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Misstrauen für alle!

In Hamburg soll es künftig eine Regelanfrage für den öffentlichen Dienst geben – was das bedeutet, erklärt Michèle Winkler im Interview

Interview: Lene Kempe

Will wieder härter sein, als der Rest: Der Hamburger Senat, der hier residiert. Foto: Carmelo Bayarcal/Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

Weitgehend unbeachtet von einer kritischen Öffentlichkeit befindet sich in der Hansestadt gerade ein Gesetz in Abstimmung, das unter anderem für Bewerber*innen im öffentlichen Dienst eine Prüfung ihrer »Verfassungstreue« vorsieht. Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie erklärt, warum das nicht nur geschichtsvergessen ist, sondern auch eine Gefahr für die politisch aktive Zivilgesellschaft darstellt

Der Begriff »Regelanfrage« wird wohl vor allem bei älteren ak-Leser*innen Alarmglocken auslösen. Kannst du uns ins Boot holen? Worum geht es?

Michèle Winkler: Der Hamburger Senat plant aktuell ein neues Gesetz zu einer Regelanfrage für den öffentlichen Dienst. Dieser Vorstoß wird zurecht mit den sogenannten »Berufsverboten« der 1970er Jahre in Zusammenhang gebracht. Geplant ist, dass bei allen Neueinstellungen in den öffentlichen Dienst in Hamburg, aber auch bei Versetzungen in besondere Bereiche, bei Verlängerung von Befristungen oder Entfristungen sowie bei Übernahme ins Beamt*innenverhältnis, von der jeweiligen Dienststelle eine Anfrage zu der Person an das Landesamt für Verfassungsschutz gestellt werden soll. Und zwar zu der Frage, ob Erkenntnisse vorliegen, die Zweifel an der Verfassungstreue der einzustellenden Person begründen würden.

Und das Landesamt für Verfassungsschutz entscheidet dann mit darüber, ob ich einen neuen Job bekomme?

Der Verfassungsschutz macht eine Abfrage zu dir in den eigenen Datenbanken. Etwaige Erkenntnisse sollen dann an die einstellende Behörde oder Dienstelle geschickt werden, sagen wir an die Schulbehörde. Die hat dann durchaus einen Ermessensspielraum und kann selbst darüber entscheiden, ob die Informationen für sie relevant sind oder nicht und ob diese aus ihrer Perspektive Zweifel an der Verfassungstreue der jeweiligen Person begründen. Aber auch wenn die Entscheidung für die Person positiv ausfällt, bleibt in der Personalakte ein Vermerk, dass Erkenntnisse vorlagen, ohne diese genauer zu spezifizieren.

Michèle Winkler

ist politische Referentin für den Bereich ‚Sicherheitsstaat und Demokratie‘ beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln. Sie beschäftigt sich u.a. mit Kritiken staatlicher Gewaltinstitutionen sowie Fragen von radikaler und abolitionistischer Demokratie. In der ak hat sie Texte zu tödlicher Polizeigewalt und zum AfD-Verbot veröffentlicht.

Und wenn es diese Zweifel gibt, bin ich dann grundsätzlich für öffentlichen Dienst gesperrt?

So wie ich das verstehe, geht es um eine einmalige Abfrage zum jeweiligen Anlass und gilt auch nur für diejenigen, die für die Stelle ausgewählt wurden. Danach sollen die Daten bei der Dienststelle gelöscht werden. Wer einmal abgelehnt wurde, kann sich also ein weiteres Mal bewerben. Allerdings wird es dann wieder eine Regelabfrage geben – möglicherweise mit dem gleichen Ergebnis.

Es gibt in vielen Bundesländern bereits Regelanfragen, zieht Hamburg also nur nach?

