analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|Thema in ak 691: Weltmacht China

 »Wir sollten die sozialen Kämpfe in den Mittelpunkt stellen«

Der Autor Ralf Ruckus über linke Opposition, Feminismus und Repression

Interview: Johannes Tesfai

Illustration mehrerer Personen in Arbeitskeidung auf einer grauen Fläche, außerdme zu sehen: eine große Suppenkelle
Illustration: Donata Kindesperk

Die regierungskritische Linke in China ist zwar selbst ein Produkt der chinesischen Revolution, das hindert sie jedoch nicht daran, gegen die gegenwärtige Politik zu protestieren. Was sind ihre Forderungen und wie ist oppositionelle Politik dort möglich? Ralf Ruckus gibt eine Einschätzung.

Wann hast du das erste Mal von einer linken Opposition in China gehört?

Ralf Ruckus: Ende der 1990er Jahre hörte ich, dass Arbeiter*innen gegen die Umstrukturierung von Staatsbetrieben demonstrierten und chinesische Linke den Reformkurs der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) kritisierten. Ab Mitte der 2000er Jahre baute ich Kontakte zu linken Aktivist*innen in China auf, die sich auf Kämpfe von Wanderarbeiter*innen bezogen. In beiden Fällen ging es um linke Kritik am kapitalistischen Regime und die Unterstützung der Kämpfe gegen das staatliche und private Kapital. Linke Opposition gegen die KPCh begann jedoch viel früher, nämlich gleich nach der Machtübernahme der KPCh 1949.

Was macht die Opposition in China zu einer linken?

Sie kämpft für linke Ziele. Im Sozialismus bis Ende der 1970er Jahre richteten sich soziale Kämpfe und linke Gruppen gegen die Nichteinhaltung der revolutionären Versprechen. Ausbeutung und Unterdrückung waren nicht verschwunden, und die Minderheit der privilegierten städtischen Arbeiter*innen stand der Masse von prekär Beschäftigten, Migrant*innen und Landarbeiter*innen gegenüber. In der Übergangsperiode zum Kapitalismus wandten sich Kämpfe und linke Gruppen gegen die Parteidiktatur und forderten die demokratische Kontrolle in Betrieben und Institutionen. In den letzten 30 Jahren thematisierten Linke vor allem die soziale Ungleichheit, die harten Ausbeutungsbedingungen, die Willkür der Kapitalist*innen und die Ausgrenzung von Wanderarbeiter*innen. Und sie debattieren die Entwicklung des chinesischen Kapitalismus im Land und in der Welt. Auch heute noch beziehen sich viele Linke auf eine klassenkämpferische Version des Maoismus. Andere linke Strömungen spielen eine geringere Rolle. Debatten über Dekolonisierung, das kapitalistische Weltsystem oder Feminismus, die in den letzten Jahren anderswo geführt wurden, finden auch in der chinesischen Linken statt.

Ralf Ruckus

ist seit vielen Jahren in sozialen Bewegungen aktiv und übersetzt und schreibt Texte zu Kämpfen von Arbeiter*innen, Migrant*innen und Frauen in China (und anderswo). Im März erscheint Ralfs Buch »Die Linke in China. Eine Einführung« im Mandelbaum-Verlag. Informationen und Texte finden sich auf gongchao.org und auf Ralfs Blog nqch.org. Veranstaltungen mit Ralf Ruckus zu seinem neuen Buch: Leipzig: 9. April, 19 Uhr, im Ostpassagetheater, Konradstraße 27 (über Aldi); Wien: 20. April, 18:30 Uhr, in der Libreria Utopia, Preysinggasse 26-28; Berlin: 24. April, 20 Uhr, im Buchladen Schwarze Risse, Gneisenaustraße 2a.

Durch welche Aktionen ist die linke Opposition wahrnehmbar und wie organisiert sie sich?

Eine formale Organisierung oppositioneller Kräfte ist in China kaum möglich gewesen. Während der Kulturrevolution in den 1960er Jahren gründeten Student*innen und Arbeiter*innen Massenorganisationen, die an Auseinandersetzungen an Unis, in Stadtteilen und in Betrieben beteiligt waren. Einige rebellische Gruppen kritisierten den chinesischen Realsozialismus unter der »roten Bourgeoisie«. Ende der 1970er Jahre gaben auch linke Oppositionelle Untergrundzeitschriften heraus, die das autoritäre Parteiregime kritisierten. In den 1990er Jahren entstanden maoistische Zirkel, welche die Kämpfe der Arbeiter*innen aus Staatsbetrieben unterstützten. Und in den beiden folgenden Jahrzehnten stellten sich linke NGOs und später auch Gruppen linker Student*innen und Arbeiter*innen öffentlich hinter die Belange von
Arbeiter*innen und Frauen.

Welche Rolle spielt der Feminismus?

