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|Thema in ak 691: Weltmacht China

Schlaglöcher in der Seidenstraße

Die Belt and Road Initiative ist ein gigantisches Investitionsprojekt, gegen das sich Arbeiter*innen und Anwohner*innen wehren

Von Karsten Weber

Illustration eines riesigen Pandas, der auf einem Baugerüst liegt, aus seinen Augen führen Straßen, im linken Bildrand schaut ein kleines Mädchen zu
Illustration: Donata Kindesperk

Der Begriff Seidenstraße erinnert an die alten Handelswege zwischen China und Europa und ist mit romantischen Vorstellungen verbunden. Die chinesische Regierung kokettiert damit und präsentiert das Projekt als moderne Fortsetzung, allerdings in gigantischen Dimensionen, wie es sich für eine Wirtschaftsmacht auf dem Weg an die Weltspitze gehört.

2013 gab Staatspräsident Xi Jinping den Startschuss für die Neue Seidenstraße, das größte Infrastrukturprojekt der Menschheitsgeschichte, an dem mehr als 100 Staaten beteiligt sind. Geplante Kosten: 900 Milliarden bis eine Billion US-Dollar. Nach der ursprünglichen Bezeichnung hat sich der nüchterne Begriff »Belt and Road Initiative« (BRI) durchgesetzt. 

Die BRI ist hierzulande eine Projektionsfläche. Für die Gläubigen an den Sozialismus chinesischer Prägung ist sie ein gigantisches Entwicklungshilfeprogramm, bei dem der Globale Süden mit der notwendigen Infrastruktur ausgestattet wird, um an den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen teilhaben zu können. Für die Anhänger*innen des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist die BRI eine Bedrohung, der Masterplan für die Übernahme der Weltherrschaft.

Die chinesischen Pläne sind bei weitem nicht so ausgefeilt, wie solche Vorstellungen glauben machen. China ist eine kapitalistische Macht mit einem enormen Hunger nach Rohstoffen, Energie, Arbeitskräften und Absatzmärkten. Die chinesischen Arbeiter*innen haben sich inzwischen so hohe Löhne erkämpft, dass viele Unternehmen sich Produktionsstandorte mit einem niedrigeren Lohnniveau suchen. In China selbst soll die Produktion auf Hightech-Niveau gebracht werden, während die einfacheren Arbeiten in Vietnam, Kambodscha, Laos und anderen Niedriglohnländern erledigt werden.

Für die Öffentlichkeit gibt es geschönte Darstellungen des weltumspannenden BRI-Geflechts. Das chinesische Fernsehen zeigt gerne Bilder von Kindern, die potenzielle Investoren mit chinesischen Fähnchen begrüßen. Allerdings werden Zeitpläne und Versprechen oft nicht eingehalten und insbesondere soziale Projekte nicht umgesetzt. Korruption ist integraler Bestandteil der BRI. Die Investitionen chinesischen Kapitals haben zu knallharter kapitalistischer Ausbeutung geführt – vor allem dort, wo man sich in einem rechtsfreien Raum wähnt.

Das Ende der Nichteinmischung

Politische Neutralität und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Partnerländer werden nach und nach aufgegeben. Beispiel Myanmar: Seit dem Militärputsch vor zwei Jahren ist die Militärjunta an Geschäften mit China interessiert und nimmt es sehr ernst mit dem Schutz chinesischer Interessen. Das Militär hat die wichtigsten Industriezonen besetzt und das Kriegsrecht verhängt. Doch die Bewegung des zivilen Ungehorsams und die bewaffnete Widerstandsbewegung People’s Defence Forces wehren sich dagegen. Bei einem Lohnkonflikt in einer chinesischen Schuhfabrik in Yangon, der größten Stadt Myanmars, hat die Polizei die Anführerin des Arbeitskampfes öffentlich hingerichtet und das Feuer auf protestierende Arbeiter*innen eröffnet. Mindesten sechs Menschen verloren in diesem Konflikt im März 2021 das Leben. Die Öl- und Gaspipeline-Projekte werden von China gebaut und betrieben. Die People’s Defence Forces drohen mit Angriffen auf die Pipelines. Die chinesische Regierung lieferte Waffen wie Kampfflugzeuge und gepanzerte Fahrzeuge an das Militär und brach damit ihr Versprechen, sich nicht in politische Konflikte einzumischen. 

Beispiel Afghanistan: In Afghanistan begann China nach dem Abzug der westlichen Truppen 2020 eine Zusammenarbeit mit den Taliban. Denn die China National Petroleum Corporation hatte bereits 2011 einen 25-Jahres-Vertrag über die Erschließung von drei Ölfeldern in der Region unterzeichnet. Gegenüber der South China Morning Post garantierte ein Taliban-Sprecher die Sicherheit der chinesischen Arbeiter*innen in Afghanistan, lud China ein, in den Wiederaufbau »so schnell wie möglich« zu investieren, und versprach, dass Afghanistan keine uigurischen Militanten aus der Provinz Xinjiang aufnehmen werde. Die Kooperation bedeutet eine Stärkung der nicht legitimierten Taliban-Regierung.

Die Großprojekte haben Schneisen der Verwüstung geschlagen.

Finanzielle Abhängigkeiten von chinesischen Geldgebern sind ein weiteres Problem: Die Klagen darüber klingen überall ähnlich. So wird beispielsweise in Montenegro, dem Land mit der höchsten Schuldenquote auf dem Westbalkan, eine Autobahn mit Geld aus China finanziert. Auf 70 Millionen Euro chinesische Direktinvestitionen sind die Baukosten inzwischen explodiert – insgesamt wird mit 1,3 Milliarden Euro gerechnet. Die Folge: Montenegro wird immer abhängiger vom Geld aus China.

