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|Thema in ak 683: Arbeit & Migration

Spargel mit fadem Beigeschmack

Migrantische Feldarbeiter*innen werden oft ausgebeutet – Beratungsstellen und Gewerkschaften versuchen zu helfen

Von Sebastian Bähr

Tristesse in der deutschen Spargelindustrie: Viele osteuropäische Arbeiter*innen schuften hier zum Niedriglohn, damit das beliebte Gemüse zahlreich auf den Tellern landet. Foto: 7C0/Flickr, CC BY 2.0

So richtig entspannt ist das hier nicht«, flüstert Pascal Lechner. Der Gewerkschaftssekretär der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) schaut sich misstrauisch um. Ein Geländewagen fährt langsam an ihm vorbei, hat das kleine Kind hinter dem Gebüsch gerade ein Foto von ihm gemacht? Lechner steht an einem sonnigen Tag Ende April an einer Straße nahe des Spargel- und Erdbeerhofs »Mecklenburger Frische« in Tieplitz, einer kleinen Ortschaft bei Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Auf den ersten Blick eigentlich eine beschauliche Idylle: ein kleiner Teich, Wirtschaftsgebäude, Häuser mit Fachwerk. In der Nähe zahlreiche Felder, wo unter anderem das in Deutschland beliebte »weiße Gold« gestochen wird. Lechner und die Gruppe, die mit ihm gekommen ist, ist jedoch nicht aus touristischem Interesse hier. »Wir lassen uns nicht einschüchtern«, sagt der Gewerkschafter mit fester Stimme. 

Neben Lechner befinden sich einige Journalisten, Politiker, IG-BAU-Aktive und Mitarbeiterinnen von »Correct«, der vom Land finanzierten Beratungsstelle für ausländische Beschäftigte in Mecklenburg-Vorpommern. Ein großes Plakat wurde aufgestellt, in verschiedenen Sprachen fragt es nach »Problemen auf der Arbeit«, zu lesen ist eine Telefonnummer für Beratung. Tatsächlich laufen bald rund ein Dutzend Saisonarbeiter*innen zufällig vorbei, ein »Glückstreffer«, erklären die Expert*innen. Das »Correct«-Team in seinen grünen Jacken sucht sofort das Gespräch. Viele der insgesamt rund 20 Erntekräfte vom Hof kommen aus Rumänien, einige aus der Ukraine, es bleibt nicht viel Zeit zum Reden. Kontakte werden ausgetauscht. So etwas wird in der Gegend nicht immer gerne gesehen. Dass es heute »ruhig« bleibt – keine Selbstverständlichkeit. 

Im vergangenen Jahr waren die Correct-Mitarbeiterinnen und die IG-BAU-Gewerkschafter*innen ebenfalls für Beratungen vor Ort. Die Situation eskalierte, die Polizei schickte eine Streife vorbei. »Ich wurde geschubst und beleidigt«, sagt Lechner, auch das Team der Beratungsstelle sei angegangen worden. Die Betriebschefin wiederum stellte Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch. Nachdem entsprechende Ermittlungen wegen fehlendem Anfangsverdacht eingestellt worden waren, strengte sie ein privates Klageverfahren an. Dieses läuft aktuell noch, hat aus Gewerkschaftssicht jedoch kaum Aussicht auf Erfolg. »Wenn sie mit uns schon so umgehen, was machen sie dann erst mit ihren Beschäftigten?«, fragt Lechner.

Eine rumänische Saisonarbeiterin beklagt, dass der Hof ihr und ihrem Ehemann von der vergangenen Ernte noch Lohn schulde – mehrere Tausend Euro.

Die Hofbetreiber*innen sehen sich indes im Recht. Sie erklärten gegenüber Medien, dass die Correct-Beraterinnen ohne Ankündigung und unter Missachtung der Coronaauflagen auf die Saisonarbeiter*innen zugegangen seien. Man habe prinzipiell nichts gegen Beratungen, diese dürften jedoch nicht auf dem Betriebsgelände stattfinden, teilten sie in einer Stellungnahme mit. Correct und die IG BAU weisen diese Darstellung zurück. Man habe die Pandemieauflagen eingehalten, die Saisonarbeiter*innen hätten in Wohnungen mit privaten Mietverträgen gewohnt. Die Informationsveranstaltung an diesem Apriltag soll offensichtlich Stärke zeigen. »Wer uns herausfordert, muss mit Konsequenzen rechnen«, sagt Dirk Johne, stellvertretender Regionalchef der IG BAU. 

