analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 664 | Geschichte |Reihe: Planwirtschaft

Den industriellen Um- und Rückbau planen

Wie lässt sich von kapitalistischer Planung lernen?

Von Christian Zeller

Die durchschnittliche globale Erwärmung auf maximal 1,5° Celsius zu begrenzen, erfordert einen historisch einmaligen Um- und Rückbau großer Teile des gesamten produktiven Apparates unserer Gesellschaften. Nur mit gesellschaftlicher Planung lässt sich dieser umfangreiche Prozess so gestalten, dass er nicht mit großer Arbeitslosigkeit und mit der Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung einhergeht. Doch von welchen Erfahrungen lässt sich lernen, um neue Konzepte demokratischer Wirtschaftsplanung zu entwickeln?

Wirtschaftsplanung wird zumeist mit dem gesellschaftlichen Scheitern der bürokratischen Diktaturen und Kommandowirtschaften in Verbindung gebracht, worauf hier nicht eingegangen werden soll. Vielmehr lautet das Argument, dass die kapitalistische Wirtschaft selber weitgehend geplant ist. Die großen Konzerne sind autoritäre Planungsmaschinen, die im monopolistischen Wettbewerb und der oligopolistischen Rivalität nicht bestehen könnten, wenn sie ihre Innovations- und Produktionsprozesse nicht sorgfältig, oftmals sogar über viele Jahre hinweg, planen würden. Beispielsweise dauert der Forschungs- und Entwicklungsprozess eines Medikaments, an dem Dutzende von Unternehmen und öffentlich finanzierte Forschungsinstitute involviert sind, normalerweise um die zehn Jahre.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben zudem etliche Staaten im Zuge keynesianischer Makrosteuerung der Volkswirtschaften und sektoraler, auf bestimmte Wirtschaftszweige zielender Industriepolitik Praktiken der Wirtschaftsplanung eingeführt. Frankreich, die nordischen Länder, besonders Norwegen, und Japan hatten bis in die 1990er Jahre Planungsbehörden, die makroökonomische Zielvorgaben und Szenarien ausarbeiteten. Die Ende der 1970er Jahre einsetzende neoliberale Offensive hat diese volkswirtschaftlichen Elemente von Planung weitgehend verdrängt. Seit mehreren Jahrzehnten findet kaum mehr eine öffentliche Diskussion über Wirtschaftsplanung statt. Die Marktideologie hat sich durchgesetzt, obwohl die kapitalistische Produktionsweise zunehmend weniger eine Marktwirtschaft ist.

Konzerne planen

Die kapitalistische Produktionsweise beruht auf der Akkumulation von Kapital. Die Unternehmen sind die organisatorische Hülle dieses Akkumulationsprozesses, der durch die Konkurrenz zwischen den Unternehmen angefeuert wird. Diese Konkurrenz vollzieht sich auf Märkten, die jedoch höchstens ausnahmsweise so etwas wie vollständigen Wettbewerb kennen.

Gemäß dem World Investment Report 2013 der UNCTAD sind transnationale Konzerne an rund 80 Prozent des Welthandels beteiligt. Ein Drittel des Welthandels wickeln transnationale Konzerne innerhalb ihrer Organisation ab. An einem weiteren Drittel des Welthandels sind transnationale Konzerne als Käufer oder Verkäufer beteiligt. Weitere rund 13 Prozent des Welthandels nehmen die Form von Auftragsfertigung, Outsourcing, Lizenzvereinbarungen und Managementverträgen an, sind also Austauschvorgänge, die unter Kontrolle eines transnationalen Konzerns stattfinden. Ein großer Teil des Welthandels erfolgt demnach nicht über Märkte, sondern in geplanten Hierarchien.

Ein großer Teil des Welthandels erfolgt nicht über Märkte, sondern in geplanten Hierarchien.

Transnationale Konzerne planen und steuern mit ausgefeilten Methoden und Programmen internationale Wertschöpfungsketten. Die Umsätze der größten Konzerne der Welt übertreffen das Bruttoinlandsprodukt auch mittelgroßer Länder. Die Reichweite ihrer Planung geht über die Firmengrenzen hinaus und umfasst die Zulieferfirmen und wiederum deren Zulieferer, also ganze Pyramiden hierarchisch organisierter Produktionssysteme mit vielen beteiligten Unternehmen. Diese Planungssysteme können Hunderttausende von Beschäftigten und Hunderte von Millionen Nachfrager*innen umfassen. Planung wird also auch bei sehr großen Einheiten und komplexer Informationslage erfolgreich praktiziert.

