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Ein neurechtes Einfallstor

Seit Jahren drängt die Neue Rechte in den literarischen Diskurs – Torsten Hoffmann erforscht diese Interventionen

Interview: Isabella Caldart

Blick von oben auf Stände auf der Frankfurter Buchmesse
Noch vor einigen Jahren versuchten Rechte, Buchmessen zu überrennen. Heute suchen sie sich neue Wege, um ihre Positionen zu normalisieren. Foto: MFG Baden-Württemberg /Flickr , CC BY 2.0

Die Beschäftigung mit Literatur ist ein Bestanteil neurechter Metapolitik. Extrem rechte Akteur*innen zielen damit nicht auf Stammtische, sondern Hörsäle und den Bildungsbetrieb ab, erreichen über YouTube Schüler*innen und organisieren eigene Literaturmessen. Der Literaturprofessor Torsten Hoffmann erklärt diese Bestrebungen im Interview.

Zunächst habe ich eine biografische Frage an Sie: Wieso beschäftigen Sie sich überhaupt mit dem Thema?

Torsten Hoffmann: Ich habe 2004 zur Ästhetik des Erhabenen in der Gegenwartsliteratur promoviert und dafür auch ein Buch über Botho Strauß aus dem Antaios Verlag von Götz Kubitschek gelesen. Damals habe ich mich zum ersten Mal gefragt, was das überhaupt für ein Verlag ist. Man kann generell festhalten, dass sich der Kreis um Kubitschek tatsächlich für Literatur interessiert – teils für dieselbe, mit der auch ich mich beschäftige, wie Strauß eben oder Rilke. Das neurechte Interesse an Literatur erfüllt aber immer auch eine politische beziehungsweise metapolitische Funktion, was es über das Literarische hinaus relevant macht.

Dieser Kreis um Kubitschek ist in mehrerer Hinsicht aktiv, es gibt eine YouTube-Literatursendung von Kubitscheks Ehefrau Ellen Kositza und der rechten Buchhändlerin Susanne Dagen mit wechselnden Gästen, vom Jungeuropa Verlag außerdem den Podcast »Von rechts gelesen«. Was genau ist das Ziel?

Das Ziel ist ein doppeltes. Zum einen kommt man über Literatur in die Köpfe der Menschen hinein – unser Denken wird auch von dem geprägt, was wir lesen. Neurechte Metapolitik zielt nicht primär darauf ab, dass die AfD oder FPÖ die nächsten Wahlen gewinnen, sie will vielmehr rechtsextremes Denken in gesellschaftliche Diskurse einschleusen und verankern. Empfehlungen rechter Literatur können dabei sehr hilfreich sein. Das andere Ziel besteht darin, mit Literatur Aufmerksamkeits- und Sympathiegewinne zu erzielen, und zwar auch in Kreisen, die der Neuen Rechten bisher indifferent oder kritisch gegenüberstehen. Wenn man sich mit nicht-rechten Büchern beschäftigt, die in bildungsbürgerlichen Kreisen gelesen und geschätzt werden, kann das – so heißt es bei Kubitschek – die »emotionale Barriere« gegenüber der Neuen Rechten absenken.

Können Sie das ausführen?

Wenn man im Internet nach Rezensionen zum Roman »Lichtungen« von Iris Wolff recherchiert, der 2024 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, stößt man auch auf Kubitscheks Besprechung im Blog seiner Zeitschrift Sezession. Das heißt, ohne aktiv den Kontakt zur Neuen Rechten zu suchen, gelangt man auf ihre Medien und bleibt dort vielleicht hängen. Gleichzeitig wird mit »Lichtungen« das gemacht, was Kubitschek in seinem Aufsatz »Selbstverharmlosung« als eine der zentralen metapolitischen Strategien der Neuen Rechten vorstellt: Verzahnung. Man nimmt sich eine etablierte Stimme, die nicht im Verdacht steht, politisch rechts zu sein, um zu behaupten, dass sie Ähnliches sagt wie man selbst. Im Fall von »Lichtungen« schreibt Kubitschek, es handele sich um einen Heimatroman. Die Pointe ist aber, dass bei Wolff Heimat explizit antinationalistisch gedacht wird. Das verschweigt er und suggeriert damit, dass jemand wie Wolff kompatibel mit Denkfiguren der Neuen Rechten sei. Wenn solche Rezensionen auch noch von angesehenen Redakteur*innen in den sozialen Medien geteilt werden – wie es teilweise geschieht –, wird die metapolitische Agenda der Neuen Rechten bedient, als normaler literaturbetrieblicher Akteur wahrgenommen zu werden. Das ist ein Einfallstor ins Bildungsbürgertum.

