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|ak 717 | Feminismus

Versagen auf allen Ebenen

Copwatch Frankfurt hat den Fall einer Schwarzen karibischen trans Betroffenen begleitet, der zeigt, wie häusliche und staatliche Gewalt zusammenwirken

Von Copwatchffm

Stromhäuschen, bemalt mit orangener Farbe und beschriftet mit der Nummer eines Frauennotrufs.
Auf ihrer Suche nach Hilfe immer wieder im Stich gelassen, beginnt Nina, staatliche Unterstützungsstrukturen immer mehr zu hinterfragen. Foto: PantheraLeo1359531 / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Nina* hatte ein geordnetes, angepasstes Leben. Sie arbeitete in einem Hotel, sah sich nie als politisch, war mit einem weißen Mann verheiratet. Als sie durch diesen immer wieder häusliche Gewalt erfuhr, tat sie, was sie damals für »das Richtige« hielt: Dokumentieren, Beweise sammeln, die Polizei rufen. Was sie danach erlebte, politisierte sie und machte sie zur Polizeikritikerin.

Als die Polizei ankommt, merkt Nina schnell, dass diese nicht sie, sondern ihren Ex schützt, und beschließt, die Situation zu filmen. Die Polizei unterlässt die Hilfeleistung, macht sich über sie lustig und scheint eine nette Unterhaltung mit dem Täter zu führen.

Am ersten Tag des Scheidungsverfahrens – Nina wohnt mittlerweile im Gäste-WC der gemeinsamen Wohnung – soll es zunächst um ihren Schutz in der Wohnung während des Scheidungsprozesses gehen. Die Wohnung wird aufgeteilt: Er bekommt das Schlafzimmer und sie das Wohnzimmer als Privatraum zugesprochen; es gilt ein Betretungsverbot für das jeweils andere Zimmer. Nina weiß, dass das nichts bringen wird, da er im Besitz aller Schlüssel der Wohnung ist. Sie ist beispielsweise auf sein Wohlwollen angewiesen, um das Badezimmer aufschließen und duschen zu können. Ihre Bedenken dazu inklusive der Videoaufnahmen, die dies beweisen, werden vor Gericht ignoriert – die Lüge ihres Ex-Mannes, dass keine Schlüssel existieren würden, wird vom Richter nicht angezweifelt. Das Betretungsverbot zu Ninas Zimmer wird bereits am ersten Abend gebrochen; sie weiß nicht weiter und ruft ihre Anwältin an. »Ruf doch einfach die Polizei« wird ihr geraten. Nina fühlt sich wie in einem schlechten Film und beschließt, dass sie so schnell wie möglich aus der Wohnung raus muss.

Institutionelles Versagen

Mithilfe einer lokalen queeren Organisation schafft sie es, in ein Frauenhaus zu fliehen. Mehr als einige persönliche Gegenstände kann sie nicht mitnehmen, zu groß ist die Gefahr, dass ihr Fluchtplan auffliegt. Im Frauenhaus erzählen ihr die Sozialarbeitenden, dass sie die erste trans Frau sei, die zu ihnen gekommen ist. Die Erfahrung im Frauenhaus ist für Nina positiv und lebensrettend, aber sie fängt auch an zu verstehen, dass Organisationen, die innerhalb staatlicher Förderstrukturen agieren, institutionelle und strukturelle Gewalt nicht so adressieren können, wie es erforderlich wäre. Mitarbeitende, die helfen wollen, sind von anderen Akteuren abhängig – von Hotels, Polizei, Behörden. Viele der Menschen, die im institutionellen Unterstützungssystem tätig sind, arbeiten in einem Spannungsfeld zwischen Empathie und strukturellem Zwang.