Nach der Kundgebung geht es zu einem weiteren Hof nahe der Kleinstadt Plau am See. Eine rumänische Saisonarbeiterin will hier die Firmenleiterin sprechen. Sie beklagt, dass der Hof ihr und ihrem Ehemann von der vergangenen Ernte noch Lohn schulde – mehrere Tausend Euro. Versprochene Nachzahlungen habe man nicht erhalten. »Viele kooperieren mit uns, doch bei der Mehrzahl der Höfe gibt es Defizite – die Missstände haben System«, erklärt Stefanie Albrecht von Correct. Die Gewerkschaft IG BAU kritisiert, dass die Kontrollen der Arbeitsschutzbehörden bei Weitem nicht ausreichen, um die Probleme zu beheben.

Höfe umgehen den Mindestlohn

Die Beraterin Albrecht kennt viele Tricks der Höfe. Mit bestimmten finanziellen Berechnungsmodellen werde beispielsweise versucht, den Mindestlohn zu unterlaufen. »Hilfstätigkeiten und Wegezeiten gehören auch zur Arbeitszeit«, betont die Correct-Projektleiterin, auch wenn Betreiber*innen diese manchmal ausklammern würden. Dazu gebe es Beschwerden über ignorierte Überstunden oder sonstige Abzüge vom Gehalt. »Es braucht Zwischenabrechnungen und die Möglichkeit, jederzeit Informationen über geleistete Arbeitsstunden und Lohnansprüche abzurufen«, erklärt IG-BAU-Gewerkschafter Dirk Johne. Arbeitszeiterfassung wäre aus seiner Sicht hierfür ein hilfreiches Instrument. 

Doch selbst wenn die eigenen Rechte eingefordert werden, fehle Erntearbeiter*innen oft das Wissen, wie dies zu erreichen sei, sagt Albrecht. »Die erste Idee ist oft, zur Polizei zu gehen – diese ist jedoch nicht zuständig und weiß meist auch nicht, wer zuständig ist«, erklärt die Projektmitarbeiterin. Als Beratungsstelle könne man den ausländischen Saisonkräften helfen, doch Kontakt herzustellen sei nicht immer einfach. »Das Hauptproblem ist die Isolierung der Beschäftigten«, sagt Albrecht. Die IG BAU fordert garantierte Zugangsrechte für Gewerkschaften und Beratungsstellen, um leichter die Beschäftigten aufklären zu können. 

Jährlich kommen rund 6.000 Erntearbeiter*innen nach Mecklenburg-Vorpommern, um das Gemüse zu stechen. Bundesweit sind es rund 270.000 Menschen, laut statistischem Bundesamt etwa 30 Prozent aller Beschäftigten in der Branche. Die meisten der Saisonarbeiter*innen kommen aus Rumänien, Polen, Bulgarien, Ungarn sowie der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau. Ein erheblicher Teil von ihnen arbeitet als kurzfristige Beschäftigte. In den Pandemiejahren 2020 und 2021 wurde die zulässige Maximaldauer eigens für die Landwirtschaft auf fünf beziehungsweise vier Monate erhöht, dieses Jahr darf sie 70 Arbeitstage nicht überschreiten – 2015 lag die Grenze noch bei 50 Arbeitstagen im Kalenderjahr. »Die kurzfristige Beschäftigung ist ein Geschäftsmodell geworden«, klagt IG-BAU-Gewerkschafter Johne. Längst gehe es dabei nicht mehr darum, auf unbürokratische Weise kleine Gelegenheitsjobs zu ermöglichen, sondern die soziale Absicherung der Erntearbeiter*innen zu umgehen. 