Schon im revolutionären Prozess vor der Staatsgründung 1949 spielten Frauen und feministische Forderungen in der Bewegung eine wichtige Rolle. Nach 1949 machte die KPCh zunächst Zugeständnisse und etablierte den Frauenverband, eine Massenorganisation der Partei. Dieser blieb der Partei jedoch untergeordnet und musste hinnehmen, dass diese ein maoistisches Patriarchat schuf, das feudale Strukturen mit sozialistischen verband. Über den Staatsfeminismus hinausgehende Bewegungen entstanden seit den 1980er Jahren. Feministische NGOs wandten sich gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung und sexualisierte Gewalt gegen Frauen. Später kritisierten andere Feminist*innen die Trennung von Klassenkampf und feministischem Kampf sowie die Anlehnung chinesischer Feminist*innen an einen »westlichen« Feminismus, den sie für bürgerlich und individualistisch hielten. Im letzten Jahrzehnt entstand eine aktivistisch feministische Szene, welche auch mit sozialen Medien Gewalt gegen Frauen anprangerte und später #metoo-Aktionen in China unterstützte. Verwoben mit dem politischen Feminismus ist der Alltagskampf chinesischer Frauen etwa gegen den Druck, früh zu heiraten, ein Kind zu gebären und die nicht entlohnte Reproduktionsarbeit in der Familie zu stemmen.

Die Anbiederung an das KPCh-Regime wie von Teilen der Partei Die Linke bedeutet nichts weniger als die Unterstützung eines rechten Regimes in einem kapitalistischen China.

China galt ab 2010 als Mittelpunkt der globalen Arbeiter*innenunruhen. Wie sehen die Kämpfe heute aus?

2010 war eine Streikwelle Höhepunkt der Kämpfe von Wanderarbeiter*innen für Verbesserungen. Bis Mitte der 2010er Jahre liefen Streiks und ähnliche Aktionen auf hohem Niveau weiter, aber Orte und Anlässe änderten sich. Mit den steigenden Löhnen im Osten zogen Betriebe nach Zentral- und Westchina, die Kämpfe folgten. Das Dienstleistungskapital expandierte, nicht zuletzt durch die Gig-Economy, und auch hier kam es zu Auseinandersetzungen. Die Kämpfe konnten jedoch kaum noch Verbesserungen durchsetzen, auch wegen der Verlagerungen, Entlassungen und des niedrigeren Wirtschaftswachstums. Seit Mitte der 2010er Jahre ist die Zahl der Kämpfe zurückgegangen. Streiks und andere Aktionen fanden jedoch weiter statt, auch während der Pandemie und gegen die Null-Covid-Strategie des Regimes wie im Herbst 2022 bei Foxconn in Zhengzhou und in proletarischen Stadtvierteln in Guangzhou. Mitte Februar fanden in Wuhan und Dalian Demonstrationen von Rentner*innen gegen die Kürzung von Krankenversicherungsleistungen statt, auch mit der Parole »Nieder mit der reaktionären Regierung«.

Wie hat sich die Unterdrückung der Opposition im Laufe der Jahre verändert? Hatte die Pandemie darauf Einfluss?

Repression gegen linke Opposition und soziale Kämpfe hat es seit 1949 immer gegeben. In den letzten Jahren hat sie stark zugenommen, etwa gegen linke Feminist*innen und Aktivist*innen, die Arbeitskämpfe unterstützen. Deshalb sind linke Gruppen sehr vorsichtig geworden, zumal die Überwachung im Internet und im öffentlichen Raum verschärft wurde. Aktivist*innen werden meist beschuldigt, Unruhe zu stiften oder die öffentliche Ordnung zu stören. Die Behörden bedrohen sie, lassen sie für Monate in inoffiziellem Gewahrsam verschwinden und verhängen Gefängnisstrafen. Manche werden auch gefoltert oder gezwungen, öffentliche »Geständnisse« abzulegen. Diese Formen der Repression treffen linke Zusammenhänge, aber auch liberale oder, wie zuletzt, die Proteste der »Weiße-Papier-Bewegung« gegen die Null-Covid-Politik Ende November 2022. Die Repression gegen Uigur*innen in Xinjiang geht noch weit darüber hinaus.

Wie ist Solidarität von außen möglich?

Eine direkte Unterstützung linker Oppositioneller von außen ist momentan schwierig. Viele Aktivist*innen werden überwacht, eingeschüchter, oder sind oder waren in Haft. Ich halte es dennoch für wichtig, Kontakte zu linken Gruppen in China auszubauen und sie an Debatten in der Linken anderswo zu beteiligen. Zudem müssen wir sicherstellen, dass ihre Kritik am kapitalistischen Regime in China sichtbar bleibt. Gerade in der Debatte über den Charakter der Volksrepublik und der KPCh sollten wir die sozialen Kämpfe in China und die Positionen der dortigen linken Opposition in den Mittelpunkt stellen. Die Anbiederung an das KPCh-Regime wie von Teilen der Partei Die Linke bedeutet nichts weniger als die Unterstützung eines rechten Regimes in einem kapitalistischen China.

Johannes Tesfai

ist Redakteur bei ak.

Unterstütz unsere Arbeit mit einem Abo

Yes, du hast bis zum Ende gelesen! Wenn dir das öfter passiert, dann ist vielleicht ein Abo was für dich? Wir finanzieren unsere Arbeit nahezu komplett durch Abos – so stellen wir sicher, dass wir unabhängig bleiben. Mit einem ak-Jahresabo (ab 58 Euro, Sozialpreis 38 Euro) liest du jeden Monat auf 36 Seiten das wichtigste aus linker Debatte und Praxis weltweit. Probeabo gibt es natürlich auch.