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|Thema in ak 685: Heißer Herbst

Dann hätten wir Kommunismus

Eine radikal-demokratische und ökologische Vergesellschaftung des Energiesektors wäre mehr als eine Möglichkeit, bezahlbare Energiepreise zu gewährleisten

Von Jonna Klick

Blick von unten auf sich kreuzende Stromleitungen
Derzeit in schlechten Händen: Stromnetze. Foto: Dina Lydie/Unsplash

Die Klima- bzw. Klimagerechtigkeitsbewegung ist – zumindest im deutschsprachigen Raum – nach ihrem bisherigen Höhepunkt von 2019 am Abflauen und befindet sich in einer Neuorientierungsphase. Die Coronapandemie hat sicher einiges dazu beigetragen, dass die Mobilisierungen nicht mehr an die Größe von 2018 und 2019 anknüpfen konnten. Doch dieses Abflauen hat wahrscheinlich auch noch andere Gründe: Politisch konnten kaum Verbesserungen erreicht werden. Der Rest des Hambacher Forsts konnte zwar gerettet werden, doch der Kohleausstieg kommt mit 2030 deutlich zu spät. Das Klimapäckchen, das genau am Tag des Höhepunkts der Klimastreikbewegung, dem 20. September 2019, verabschiedet wurde, war eine Verhöhnung der Millionen jungen Menschen, die für ihre Zukunft auf die Straße gegangen waren.

Angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sucht die Regierung nun nach Alternativen zum russischen Gas, setzt dabei aber auf verflüssigtes Frackinggas. Deshalb ist es richtig, dass sich das Bündnis Ende Gelände schon seit letztem Jahr dem Thema LNG gewidmet und Gasinfrastrukturen in Norddeutschland blockiert hat. Zuvor hatte es bei der Braunkohle durch öffentlichkeits- und medienwirksame Aktionen den Diskurs verschoben und einen Reformdruck erzeugt. Doch es stellt sich die Frage, ob dieses Vorgehen beim Thema Gas ebenso erfolgreich sein kann. Denn schließlich – und diese Erkenntnis hat sich in weiten Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung erfreulicherweise durchgesetzt – wird die ökologische Frage nur mit der Überwindung des Kapitalismus zu lösen sein. Dazu fehlt jedoch eine geeignete Praxis. 

Eine mögliche Teilantwort in dieser Suchbewegung formulierten die rund 1.500 Menschen, die Ende August dem Aufruf der Kampagne »RWE und Co enteignen« folgten und bei einer Demonstration in Köln die Vergesellschaftung des Energiesektors forderten. Wie auch bei »Deutsche Wohnen und Co enteignen« (DWE) in Berlin wird dabei keine reine Verstaatlichung angestrebt, sondern ein Modell, bei dem Konsument*innen und Produzent*innen sowie weitere Betroffene und Vertreter*innen der Allgemeinheit gemeinsam durch Formen basisdemokratischer Selbstorganisation über die Energieproduktion verfügen. Es geht also in Richtung Commons als Alternative zu Markt und Staat. Die Forderung nach Vergesellschaftung des Energiesektors ist damit eine linke und emanzipatorische Antwort auf zwei sich derzeit zuspitzende Krisen: die Klimakrise und die Energiekrise. Sie hat damit das Potenzial, Kämpfe zu verbinden und eine Debatte um Alternativen zum Kapitalismus anzustoßen.

Strom darf keine Ware sein

Die steigenden Energiepreise, die auch Treiber einer allgemeinen Inflation sind, sind spätestens seit dem Krieg in der Ukraine zu einem dringlichen Thema geworden. Die Regierung versucht den drohenden Gasmangel, wie bereits oben erwähnt, einerseits durch die Beschaffung von Gas aus anderen Quellen zu umgehen. Andererseits fordert sie die Verbraucher*innen zum Sparen auf. Die Gasumlage macht die Preise für die Verbraucher*innen noch teurer und stellt sicher, dass die Energieunternehmen weiterhin Profite machen können. Wir sollen also frieren und kürzer duschen, das Kapital hingegen soll sich möglichst ungebremst weiter akkumulieren. Die Preissteigerungen sind dabei eine existenzielle Bedrohung für zahlreiche Menschen.

Die Forderung nach Vergesellschaftung stellt eine linke und emanzipatorische Antwort auf beide Krisen dar. Die Klimakrise stellt uns vor die Herausforderung eines gigantischen Umbaus der Energieproduktion. Gleichzeitig reicht es nicht, die fossilen nur durch erneuerbare Quellen zu ersetzen, sondern es braucht auch eine massive Reduktion des Energieverbrauchs und eine Abkehr vom Wachstum, also ein Degrowth

Zwei sich zuspitzende Krisen erfordern linke Antworten: die Klima- und die Energiekrise.

Damit dies auf gerechte Art und Weise geschehen kann und nicht nur die zum Sparen genötigt werden, die sich den Strom nicht mehr leisten können, braucht es eine demokratische, gesamtgesellschaftliche Planung und eine Debatte darüber, für was wir die Energie verwenden wollen. Die braucht es auch angesichts der Energiekrise: Nicht die Zahlungsfähigkeit sollte entscheiden, wem der Strom abgeklemmt wird, sondern eine an unseren Bedürfnissen orientierte Planung. Strom darf keine Ware sein, sondern sollte Haushalten für den alltäglichen Bedarf bedingungslos zur Verfügung stehen (wobei es auch hier Maßnahmen zur Stromeinsparung braucht). Abgestellt werden sollte er dort, wo er nicht zur Befriedigung von Grundbedürfnissen dient, sondern nur Kapitalinteressen, etwa bei Werbetafeln oder in zahlreichen Industrien.

