) zeigt sich unter anderem darin, dass trans Menschen seit Januar offiziell die Existenz abgesprochen ist. Appelle an die frustrierte Mittelschicht (6) gehören zu jeder Rede von Trump. Die Abriegelung der Grenze begründet der US-Präsident mit vermeintlichen Verschwörungen gegen die Nation (7). Wer Trumps Treiben der vergangenen Dekade verfolgt hat, von der Goldenen Rolltreppe über »Grab ’em by the pussy« bis zur erhobenen Faust nach dem Attentat auf ihn im letzten Sommer, wird kaum bezweifeln, dass Elitedenken (10), Heldeninszenierung (11) und Chauvinismus (12) zu seinem Wirken und Denken gehören.
Es ist in gewisser Weise erstaunlich, dass fast alle von Ecos Merkmalen, die er auch mit Blick auf seine eigenen Erlebnisse als Kind im italienischen Faschismus der 1940er Jahre festhielt, im Jahr 2025 auf ein amerikanisches Staatsoberhaupt zutreffen. Das liegt aber auch daran, dass die Punkte so vage gehalten sind, dass sie irgendwie zu den meisten rechten Führungspersönlichkeiten passen. Man muss Faschismus zwar als Spektrum und Prozess verstehen, je fluider man das allerdings tut, desto größer ist auch das Risiko, die Unterschiede zwischen damals und heute zu verwischen.
Trump mag ein bisschen wie Hitler und Mussolini sein. Jemand, der aus dem New Yorker Establishment kommt und sein Leben lang in seiner Heimat als Unternehmer, Fernsehstar und Politiker gewirkt hat, sollte jedoch primär als amerikanisches Produkt verstanden werden.
Von der »Black Radical Tradition«, also linken Schwarzen Denker*innen und Aktivist*innen, wird sowieso schon seit rund einem Jahrhundert auf die faschistischen Elemente amerikanischer Politik hingewiesen. Der Soziologe W.E.B Du Bois analysierte die rassistischen Jim-Crow-Gesetze, die im Süden der USA bis Mitte des 20. Jahrhunderts galten, im expliziten Vergleich mit dem europäischen Kolonialismus und Faschismus. Leute wie George Jackson und Angela Davis sahen später in der extremen Polizeigewalt gegenüber Schwarzen und im anwachsenden Prison-Industrial-Complex ebenso etwas Faschistisches. Wenn sich Trump wünscht, dass auf Black-Lives-Matter-Demonstrant*innen geschossen wird, oder wenn sich das Weiße Haus an raschelnden Fußfesseln bei Abschiebeflügen erregt, oder wenn das kriminelle Department of Homeland Security einen palästinensischen Studenten der Columbia University festnimmt, obwohl dieser mit Green Card legal im Land ist, und in einen anderen Bundesstaat entführt, ohne einen Haftbefehl zu zeigen, dann kann man das auch als Fortführung eines »racial fascism« verstehen.
Konvergenz dreier Strömungen
Einerseits macht Trump also typisch amerikanische Politik. Sowohl die Bekämpfung linker Bewegungen als auch radikale Kürzungen des Sozialstaates gehören seit Jahrzehnten zum Ziel fast aller Präsidenten. »MuskTrump ist Reaganismus auf Steroiden«, schrieb Corey Robin kürzlich. Dazu passt, dass auch der Slogan »Make America Great Again« von Reagan aus den 1980er Jahren geklaut wurde. Trump lässt die Grenze abschotten, genau wie es Bill Clinton schon in den 1990er Jahren tat. Imperiale Egotouren, von Trump mit Bezug auf Kanada, Grönland und Gaza angekündigt, gehören ebenfalls zur Tradition in diesem Land.
Andererseits hat es so etwas wie den Trumpismus wirklich noch nicht gegeben. Wie der Historiker Quinn Slobodian kürzlich ausführte, liege das Neue in der »Konvergenz dreier politischer Strömungen, die noch nie gleichzeitig so nah an der Macht waren«. Die erste, der Wall-Street-Silicon-Valley-Nexus, wolle einen »schlanken Staat, der sich darauf konzentriert, die Kapitalrendite zu maximieren«. Die zweite, angeführt von konservativen Think-Tanks, wolle einen »gefesselten Staat, der nicht in der Lage ist, soziale Gerechtigkeit zu fördern«. Und die dritte Strömung, die aus der Online-Welt des Anarcho-Kapitalismus gewachsen sei, wolle einen »zerrütteten Staat, der die Regierungsgewalt an konkurrierende Projekte dezentralisierter Privatherrschaft abtritt«, so Slobodian.
Am Ende lässt sich der Trumpismus nur in seiner hybriden Form, zwischen amerikanischer Tradition, Tech-Akzelerationismus und neuen internationalen autoritären Allianzen verstehen. Faschistoid ist das allemal. Wichtiger als eine genaue Definierung ist aber sowieso, was die Menschen daraus machen. Anders als 2017 ist der Widerstand in den USA dieses Mal zwar leiser, aber er findet trotzdem statt. Es gibt in vielen Communitys Netzwerke, um undokumentierte Migrant*innen vor der Abschiebung zu schützen. Abtreibungspillen werden per Post an Schwangere in republikanisch regierten Bundesstaaten geschickt. Gewerkschaften und linke Gruppen demonstrieren vor Tesla-Standorten gegen den autoritären Umbau des Staates. Auch Antifaschismus ist eine Mischung.
Anmerkung:
In einer früheren Fassung dieses Textes stand, dass Umberto Eco seine »vierzehn Merkmale des Ur-Faschismus« in den 1950er Jahren verfasst habe. Es war jedoch in den 1990er Jahren, der Text wurde entsprechend geändert.