Die Mitarbeitenden des Frauenhauses begleiten Nina schließlich zu einer ihnen bekannten, »coolen« Polizistin. Nina zeigt die Tonaufnahme, in denen die zwei Beamten sie in ihrem Zuhause ins Lächerliche ziehen. Die Polizistin ist schockiert, schaut ihr in die Augen, als sie ihr versichert, dass das, was passiert ist, falsch war und bittet um die Aufzeichnung; Nina hofft nun, dass ihr Fall ernst genommen wird und gibt einen USB-Stick mit den Beweisen ab. Einige Wochen später erreicht Nina dann ein Brief der Polizei: nach §201 StGB habe sie gegen das Recht am privaten Wort verstoßen – die »coole« Polizistin hat Nina angezeigt. Für Nina steht fest, dass es ein Fehler war, mit der Polizei ins Gespräch zu gehen.

Sie sucht sich Unterstützung bei verschiedensten regionalen und bundesweiten NGOs und Beratungsstellen; ihr wird distanziert, teilweise überheblich begegnet. Sie hört immer wieder, sie sei zu emotional oder zu laut, unter anderem von einer Anwältin, die ihr über eine Beratungsstelle empfohlen und für die ihr Prozesskostenhilfe gewährt worden war. Auf Antrag kann bei wichtigen Gründen die Prozesskostenhilfe auf eine neue Anwaltsperson übertragen werden; dies wird – wie auch in Ninas Fall – zwar oft abgelehnt, doch die schriftliche Begründung hat auch uns schockiert: Es liege kein wichtiger Grund vor, da »ein Gespräch über die rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs nur dann möglich ist, wenn die Antragstellerin nicht das gesamte Gespräch über weint« (Dokument liegt Copwatchffm vor). Einer Person, die Folgesymptome eines Gewaltereignisses zeigt – ihre Ärztin diagnostizierte bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung –, wird so der Zugang zum Recht verwehrt.

Privatsache?

»Wenn er versucht hätte, mich auf der Straße zu töten, hätte ich mehr Rechte gehabt«, sagt Nina. Ein Satz, der tief sitzt und verdeutlicht, dass dieses Rechtssystem häusliche Gewalt oft nicht ernst nimmt – besonders dann, wenn Betroffene mehrfach marginalisiert sind. Anders als bei schwerer oder gefährlicher Körperverletzung wird häusliche Gewalt in den privaten Raum gedrängt, in der die Staatsanwaltschaft selten von Amts wegen tätig wird; Betroffene müssen also selbst Strafantrag stellen und Beweise vorlegen. Trotz Beweisen in Form von ärztlichen Gutachten, die Fremdeinwirkung bestätigen, und Bilddokumentation lehnt die Staatsanwaltschaft es ab, das Verfahren wegen Körperverletzung gegen Ninas Ex-Mann zu eröffnen.

Der einzige Weg, der noch übrig bleibt, ist eine Privatklage: Die Anwältin übernimmt im Prinzip die Arbeit der Staatsanwaltschaft, sammelt Beweise und muss das Gericht davon überzeugen, den Täter zu verurteilen – ein langes und kostenintensives Verfahren mit wenig Erfolgschancen. Was noch erschwerend hinzukommt: Für eine Privatklage (bei Personen wohnhaft im selben Landkreis) ist ein gescheiterter »Sühneversuch« Voraussetzung, eine Art außergerichtliches Verfahren, bei dem sich in diesem Fall eine Betroffene von häuslicher Gewalt mit ihrem Täter an einen Tisch setzen muss. Nina musste immer wieder auf den Mann treffen, der ihr auf so vielen Ebenen Gewalt angetan hatte. Und was für sie noch viel schwerer wiegt: Weder das Gericht noch die damalige Anwältin zeigten Verständnis dafür, warum das so belastend für sie ist.

»Sie hätten die Expert*innen in dieser Situation sein sollen, nicht ich«, findet Nina. Auf ihrer Suche nach Hilfe wird sie unfreiwillig zur Expertin im Bereich Unterstützungsstrukturen und stellt immer wieder fest, dass sie auf sich allein gestellt ist. Die meisten der sogenannten Expert*innen im Unterstützungssystem, Anwält*innen, Beratungsstellen, NGOs usw. nehmen sie und ihre Sorgen nicht ernst und kommen ihrem gesetzlichen Schutzauftrag nicht nach. Nach den Gewalterfahrungen, vor denen Nina geflüchtet ist, erlebt sie ein zweites, drittes, viertes Mal Gewalt durch die Strukturen, die sie eigentlich schützen sollen.