Nein, Hamburg ist Vorreiter. Der Senat will das weitgehendste Gesetz beschließen. Anders als zum Beispiel in Brandenburg gilt die Anfrage eben nicht nur für Beamt*innen, oder wie in Hessen für Richter*innen und Staatsanwält*innen, sondern für wirklich alle Tarifbeschäftigten, also alle nach dem TVöD bezahlten Erzieher*innen, Krankenschwestern und so weiter. Und sogar für studentische Hilfskräfte, für die der Tarif gar nicht gilt. Aber auch bei der Häufigkeit der Überprüfung prescht Hamburg vor, weil zum Beispiel auch im Rahmen eines Wechsels in andere Bereiche der Verfassungsschutz ins Spiel kommt. Das geht sogar über das hinaus, was in den 1970er Jahren im Rahmen des Radikalenerlasses möglich war.

Um welche Art der Erkenntnisse geht es denn da überhaupt? Angenommen ich habe 2017 in Hamburg gegen den G-20-Gipfel demonstriert, habe ich dann schon ein Problem?

Es kommt wohl drauf an, ob der Verfassungsschutz das weiß und gespeichert hat und drauf, ob die Mitarbeiter*innen das als verfassungsfeindlich einschätzen. Was genau der VS an Informationen an die Behörden rausgibt, wird im Gesetz aber nicht deutlich. Wir wissen, dass diese Institution generell eine große Sammelleidenschaft hat und schnell dabei ist, Personen einer vermeintlich extremistischen Bestrebung zuzuordnen. Wenn du also vielleicht auch noch bekannt bist als jemand, die irgendwo in der linken Szene aktiv ist, kann es gut sein, dass du zum Beispiel als Lehramtsanwärterin ein Problem bekommst. Es gibt dann noch die Möglichkeit einer Anhörung, in der du versuchen könntest, deine Verfassungstreue unter Beweis zu stellen – eine maximal unangenehme und schwer händelbare Situation.

Du hattest vorhin schon erwähnt, dass es mit dem sogenannten »Radikalenerlass« von 1972 ein zweifelhaftes historisches Vorbild für diese Praxis gibt. Wie war das damals?

Das war damals kein Gesetz, sondern ein gemeinsamer Beschluss der Ministerpräsidenten der Länder und des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD). Es ging aber wortwörtlich auch darum, Anwärter*innen oder Beschäftigte im öffentlichen Dienst auf ihre »Verfassungstreue« hin zu überprüfen, mittels Regelanfragen beim VS. Diese Prüfungen endeten für viele Menschen in Disziplinarverfahren, Kündigungen, Nichteinstellungen oder eben in Berufsverboten. Geprüft wurden insgesamt 3,5 Millionen Menschen (1), die nahezu alle dem linken Spektrum zugeordnet wurden. Sehr viele DKP-Mitglieder waren davon betroffen. Und das Einzige, was damals wohl wirklich geholfen hat, um ein Berufsverbot zu verhindern, war ein Austritt aus der DKP. Sehr viele Menschen konnten oder wollten sich aber nicht einfach von ihren linken Grundeinstellungen und ihrer politischen Geschichte »befreien«.

Wie hat sich der Erlass ausgewirkt?

Die Verbote und Kündigungen betrafen vor allem viele soziale Berufe, insbesondere Lehrer*innen, oftmals Frauen. Auch damals wurden diese Verfahren im Namen der »Verfassungstreue« und mit einer vermeintlich »antitotalitären« Stoßrichtung durchgeführt. Das eigentliche Ziel des Erlasses war aber, Mitglieder kommunistischer Parteien und Gruppen aus bestimmten Berufsfeldern im öffentlichen Dienst rauszuhalten – den »Marsch durch die Institutionen« zu verhindern.

Gegen wen richtet sich jetzt der Hamburger Gesetzentwurf formal?

