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Das faulste Virus aller Zeiten? Corona bei der Arbeit (Teil 5)

Henni (Erzieherin) und Uwe (Arbeiter im Maschinenbau)

Protokolle: Carina Book

Um Fabriken, Büros, Kitas und Kantinen scheint das Virus einen großen Bogen zu machen, oder? Foto: Christof Timmermann / Flickr, CC BY-ND 2.0

Man weiß inzwischen eine Menge darüber, wie und wo man sich mit Corona infizieren kann. Nur über einen großen Bereich des Lebens herrscht Schweigen, Daten sind kaum zu finden: die Arbeitswelt. In der Reihe »Corona bei der Arbeit« dokumentieren wir kurze Berichte aus dem Arbeitsalltag unter Corona. Ähnliche Berichte sammelt die Initiative ZeroCovid in ihren »Schichtgeschichten« und auf Twitter und Instagram unter dem Hashtag #CovidAtWork sowie der Blog corona-at-work.de. Durch diese Berichte wollen wir nicht nur mehr über das Infektionsgeschehen am Arbeitsplatz erfahren, sondern auch einen Erfahrungsaustausch darüber anstoßen, welche Möglichkeiten es gibt, sich individuell und kollektiv gegen riskante Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Wenn ihr auch über eure Erfahrungen berichten wollt, schreibt uns: redaktion@akweb.de

Es ist eine kleine Parallelwelt in der Kita – fast so, als wäre kein Corona.

Henni

Henni*, 27 Jahre, Erzieherin in einer Kita in Hamburg

Die Kita, in der ich arbeite, wurde im März komplett geschlossen, nur für Eltern in systemrelevanten Berufen gab es Notbetreuung. Statt knapp 80 Kindern waren sechs da. Beim neuen Lockdown war das anders. Da hatten wir eingeschränkten Regelbetrieb, das heißt, die Eltern wurden gebeten, ihr Kind zu Hause zu lassen, konnten aber selbst entscheiden. Tagsüber hat sich die Zahl der Kinder daher nicht groß verändert. Nun haben wir eine eingeschränkte Notbetreuung wegen der neuen Virusvariante B117, die möglicherweise auch für Kinder ansteckender ist. Aber weil bei uns viele Alleinerziehende sind oder Eltern, die in Berufen wie der Pflege arbeiten, wird sich das nicht so stark auswirken. Außerdem haben wir noch einige Kinder mit Inklusions-Status und Kinder, die eine schwierige Familiensituation haben, die können weiterhin kommen. Da ist die Kita auch ein gewisser Schutzraum. Das zusammengerechnet ergibt fast Regelbetrieb, mehr als zwei Drittel der Kinder aus meiner Gruppe hätten einen Anspruch auf Notbetreuung.

Als die Kinder nach dem ersten Lockdown wiederkamen, hat man gemerkt, welche Kinder zu Hause eine besonders schwere Zeit hatten. Sie hatten teilweise Dinge, die in der Kita eingeübt waren, verlernt, oder sie haben sich persönlich stark verändert. Deshalb dürfen jetzt auch einige aus familiären Gründen in die Notbetreuung kommen. Wenn man die Familienstorys kennt, denkt man trotz Pandemie, es ist wichtig, dass sie kommen.

Ansonsten hat sich durch die Pandemie vor allem verändert, dass wir noch etwas mehr auf Hygiene achten. Auch der Kontakt zu den Kolleginnen hat sich etwas verändert. Wenn wir nicht gerade am Kind arbeiten, schauen wir, dass wir Abstand halten. Aber in der Gruppe tragen wir keine Masken, das geht nicht. Die Kinder brauchen Mimik, Gesichter. Es ist also eine kleine Parallelwelt in der Kita und wirkt fast so, als wäre kein Corona.

Trotzdem hatte ich bei der Arbeit bisher keine Angst vor Ansteckung. Neulich gab es einen Fall in der Krippe, danach bei uns in der Kita: Der Papa von einem Kind hatte einen positiven Corona-Test, daraufhin wurden wir drei Kolleg*innen aus der betroffenen Gruppe und die Kinder des Infizierten getestet. Alle anderen nicht. Die Tests sind glücklicherweise alle negativ ausgefallen. Der ganze Tag lief aber etwas chaotisch ab. Die Anweisung war: Die Eltern dürfen ihre Kinder nicht mehr bringen, aber wir mussten in der Kita bleiben und haben Schnelltests gemacht. Aber vier Kinder waren schon da, die sind geblieben. Den Rest mussten wir wieder nach Hause schicken. Allerdings gab es eine Ausnahme: Eine Mutter, die an dem Tag einen neuen Job angefangen hat und keine Betreuung hatte, wollte ihr Kind trotzdem in die Kita lassen. Nachdem sie mit unserer Chefin gesprochen hatte, hieß es: Der Junge darf bleiben. In ihrer Mittagspause hat sie ihren Sohn abgeholt und zur neuen Arbeit mitgenommen.