Studien über die Auswirkungen chinesischer Direktinvestitionen kommen zu eindeutigen Ergebnissen. So hat das China Latin American Research Center festgestellt, dass chinesische Investitionen keine Vorteile bringen, chinesische Unternehmen gegen lokale Gesetze verstoßen, chinesische Arbeiter*innen mehr als 2.000 US-Dollar erhalten, während beispielsweise Venezolaner*innen nur 350 US-Dollar bekommen. Und auf dem afrikanischen Kontinent wurden in einer Studie 125.000 Proteste untersucht und mit Daten über die Standorte chinesischer Projekte kombiniert. Das Resultat: In Regionen mit vielen chinesischen Projekten gab es deutlich mehr Proteste.

Auch das Versprechen eines nachhaltigen und ökologischen Wirtschaftswachstums konnte nur selten von den BRI-Hochglanzbroschüren in die Realität umgesetzt werden. Die Großprojekte der Belt and Road Initiative haben Schneisen der Verwüstung geschlagen. Autobahnen, Müllverbrennungsanlagen und riesige Kohlekraftwerke werden durch chinesische Finanzierung nicht sauberer. Die Liste der Umweltschäden ist lang. Sie reicht von Landgrabbing, illegalem Holzeinschlag, Trinkwasserentnahme, Wasser-, Boden- und Luftverschmutzung bis hin zur Überfischung.

Extreme Ausbeutung

Das Spektrum extremer Ausbeutung reicht von der Missachtung von Sicherheitsbestimmungen und lokalem Arbeitsrecht bis hin zu Kinderarbeit und sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen. China beutet 40.000 Kinderarbeiter*innen in den Kobaltminen im Kongo aus. Die globalisierte Ausbeutung betrifft nicht nur einheimische oder aus China entsandte Arbeitskräfte: Rund 500 vietnamesische Arbeiter bauten in Serbien unter menschenunwürdigen Bedingungen die erste chinesische Reifenfabrik in Europa auf. 

Die Unternehmen profitieren oftmals davon, dass die lokalen Behörden wegsehen oder mit eigenen Sicherheitskräften gegen rebellierende Arbeiter*innen vorgehen. In Angola wurden nach Gewerkschaftsangaben 400 Streikende einer chinesischen Baufirma von Sicherheitskräften angegriffen, drei Menschen starben, fünf wurden verletzt.

Auch in Bangladesch kam es zu Todesopfern: Bei einem von China finanzierten Kohlekraftwerk im Südosten wurden mindestens fünf Menschen erschossen und Dutzende verletzt, als die Polizei das Feuer auf Arbeiter*innen eröffnete, die eine Lohnerhöhung forderten.

Wenig bekannt sind hierzulande die Zustände im kambodschanischen Sihanoukville, einer mit chinesischem Kapital aus dem Boden gestampften Retortenstadt für Luxustourismus und Glücksspiel. Viele Arbeiter*innen wurden mit falschen Versprechungen in die Casino-Stadt gelockt und landeten in der Sklaverei. Ihnen werden die Pässe abgenommen, und sie werden gezwungen, für professionelle Online-Betrügereien zu arbeiten. Essensentzug und Gewalt gehören zu den Druckmitteln. Es haben sich regelrechte Arbeitslager entwickelt, gefängnisähnliche Wohnblocks mit hohen Mauern und Stacheldraht.

Vielfältige Kampfformen

Die Belt and Road Initiative wird wegen ihrer Dimension bewundert oder gefürchtet, aber der Fokus liegt vor allem auf wirtschaftlichen Zahlen und geopolitischen Interessen. Man sieht ein mächtiges China und vernachlässigt die Klassenverhältnisse. Investitionen stoßen auf Widerstand. Die Betroffenen sind keine Spielfiguren in einem am Reißbrett entworfenen Plan, sondern aktive Menschen, die sich organisieren und wehren. Die Arbeiter*innen, Bäuer*innen und Anwohner*innen kämpfen für ihre Rechte und ihre Würde. Es ist ein Kampf für wirtschaftliche Verbesserungen, gegen Umweltzerstörung und auch gegen Gentrifizierung.

Die Kampfformen sind vielfältig. Es gibt Sitzstreiks und Blockaden von Anwohner*innen. Arbeitskämpfe sind oft spontan, manchmal auch militant mit Zerstörung von Betriebseigentum und Angriffen auf Vorgesetzte. Manche Konflikte sind klein, an anderen beteiligen sich Tausende. Es gibt Arbeitskämpfe, an denen Gewerkschaften beteiligt sind, und solche, die vor Arbeitsgerichten ausgetragen werden.

Spannend sind die Entwicklungen eines sich globalisierenden Widerstands. Vereinzelt kommt es bei Arbeitskämpfen zu Schulterschlüssen zwischen lokalen und chinesischen Arbeiter*innen mit mehrsprachigen Transparenten. Bei Kämpfen gegen Umweltzerstörung gibt es erste Unterstützung durch chinesische Umwelt-NGOs. Die Umweltproteste in Serbien haben die nationale Brille abgelegt und richten sich gegen Konzerne gleich welcher Nationalität. Eine Tendenz, die auch bei Arbeitskämpfen zu beobachten ist.

Karsten Weber

informiert auf www.forumarbeitswelten.de regelmäßig über den Widerstand gegen die Belt and Road Initiative.