Um das zu ermöglichen, muss der Energiesektor, d.h. die Stätten der Stromproduktion, aber auch die Stromnetze, vergesellschaftet und somit der Logik des Marktes und den Profitinteressen der Energieunternehmen entzogen werden.

Mit der Vergesellschaftung stellt sich die Frage ums Ganze

Die Forderung nach Vergesellschaftung des Energiesektors kann zudem eine Brücke schaffen zwischen dem Alltagsverstand der meisten Menschen auf der einen und einer kommunistischen Utopie auf der anderen Seite. Utopiedebatten sind wichtig, doch allein mit der Forderung nach einer kommunistischen Gesellschaft lassen sich wenig Leute aktivieren. Die Vergesellschaftung einzelner Sektoren kann hingegen bei entsprechenden Umständen eine schnell einleuchtende Forderung sein, wie der gewonnene Volksentscheid von Deutsche Wohnen und Co enteignen zeigt. Sie ist dabei zugleich mehr als nur irgendeine sozialdemokratische Reform, sondern weist über den Kapitalismus hinaus: Wenn das Entziehen gewisser Bereiche aus der Marktlogik und die Überführung in gesellschaftliche Selbstorganisation, in Commons, gedanklich und praktisch auf letztlich alle Bereiche erweitert würde, dann hätten wir Kommunismus.

Die Vergesellschaftung des Energiesektors stellt dabei mehr noch als die Vergesellschaftung von Wohnraum die Frage ums Ganze: Denn das Energienetz ist die Infrastruktur, auf die heutzutage jede Kapitalfraktion angewiesen ist, die irgendetwas produzieren oder verkaufen will. Wenn eine Vergesellschaftung dieser Infrastruktur nun verbunden wäre mit einem radikalen ökologischen Umbau, dann würde das bedeuten, zahlreichen Industrien die Stromzufuhr zu kappen und ein Degrowth einzuleiten.

Dies ist innerhalb des Kapitalismus, der auf Wachstum angewiesen ist, undenkbar. Kein Staat, der als ideeller Gesamtkapitalist agieren muss, würde dies zulassen. Denkbar wäre zwar eine Verstaatlichung des Energiesektors (tatsächlich befinden sich viele Energiekonzerne in staatlichem oder teilweise staatlichem Eigentum), nicht aber der nötige radikale ökologische Um- und Rückbau. Damit sind die Forderungen von RWE und Co enteignen, anders als die von DWE, nicht innerhalb des Kapitalismus umsetzbar, sondern erst im Moment des Bruchs mit dieser Gesellschaftsform. 

Dies ist einerseits ein Nachteil, weil dadurch die Möglichkeit wegfällt, einen Zwischenschritt zu gehen und eine Forderung umzusetzen, ohne bereits den Bruch mit dem Kapitalismus zu erreichen: indem ein einzelner Sektor der Marktlogik entzogen und in Commons oder eine commons-ähnliche Struktur überführt wird. Ein solcher Zwischenschritt, der beim Wohnraum durch eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse durchaus zu gewinnen wäre, würde aufzeigen, dass linke Bewegungen Kämpfe gewinnen können und dass kollektive Verfügung über unsere Lebensbedingungen möglich ist, um das Leben zu erleichtern. Andererseits ist diese Unerfüllbarkeit beim Energiesektor aber auch ein Vorteil, da dieser Kampf dadurch schwerer zu befrieden ist und letztendlich bis zum gesamtgesellschaftlichen Bruch mit dem Kapitalismus geführt werden muss.

Ein solcher Bruch würde die massenhafte Aneignung von Produktionsmitteln und deren Überführung in gesellschaftliche Selbstorganisation, in Commons, bedeuten und damit Staat, Markt und Geld überflüssig machen.

Eine Bewegung für die Vergesellschaftung des Energiesektors könnte diesen Bruch mit dem Kapitalismus auf mehreren Ebenen vorbereiten. Erstens braucht es dafür handlungsfähige, gut organisierte soziale Bewegungen, die Aneignungskämpfe führen, unterstützen und vernetzen können, die in den öffentlichen Diskurs intervenieren, das Krisenbewusstsein stärken und Alternativen aufzeigen können. 

Zweitens braucht es eben diese Alternativen, die in Keimform schon aufgebaut werden müssen, damit ihre Verallgemeinerung im Moment des Bruchs wahrscheinlicher wird. RWE und Co enteignen kann nicht eine ähnliche Keimform schon vor dem Bruch schaffen, wie es beim Thema Wohnraum möglich wäre. Doch der Fokus auf ein Thema wie Energieversorgung könnte es ermöglichen, hier zumindest schon einmal konzeptuell aufzuzeigen, wie ein gesamtgesellschaftliches Energie-Commons aussehen könnte. Hierbei könnte auch die Vernetzung mit bereits existierenden kleineren Energie-Commons wie Energiegenossenschaften in Bürger*innenhand hilfreich sein. 

Und drittens müsste eine revolutionär-transformatorische Bewegung in weiten Teilen der Bevölkerung verankert sein. Es braucht eine Basisorganisierung, die die Aneignung vorbereiten kann. Dies könnten in der Bewegung für eine Vergesellschaftung des Energiesektors etwa Stadtteilräte sein, die sich um die Frage der Preissteigerungen herum bilden und somit an den unmittelbaren Interessen der Menschen anknüpfen können. In einer solchen Basisorganisierung müsste auch gegenseitige Hilfe organisiert werden, wenn es zu Stromabklemmungen kommt oder Menschen sich die Energie nicht mehr leisten können.

Jonna Klick

ist in verschiedenen linken Zusammenhängen aktiv. Sie schreibt u.a. auf keimform.de über Commons und Revolution.