Alles, was innerhalb der großen Konzerne geschieht, wird hierarchisch autoritär organisiert und geplant. Investitionen in neue Produktionsanlagen, die Übernahme anderer Firmen sowie Forschungs- und Entwicklungsausgaben haben einen langfristigen Charakter, die Erträge lassen sich oftmals erst nach vielen Jahren einstreichen. Das erfordert die Ausarbeitung unterschiedlicher Szenarien. Etliche theoretische Ansätze im Bereich der Business Studies gehen davon aus, dass die organisatorischen und planerischen Fähigkeiten, das Management von Wissen und Innovationsprozessen und der Umgang mit Ungewissheiten wesentliche Faktoren für den Erfolg von Unternehmen sind.

Vierjahrespläne in Frankreich

Ganz im Gegensatz zur ideologischen Propaganda ist Planung also auch in kapitalistischen Gesellschaften ein wichtiges Instrument zur Allokation von Ressourcen. Allerdings pervertieren die Konzerne diese Planungsprozesse und unterwerfen sie ihrem Streben nach Profitmaximierung. Dazu gehört auch, dass die Einbeziehung der Beschäftigten in solche Planungsprozesse vor allem dazu dient, sich ihrer Erfahrungen, ihres Wissens und ihrer Kreativität zu bemächtigen. Angeblich partizipative Managementkonzepte betreiben letztlich auf einer ausgeklügelteren Ebene die Entfremdung der Beschäftigten von ihren Erzeugnissen, Arbeitsgeräten und Verfahren. Die Lohnabhängigen können weder ihren Platz im Arbeitsprozess noch die Organisation und Zielsetzung dieses Prozesses in irgendeiner Form bestimmen.

Auch einzelne kapitalistische Staaten praktizieren mehr oder weniger ausgeprägt Wirtschafts- und vor allem Infrastrukturplanung. Die konkrete Ausprägung dieser Planung hängt davon ab, wie die Staaten ihrer grundlegenden Funktion nachkommen, die kapitalistischen Akkumulationsbedingungen zu garantieren und ihre Rolle als ideeller Gesamtkapitalist interpretieren. Ohne die staatliche Errichtung einer gigantischen Militär-, Transport-, Bildungs-, Forschungs- und Gesundheitsinfrastruktur könnten kapitalistische Unternehmen nicht profitabel wirtschaften.

Frankreich gehört zu jenen Ländern, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Bezeichnung einer indikativen Planung eine vergleichsweise umfangreiche ökonomische Makrosteuerung praktizierten. Auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern beschränkte sich die Planung auf die Festlegung von qualitativen und quantitativen Zielen und verfolgte das Ziel, die Investitionen in jene Sektoren zu lenken, die als prioritär für das Wachstum erachtet wurden.

Unmittelbar nach dem Krieg verfolgte der erste »Plan zur Modernisierung und Ausstattung« 1947-1952 das Ziel eines raschen Wiederaufbaus, der Anhebung des Lebensniveaus der Bevölkerung, der Modernisierung der Landwirtschaft und der Industrie, insbesondere der Exportsektoren. Bis 1992 gab es zehn derartige Wirtschaftspläne zur Verbesserung der Infrastruktur und Stärkung des Wachstums, die jeweils etwa vier Jahre gültig waren. Ab den 1960er Jahren wurden die Pläne stärker indikativ in dem Sinne, dass nur noch allgemeine Ziele formuliert wurden. Ab den 1970er Jahren nahmen Maßnahmen zur Stärkung der französischen Industrie im internationalen Wettbewerb und in der internationalen Arbeitsteilung eine größere Rolle ein. Im Zuge der Verschärfung des internationalen Wettbewerbs und der Schaffung des europäischen Binnenmarktes geriet diese Art der nationalen Makrosteuerung zunehmend in die Krise und verlor an Wirksamkeit.

Der für die Zeit von 1993-1997 vorgesehene elfte Plan wurde schließlich von der Regierung nicht mehr angenommen. Die Krise der indikativen Planung wurde offensichtlich. Sowohl die zunehmende internationale Expansion der großen Konzerne als auch die stärker marktorientierten neoliberalen Diskurse machten die indikative Planung letztlich hinfällig.