Torsten Hoffmann

ist Jahrgang 1973 und Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Stuttgart sowie Präsident der Internationalen Rilke-Gesellschaft. Er leitet das DFG-Projekt »Neurechte Literaturpolitik«.

Foto: Sebastian Kassner

Funktioniert das nur über Literatur, weil man ein bildungsbürgerliches Publikum erreichen will? Oder warum werden Filme weniger beachtet?

Es gibt in der Neuen Rechten das, was Benedikt Kaiser, ein Theoretiker der Szene, die »Mosaik-Rechte« nennt, ein Konzept von Rechtssein, in dem verschiedene Akteur*innen verschiedene Positionen übernehmen. Antaios, Sezession oder der Jungeuropa Verlag konzentrieren sich auf Literatur. Das heißt aber nicht, dass man mit Filmen nicht genau das Gleiche machen könnte und zum Teil auch macht. Martin Sellner (österreichischer rechtsextremer Aktivist und Gallionsfigur der Identitäten Bewegung, Anm. d. Red.) zum Beispiel sagt, dass ihm das Hochliterarische eher fremd ist, und bewegt sich eher im populärkulturellen Bereich. Das heißt, es gibt eine gewisse Aufgabenverteilung im Rechtsextremismus.

Zu den Romanen, die nicht rechtsaffin sind und aus anderen Gründen besprochen werden, gehören viele ostdeutsche Texte.

Sie haben Strauß und Wolff erwähnt. Welche Texte werden noch besprochen?

Zu den Romanen, die nicht rechtsaffin sind und eher aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen besprochen werden, gehören viele ostdeutsche Texte, etwa von Lutz Seiler. Das hat auch damit zu tun, dass Susanne Dagen, die das BuchHaus Loschwitz in Dresden betreibt und eng mit dem Kreis um Kubitschek kooperiert, sich besonders für diese Literatur interessiert und gute Verbindungen in die ostdeutsche Literaturszene hat. Besonders eng ist ihr Kontakt zu Uwe Tellkamp, der etablierteste Autor, der offen mit der Neuen Rechten zusammenarbeitet. Überhaupt kann man sagen, dass der Kanon der Neuen Rechten im Wesentlichen männlich ist und sich bei älteren Texten vor allem auf Autoren des 20. Jahrhunderts bezieht, die zum einen eine gewisse literarische Qualität mitbringen und zum anderen zumindest phasenweise antidemokratisch oder NS-affin waren, etwa Ernst Jünger, Gottfried Benn oder Ernst von Salomon. Mit ihnen soll der Kanon nach rechts verschoben und zugleich eine geschichtsrevisionistische Agenda popularisiert werden.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass es der Neuen Rechten auch darum geht, in die Bildungsinstitutionen hineinzukommen.

Es ist schon lange ein Ziel der neurechten Zirkel, weniger die Stammtische als vielmehr die Hörsäle und den Bildungsbetrieb zu erreichen. Ein Beispiel ist dafür die »Aktion 451 « (benannt nach dem Roman »Fahrenheit 451« von Ray Bradbury, Anm. d. Red.), die im Herbst 2023 in Wien gegründet wurde und sich explizit zum Ziel gesetzt hat, Lesekreise an Universitäten in Österreich und Deutschland ins Leben zu rufen. Außerdem kann man seit einiger Zeit beobachten, dass an Schulen und Unis auch unwissentlich mit neurechtem Material gearbeitet wird. Wenn Schüler*innen beispielsweise ein Gedicht von Benn vorstellen sollen und dafür den Namen auf YouTube eingeben, bekommen sie in der Trefferliste auch ein Gespräch zwischen Kubitschek und Erik Lehnert (AfD Brandenburg und Herausgeber der Sezession, Anm. d. Red.) angezeigt.