Als Gruppe mit abolitionistischem Selbstverständnis müssen wir uns immer wieder fragen, wie Unterstützungsarbeit innerhalb des von uns kritisierten Systems aussehen kann.

Abolitionistische Fürsorge

Der Fall von Nina hat auch uns als aktivistische und unabhängige Unterstützungsstruktur, die seit über einem Jahrzehnt zu rassistischer Polizeigewalt arbeitet, vor Augen geführt, warum wir ein Versagen von staatlichen Strukturen auch als Teil staatlicher Gewalt verstehen müssen und wie etwa durch Marginalisierung und Pathologisierung Zugänge verwehrt werden. Darüber hinaus verdeutlicht der Fall, dass unterlassene Hilfeleistung genauso Polizeigewalt sein kann wie ein Schlag ins Gesicht durch eben jene. Darüber sollte auch in linken Strukturen mehr diskutiert werden. Wir müssen Menschen in Bildungsveranstaltungen oft erklären, dass Betroffene oft selbst den Wunsch äußern, die Polizei zu rufen – dass dies in einer bedrohlich steigenden Anzahl von Fällen insbesondere bei Menschen in psychischen Krisen zum Tod führt, ist zwar bitterer Fakt, ändert im Moment einer lebensbedrohlichen Lage aber nicht, dass es aktuell kein anderes funktionierendes Instrument gibt, das auch im ländlichen Raum agiert. Linke Strukturen können gleichzeitig viel von Schwarzen Kämpfen im Bereich Disability Justice lernen, die darauf hinweisen, dass ein Ruf nach mehr staatlichen Sozialdiensten die Gefahr birgt, die Pathologisierung und Kriminalisierung in medizinischen Einrichtungen zu verschleiern.

Der Fall zeigt auch, wie angepasst solidarische Strukturen an das System sind: Als Gruppe mit abolitionistischem Selbstverständnis müssen wir uns immer wieder reflektieren und fragen, wie unsere Fürsorge- und Unterstützungsarbeit im Kontext der Begleitung von Betroffenen von Polizeigewalt innerhalb des von uns kritisierten Systems aussehen kann. Wir wissen, dass es in den meisten Fällen keine Gerechtigkeit innerhalb dieses Rechtssystems geben wird. Trotzdem begleiten wir immer wieder Menschen wie Nina zu Anwält*innen oder beobachten Prozesse vor Gericht – weil es sich die Betroffenen wünschen. Abolition ist nicht nur die Abschaffung strafender Systeme, es geht gleichzeitig um die Transformation hin zu einer solidarischen Gesellschaft und alternativen Gerechtigkeitsstrukturen. In einem System, in dem Betroffene rassistischer Polizeigewalt isoliert, pathologisiert und kriminalisiert werden, ist es ein subversiver Akt, diese Menschen und ihre Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen, weshalb wir auch diesen Beitrag verfassen. Es ist Ninas Wunsch, dass erzählt wird, was sie erlebt hat und dass sie kein Einzelfall ist. Sie möchte anderen Betroffenen mitgeben, was sie sich selbst gewünscht hätte: Mut, der eigenen Intuition zu vertrauen, in einem Umfeld, in dem einem die eigene Lebensrealität ständig abgesprochen wird; und Vertrauen, dass es solidarische Menschen gibt, die einem zur Seite stehen.

*Name in Absprache mit und zum Schutz der Betroffenen geändert

Copwatchffm

hat sich 2013 aus der Initiative Christy Schwundeck zusammengeschlossen, um der Normalität von Racial Profiling konkrete Unterstützung entgegen zu setzen. Die Gruppe hat eine Telefonhotline und eine Informationsstelle, dokumentiert rassistische Polizeigewalt und bietet Workshops an. Mehr Infos und ein Spendenlink für Nina ist auf der Website von Copwatchffm zu finden.

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