Sogar in den USA entbrannte Mitte der 1970er Jahre eine kleine Planungsdebatte. Wassily Leontief, der die Methode der Input-Output-Analyse von Vorleistungsverflechtungen entwickelte und hierfür 1973 den Nobelpreis erhielt, argumentierte offen für nationale Wirtschaftsplanung in den USA. Unter Wirtschaftsplanung verstand er die Möglichkeit, zwischen unterschiedlichen Szenarien zu wählen. Wenn es gelänge, öffentliche Debatten und demokratische Entscheidungsprozesse über mögliche Alternativen zu etablieren, könne die Allokation der gesellschaftlichen Ressourcen deutlich verbessert werden.

Das setze allerdings voraus, dass die Szenarien möglichst konkret und qualitativ, nicht mit abstrakten Größen wie Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenrate und jährlichen Wachstumsraten, konzipiert würden. In dieser Zeit debattierten auch der berühmte keynesianische Ökonom John Kenneth Galbraith und der konservative Ökonom Henry Wallich, Mitglied des Gouverneursrats der Federal Reserve, über die Vorzüge volkswirtschaftlicher Rahmenplanung und Makrosteuerung.

Ab den späten 1970er Jahren setzte sich dann die Marktideologie als hegemoniale Vorstellung, wie »knappe Güter bei unendlichen Bedürfnissen« optimal zuzuteilen sind, durch. Planungsdebatten finden nicht mehr statt. Das offenbart die komplette Verarmung in den Wirtschaftswissenschaften und der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen. Der rational nicht nachvollziehbare Glaube in die institutionelle Schaffung von Märkten dominiert die Debatten in der Klimapolitik bis weit in gewerkschaftliche und »grüne« Kreise hinein. Auch die Vorschläge für einen Green New Deal beschränken sich darauf, die scheinbare »Marktwirtschaft« ökologisch einzurahmen.

Umbau der stofflichen und energetischen Basis

Die gegenwärtigen Herausforderungen angesichts der Erderwärmung und der umfassenden ökologischen Krise im Zuge des Überschreitens mehrerer planetarer Grenzen sind gigantisch. Der dringend erforderliche industrielle Rück- und Umbau erfordert Planung – und zwar von der lokalen bis zur globalen Ebene. Die Klimabewegung, die Gewerkschaften und andere soziale Bewegungen sollten dringend beginnen, über die Vorzüge gesellschaftlicher Wirtschaftsplanung zu diskutieren.

Ein fundamentaler Unterschied besteht allerdings zu allen bisherigen Planungserfahrungen. Ging es bislang immer um die Anfeuerung des Wachstums, die Steigerung der Produktivität und vor allem um die Stärkung der Wettbewerbsposition der nationalen Kapitalgruppen, so steht heute ein kompletter Umbau der stofflichen und energetischen Basis des gesamten produktiven Apparates und in etlichen Sektoren sogar ein Rückbau auf der Tagesordnung. Es ist offensichtlich, dass diese Herausforderung mit Marktanreizen und kapitalistischer Konkurrenz nicht zu bewältigen ist.

Ein sozial gerechter und ökologisch angemessener industrieller Um- und Rückbau kann nur funktionieren, wenn es im Zuge von Massenbewegungen gelingt, die strategischen Produktionsmittel gesellschaftlich anzueignen. Zugleich macht die Vergesellschaftung der strategischen Wirtschaftssektoren nur in Verbindung mit demokratischer Planung wirklich Sinn. Denn wenn die sozialisierten Betriebe nicht wie private Unternehmen in Konkurrenz zueinander gestellt werden, muss es einen Allokationsmechanismus geben, der über den »Markt« hinausweist. Eine konsequente sozial-ökologisch Reformstrategie muss also zwingend die ökonomische Planung in den Mittelpunkt rücken.

Um diese Perspektive voranzutreiben, können wir allerdings durchaus von bisherigen – auch kapitalistischen – Erfahrungen lernen. Die kreative Herausforderung besteht darin, herauszufinden, wie neue Praktiken von Arbeiterkontrolle und gesellschaftlicher Aneignung der Produktionsmittel bei den gegenwärtig im Kapitalismus angewandten Planungsmethoden Hinweise für demokratische und sozialisierte Formen der Planung finden und diese im Sinne eines revolutionären gesellschaftlichen Umbruchs weiterentwickeln können.

Christian Zeller

ist Professor für Wirtschaftsgeographie an der Universität Salzburg. 2020 veröffentlichte er das Buch »Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen«.