Laut Senat habe der VS Erkenntnisse, dass es in Hamburg »Extremist*innen« gebe, die versuchen in den Staatsdienst zu gelangen, unter anderem aus als islamistisch eingeordneten Gruppierungen. Laut Gesetzesbegründung sei der Landesverfassungsschutz in den zurückliegenden Jahren zudem auf rund 50 im öffentlichen Dienst Beschäftigte gestoßen, zu denen Erkenntnisse vorlägen. Welche Erkenntnisse, wird nicht ausgeführt. Es heißt nur, derlei Fälle seien »geeignet, Zweifel an der weltanschaulichen Neutralitätspflicht des Staates zu wecken«. Man muss sich das klar machen: Hamburg hat über 90.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst. Wenn gegen 50 davon irgendwelche Erkenntnisse vorliegen, reden wir von 0,06 Prozent der Beschäftigten. Und damit wird ein regelhaftes Misstrauen gegen alle Bewerber*innen und viele bereits Beschäftigte begründet.  

Eine Regelanfrage gibt es in Hamburg ja schon, nämlich für den Polizeidienst. Zugleich hat eine Studie Anfang des Jahres ergeben, dass jede*r fünfte Polizist*in rechte oder extrem rechte Einstellungen hat. Da kann man sich ja fragen, was so ein Instrument überhaupt bringen soll?

Ja, es gab ja in nahezu allen Bundesländern Fälle von rechtsextremen, antisemitischen, rassistischen Chatgruppen in den Polizeibehörden. Diese Leute sind aber meistens im Staatsdienst geblieben. Die Begründung lautete unter anderem, das hätten die Beamt*innen in ihrer Freizeit gemacht und begründe keinen Verdacht mangelnder Verfassungstreue. Wenn man dem gegenüberstellt, mit welchem Misstrauen nun allen künftig einzustellenden Lehrer*innen, studentischen Hilfskräften oder auch Richter*innen begegnet wird, steht das in keinem Verhältnis.

Wie wirkt sich dieses Misstrauen aus?

Ich würde sagen, es verstärkt eine ohnehin vorhandene Tendenz zu Disziplinierung und vorauseilendem Gehorsam. Heute wird oft allgemein über sogenannten Extremismus gesprochen, selten konkret über die extreme Rechte. Unter den Extremismusbegriff werden alle möglichen politischen Haltungen subsumiert. Und es hat sich total normalisiert, den Begriff genau so zu nutzen, auch zum Beispiel in vielen Verbänden oder beim DGB – und damit auch bei Gegnern der Regelanfrage. Das wirkt sich disziplinierend aus, vor allem auf Leute, die ihre Berufswahl schon getroffen haben. Und natürlich wird das zu weniger politischer Betätigung führen, vielleicht auch zu weniger Leuten, die auf Demos gehen, die sich in bestimmten Organisationen engagieren.

Leute werden sich selbst zensieren in dem, was sie nach außen sagen. Das können wir gerade jetzt überhaupt nicht gebrauchen.

Jedenfalls überall dort, wo etwas vom Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft werden könnte…

Genau, und das kann ja sehr vieles sein. Polizeikritik zum Beispiel. In Berlin wurde Deutsche Wohnen und Co enteignen im Verfassungsbericht aufgeführt. Das heißt, wer Lehrerin werden will, sollte sich wahrscheinlich nicht für die Vergesellschaftung von Wohnen oder von Energie einsetzen oder sich selbst als kommunistisch, als abolitionistisch, als anarchistisch bezeichnen. Leute werden sich selbst zensieren in dem, was sie nach außen sagen, in dem, was sie auf der Arbeit sagen, was sie im Studium von sich geben. Das können wir gerade jetzt überhaupt nicht gebrauchen.

Gibt es überhaupt noch Möglichkeiten, das Gesetz abzuwenden?

Nur mit massiven Protesten. Das Gesetz soll schon ab Januar 2026 greifen und entsprechend noch in diesem Jahr beschlossen werden. Ende November soll es eine Ausschusssitzung dazu geben, meines Wissens nach ohne eine Sachverständigenanhörung, was krass ist, wenn man bedenkt, was das Gesetz für einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf die freie Berufswahl darstellt. Auch im Bereich der staatlichen Förderung von Demokratieprojekten finden sich übrigens derart disziplinierende Eingriffe. Da soll zukünftig auch strenger geschaut werden, wer dort beschäftigt ist und welches Projekt Fördergelder bekommt, alles unter dem Banner des Anti-Extremismus.