Anfang 2022 wurde zwar eine Meldepflicht für Arbeitgeber*innen zur Art der Krankenversicherung der Beschäftigten eingeführt, doch was dies konkret bedeutet, scheint noch unklar zu sein. Um die Meldepflicht für Erntearbeiter*innen zu erfüllen, genügt beispielsweise der Nachweis einer privaten Gruppenkrankenversicherung – laut Gewerkschaften und Beratungsstellen ein oftmals sehr schlechtes Angebot. Man prüfe derzeit noch, ob und welche Leistungen hierfür notwendig seien, hieß es zuletzt im März von der Bundesregierung. Die Linksfraktion stellte im Mai einen Antrag, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, einen Gesetzesentwurf zum Schutz der Saisonkräfte vorzulegen. Eine der Hauptforderungen: Erntearbeiter*innen sollen unabhängig von der Beschäftigungsdauer ab dem ersten Einsatztag der vollen Sozialversicherungspflicht unterliegen.

Corona erschwerte Unterstützung

Die Coronapandemie hatte dabei im vergangenen Jahr nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern die Situation für Beratungsstellen erschwert. In den ersten Monaten der Erntesaison waren viele Herkunftsländer der Feldarbeiter*innen entweder als Risiko- oder Hochinzidenzgebiete eingestuft. Die Beschäftigten mussten die ersten fünf bis zehn Tage in Deutschland in einer sogenannten Arbeitsquarantäne verbringen. Das bedeutete, dass sie in kleinen Gruppen arbeiten sollten, jedoch in dieser Zeit keinerlei Kontakt nach außen aufsuchen durften. »Dies berücksichtigten wir bei unseren Feldbesuchen, in dem wir jeweils aus Entfernung zunächst klärten, ob eine Arbeitsquarantäne bestand«, heißt es im Jahresbericht der Initiative Faire Landwirtschaft, einem Bündnis aus Beratungsstellen, der IG BAU sowie weiteren Organisationen. Wenn dies der Fall war, habe man den Kontakt nicht aufgenommen. Mit Verweis auf den Gesundheitsschutz hätten die Betriebsleitungen jedoch in »vielen Fällen« und auch, als die Quarantäne nicht mehr die Regel war, versucht, generell Kontakt zu unterbinden. »In Einzelfällen beließen es Betriebsleitungen nicht dabei, uns den Zutritt und Kontakt zu verweigern. Unsere Teams wurden massiv und teilweise rassistisch beleidigt«, führt der Bericht aus. Berater*innen habe man »bedroht, gestoßen oder mit dem Auto verfolgt«.

Aufgrund der strengeren Infektionsschutzmaßnahmen hätten 2021 zudem zwar mehr Betriebe in die Unterkünfte der Beschäftigten investieren müssen, teilweise habe es laut dem Bericht jedoch weiterhin »unwürdige Standards« und keine Einzelunterbringung gegeben. Impfungen von Erntearbeiter*innen wiederum seien allgemein nicht bekannt. In der letzten Saison hatte die Initiative Faire Landschaft insgesamt 44 koordinierte Feldaktionen durchgeführt und über 2.500 Saisonarbeiter*innen über ihre Rechte informiert. In den kommenden Monaten wird sie dies ebenfalls tun, die aktuelle Saison läuft bis Oktober.

Eine brennende Frage scheint hierbei zu sein, inwiefern Arbeiter*innen aus dem Kriegsland Ukraine dieses Jahr in Deutschland eingesetzt werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Für konkrete Aussagen sei es noch zu früh, erklärt Stefanie Albrecht von Correct, doch sie sei besorgt. »Man braucht stabile Verhältnisse, um nicht ausgenutzt zu werden«, so die Beraterin. In Gesprächen in den letzten Wochen hätten sich Menschen aus der Ukraine oft abgelenkt und orientierungslos gezeigt. »Ich befürchte, dass es zu Fällen von ausbeuterischen Verhältnissen kommen wird«, sagt die Expertin. »Das Spargelfeld ist kein geeigneter Ort für traumatisierte Menschen.«

Sebastian Bähr

ist Journalist. Bis Ende 2021 war er Redakteur der Tageszeitung neues deutschland.