Was kann man dagegen tun?

Das ist natürlich ein Balanceakt, man will die Leute auch nicht dazu bringen, regelmäßig die Website der Sezession zu besuchen. Der Witz ist, dass das, was man immer wieder liest, irgendwann auch hängenbleibt. Deswegen bin ich skeptisch, Jugendliche an Schulen mit Texten und Medien der Neuen Rechten bekannt zu machen. Viel wichtiger ist, dass Lehrer*innen Bescheid wissen, dass es diese Bemühungen gibt, den literarischen Bereich ideologisch nach rechts zu verschieben, damit sie erkennen, wenn die Schüler*innen unwissentlich damit zu tun bekommen, und entsprechend darauf reagieren können.

Es gab eine Zeit, als angesehene Medien Rechtsextreme aufgesucht haben, um diese besser zu »verstehen«. Ist das eine Art von Naivität oder eine Faszination des Bösen?

Ab Mitte der 2010er-Jahre wurden viele dieser Homestorys gemacht bis hin zum New York Times Magazine, das nach Schnellroda fuhr und Kubitschek und Kositza über mehrere Seiten porträtierte. Im Rückblick muss man sagen, dass das extrem naiv war, weil die Geschichten oft von Journalist*innen geschrieben wurden, die nicht über die metapolitischen Strategien Bescheid wussten und dann überrascht waren von den großen Bücherregalen, die sie vor Ort sahen. Kubitschek wurde im Spiegel nicht im Politikteil, sondern im Kulturteil lesend vor seiner Bücherwand abgebildet. Wie der Autor Volker Weiß, der sich ebenfalls intensiv mit der Neuen Rechten befasst, bin auch ich der Ansicht, dass man sich natürlich mit diesen Leuten beschäftigen und ihre Strategien auch in Zeitungen diskutieren soll. Aber eben nicht in der Form von Homestorys.

Zur metapolitischen Strategie gehörte auch, dass rechtsnationale Verlage auf der Frankfurter Buchmesse sehr viel Lärm machten.

2017 und 2018 wurde die Berichterstattung über die Buchmesse stark von diesen Verlagen dominiert. In den letzten Jahren hat sich die Szene von den großen Messen in Frankfurt und Leipzig eher zurückgezogen und kleine eigene »Messen« organisiert, oft initiiert von AfD-Politiker*innen. Bisher zielte das vor allem auf eine Vernetzung rechtsextremer Verlage untereinander und ein rechtes Publikum. Aktuell plant Susanne Dagen eine größere Messe namens »Seitenwechsel«, die – ausgerechnet am 8. und 9. November – auf dem Messegelände in Halle/Saale stattfinden soll. Es geht nun darum, eine Parallelstruktur zu den etablierten Messen zu schaffen. Das ist eine neue Dimension, die darauf abzielt, neurechtes Denken zu normalisieren, indem man eine größere Zahl an Ausstellern und ein breiteres Publikum adressiert. Deshalb wird das Ganze auch nicht mehr explizit als »rechte« Messe gelabelt. Umso wichtiger ist es, darauf hinzuweisen, dass Susanne Dagen seit Jahren an einer Integration der extremen Rechten in den Literaturbetrieb arbeitet, bis hin zu Martin Sellner, dem sie in ihrer Literatursendung eine Plattform geboten hat, als seine eigenen YouTube- und Twitter-Kanäle gesperrt waren. Die Messe ist ein explizit rechtes Projekt unter neuem Label.

Isabella Caldart

ist freie Journalistin und Literaturvermittlerin. Zuletzt erschien von ihr »Nirvana. 100 Seiten« im Reclam Verlag.

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