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|Thema in ak 699: Alternativgeschichte(n) & vergessene Utopien

Pyramiden im Weltraum

Afrofuturismus ist weit mehr als ein ästhetisches Label

Von Faheem Alkalimāt

Man sieht einen Rechner, der mit einem Zopf zu einem Bildschirm verbunden ist.
Illustration: Donata Kindesperk

Am Ende von »Schwarze Haut, Weiße Masken« zitiert Frantz Fanon eine weithin bekannte Passage aus Karl Marx’ »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«, in der es heißt, soziale Revolutionen könnten ihre »Poesie nicht aus der Vergangenheit schöpfen, sondern nur aus der Zukunft.« Es gelte, den »Aberglauben an die Vergangenheit« abzustreifen, da der Inhalt des Kommenden über die bisher möglichen Worte hinausgehe. In Bezug auf Schwarze Geschichte und Politik, jedoch auch auf Kunst und Gestaltung lassen sich daraus Schlüsse von großer Bedeutung ziehen.

Wie der afroamerikanische Philosoph Stephen C. Ferguson II. in seinem »Werk Philosophy of African American Studies« zeigt, dominieren heute in den Black Studies Tendenzen, die sich einer mythischen und fantastischen Darstellung afrikanischer Geschichte verschrieben haben. Deren durch popkulturelle Anspielungen mutmaßlich bekanntesten Vertreter sind die sogenannten »Hoteps«, die sich gegenseitig mit Queerfeindlichkeit und Misogynoir zu überbieten versuchen – besonders Dr. Umar hat es als Meme bereits zu einer Art Kultfigur geschafft.

Doch die Problematik einer romantisierenden Verklärung von Geschichte wie auch von Subjektivität im Kontext Afrikas findet sich bereits im Denken des Poeten und ehemaligen senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Senghor, das der Literaturwissenschaftler A. James Arnold als »romantische Metaphysik« beschreibt. Senghor wiederholte die Einteilung in eurozentrische Kategorien, als er, auf eine Wiederaneignung afrikanischen Denkens zielend, Rationalität als griechisches (europäisches) und Emotionalität als afrikanisches Wesensmerkmal definierte. Auf politischer Ebene schränkte er in Übereinkunft mit der ehemaligen französischen Kolonialmacht den Handlungsspielraum des bedeutenden Ägyptologen Cheikh Anta Diop ein, der aus der Opposition heraus versuchte, nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft Afrikas zurückzugewinnen.

Sich produktiv mit dem historischen Vermächtnis Afrikas auseinanderzusetzen, bedeutet, wie der malische Kulturwissenschaftler Manthia Diawara in seinem Text »Afro-Kitsch« schreibt, eine afrozentrische Philosophie, die in der materiellen Realität Schwarzer und afrodiasporischer Menschen verankert ist und deren Sprache spricht. Es geht also weniger darum, Kemet (das alte Ägypten) oder Mapungubwe (im heutigen Zimbabwe, Südafrika und Botswana) zu rekonstruieren, sondern zu überlegen, wie beispielsweise überliefertes architektonisches oder landwirtschaftliches Wissen dazu beitragen können, die Aufgaben unserer Zeit zu lösen und Ernährungssouveränität, nachhaltige, wirtschaftliche Entwicklung und politische Unabhängigkeit zu verwirklichen. 

Soziale Revolutionen schöpfen ihre Poesie aus der Zukunft.

In den verschiedenen künstlerischen und wissenschaftlichen Bereichen, die lange vor dem Begriff Afrofuturismus Schwarzes Leben trotz dessen Negation in der Gegenwart als Realität in die Zukunft dachten, dienen afrikanische Geschichte und Kulturen als Inspiration und Orientierung. Sun Ra, dessen Science-Fiction Film »Space Is The Place« 1974 erschien, und Robert Springett, der in den 1970ern Albumcover für Herbie Hancock malte, prägten mit ihrer Bildsprache die Ästhetik von Afrofuturismus und boten in einer Situation anhaltender Unterdrückung einen hoffnungsvollen Blick in die Sterne als Ausweg. Zur gleichen Zeit veröffentlichte die Science-Fiction Autorin Octavia Butler ihre ersten Romane. Afrofuturismus ist weit mehr als ein ästhetisches Label; er ist eine kulturelle und politische Strömung – wie zu ihrer Zeit die Harlem Renaissance, die Literatur, Musik und bildende Künste mit Internationalismus und antirassistischem Kampf verband. Für die Kuratorin Ingrid LaFleur ist Afrofuturismus ein »intersektionaler, multi-temporaler und interdisziplinärer Ansatz«, der die Schnittstellen zwischen Rassifizierung und Technologie untersucht und inklusive Realitäten schafft, die nicht nur Schwarze Menschen, sondern die gesamte Menschheit befreien.

Noch konsequenter als das Hollywood-Epos Black Panther gedacht und greifbarer dargestellt ist das Projekt »Africa Is The Future« des Filmemachers Nicholas Premier. Im Jahr 2014 startete eine Crowdfunding-Kampagne mit Mockup-Covern einer gleichnamigen fiktiven Zeitschrift. In der Einleitung der heißt es: »Stell dir vor: es ist 2034. Der afrikanische Kontinent wurde in ›Vereinigte Afrikanische Republiken‹ umbenannt«.

Faheem Alkalimāt

ist Kulturarbeiter, freier Journalist, Übersetzer und in der politischen Bildungsarbeit aktiv. Er hat Sozial- und Afrikawissenschaften studiert und beschäftigt sich mit Black Studies, Global History und kritischer Museumsforschung.

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