Was heißt das konkret?

Das Bundesfamilienministerium, das die Demokratie leben!- Projekte finanziert, hat gerade an etliche Institutionen eine Art Drohbrief versandt. Die Projekte sollen sich in Zukunft deutlich stärker der Bekämpfung nicht nur des Rechtsextremismus, sondern auch des Antisemitismus, des islamistischen Extremismus und des Linksextremismus widmen. Spätestens ab 2027 wolle man deshalb auch schon zugesagte laufende Projekte sehr viel genauer auf Extremismus hin überprüfen und mehr Einfluss auf die Einstellungspraxis in den jeweiligen Projekten nehmen. Wie genau ist unklar, die Rede ist von einer »die Verhältnismäßigkeit wahrenden Überprüfungspraxis«. Der Hamburger Gesetzentwurf zeigt ja nun, in welche Richtung das gehen könnte. Und begleitet wird das Ganze immer von diesem Gerede um eine »Neutralitätspflicht« des Staates. Das gehört für mich auch in diesen Kontext der Disziplinierung.

Zugleich ist der Verfassungsschutz ja keine neutrale und erst recht keine unbescholtene Institution, wenn man zum Beispiel mal an den NSU denkt…

Genau. Wir treten als Grundrechtekomitee dafür ein, dass die Inlandsgeheimdienste abgeschafft werden, denn diese Institutionen sind einer Demokratie unwürdig. Nun wird dem Geheimdienst hier eine sehr relevante Rolle zugeschrieben: auf kaum kontrollierbarer Grundlage, soll er mitentscheiden, wer im Öffentlichen Dienst arbeitet.

Immerhin gilt der Gesetz Entwurf erstmal nur für fünf Jahre, nach drei Jahren soll es eine Evaluation geben…

Man muss eigentlich davon ausgehen, dass solche Gesetze nur dann zurückgenommen werden, wenn es  Gerichtsbeschlüsse aus höheren Instanzen dagegen gibt oder spürbare und dauerhafte Proteste – so wie in den 1970er Jahren.

Wäre es eine Möglichkeit, jetzt massenhaft gegen solche Überprüfungen zu klagen?

Na ja, erstmal müssten Betroffene überhaupt wissen, dass sie klagen können. Und sie müssen es wollen, denn eine gerichtliche Auseinandersetzung ist auf jeden Fall ein langer Weg. Es braucht vor allem eine gute politische Organisierung um das Thema herum, Leute müssen wissen, dass es Anlaufstellen gibt, müssen Informationen erhalten, sich vernetzen können. In Hamburg hat sich dazu schon ein Bündnis gegründet (2), das ist ein erster wichtiger Schritt. Und die bringen auf ihrer Website die Absurdität dieser Gesetzesinitiative gut auf den Punkt: Erst vor drei Jahren hat sich derselbe Senat, der jetzt das Gesetz durchbringen will, bei den Hamburger Betroffenen der ersten Berufsverbote für das Unrecht entschuldigt, das ihnen damals widerfahren ist. Nun wollen SPD und Grüne Regelungen durchsetzen, die noch über den Radikalenerlass der 1970er hinausgehen.

Lene Kempe

ist Redakteurin bei ak.

Anmerkungen

1) Zahlen zu Berufsverboten wurden von Bund und Ländern nie systematisch erfasst. Geschätzt wird, dass es um die 11.000 Berufsverbotsverfahren gab sowie 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Außerdem um die 2.200 Disziplinarverfahren. Zudem fertigte der Verfassungsschutz etwa 35.000 Dossiers zu Einzelpersonen an

2) gegen-berufsverbote.hamburg/

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