Mein soziales Umfeld ist mir gegenüber vorsichtiger geworden wegen meiner Arbeit. Ein Freund hat eine schwerkranke Mutter, der möchte mich erstmal nicht sehen. Ich kann das nachvollziehen. Oder Weihnachten: Ich war am 22. noch in der Kita, dann fahre ich nicht zwei Tage später zu meinen Eltern, auch nicht mit Schnelltest – das ist mir zu unsicher. In der Freizeit schränke ich mich also stark ein, aber auf der Arbeit eben nicht. Das ist ja nicht zu vergleichen mit Unternehmen, die auf Arbeitsschutz scheißen oder wo theoretisch auch Homeoffice möglich wäre. Das geht ja nicht bei uns.

Was ich mir wünschen würde: dass Kinder mehr getestet werden und dass es generell klarere Regelungen gibt, zum Beispiel, wenn es einen positiven Fall gibt, dass die ganze Gruppe dann fünf Tage in Quarantäne geht. Das scheint aber alles sehr chaotisch, man wartet immer wieder auf Neuigkeiten von der Stadt, wie die Kitas zu handeln haben. Auch dass wir schnell geimpft werden, wäre gut, weil wir den Kontakt nicht gut beschränken können. Wenn die Wirtschaft insgesamt stärker stillstehen würde, würde das sicher auch helfen. Natürlich würde es immer noch Betreuung geben müssen, aber alle wären entlastet. Und natürlich, wenn es mehr Personal in der Pflege gäbe: Das wäre eine große Entlastung. Dann könnten die sich zum Beispiel alle zwei Wochen abwechseln, und das hätte auch zur Folge, dass deren Kinder auch alle zwei Wochen nicht zur Kita müssten und wir kleinere Gruppen schaffen könnten.

Die einen haben durch Kurzarbeit weniger Einkommen, die anderen sollen, weil die Kollegen in Kurzarbeit sind, zusätzliche Arbeit bewältigen.

Uwe

Uwe, 55 Jahre alt, Schichtarbeiter im Maschinenbau

Uns in der Metallverarbeitung plagen in der Corona-Pandemie andere Sorgen als diejenigen, die ihren Beruf gar nicht mehr ausüben dürfen und jetzt ohne Einkommen dastehen. Dennoch: Die einen leiden darunter, dass sie durch die Kurzarbeit weniger Einkommen bekommen. Die anderen darunter, dass sie die Arbeit, die die Kollegen in der Kurzarbeit gemacht hätten, jetzt zusätzlich bewerkstelligen sollen.

Es ist ja nicht so, als gäbe es tatsächlich weniger zu tun, was eine Kurzarbeit rechtfertigen würde: Die Firmen bedienen sich dieses Instrumentes, weil sie den Staat als eine endlos zu melkende Geld-Kuh verstehen. Und wir, die »Arbeitnehmer*innen« (der Begriff ist falsch, denn wir geben unsere Arbeit und sind deshalb eigentlich die Arbeitgeber) dürfen es ausbaden. Wir werden ausgerechnet zur Nachtschicht in Kurzarbeit geschickt. Das heißt, dass alle Zulagen wegfallen. Gleichzeitig müssen wir mit abgespecktem Personal – alle Leiharbeiter*innen wurden im Juli 2020 geschmissen – das gleiche Pensum schaffen. Zusätzlich wird der Druck erhöht, indem man tagtäglich seine Leistung vierfach dokumentieren muss. Als ob die Chefs nicht sehen könnten, was wir jeden Tag wegschaffen.

Dass in unserer Abteilung ein großer Teil zur Risikogruppe zählt, interessiert auch niemanden. Bis heute wurde es nicht zustande gebracht, Desinfektionsmittel zu verteilen oder ausreichend Spender aufzustellen. Stattdessen müssen wir neuerdings in sogenannten »Shopfloor-Debatten« antanzen. Shopfloor ist eine Management-Technik, bei der die Chefs vor Ort in der Produktion einlaufen und hören wollen, wo es in Prozessen hakt. Dass man das einführt, obwohl man die Arbeiter*innen einem unnötigen Infektionsrisiko aussetzt, zeugt von der Ignoranz. Man könne nicht damit warten, bis Corona vorbei sei, wird dann einfach gesagt.

Zudem schwingt das Damoklesschwert eines angekündigten Personalabbaus über der Belegschaft. Auch wenn wir im Betriebsrat – vorerst – betriebsbedingte Kündigungen abwenden konnten, muss jede*r ältere Kolleg*in fest damit rechnen, zu einem Personalgespräch eingeladen zu werden, in dem geklärt werden soll, wie und zu welchen Bedingungen er oder sie die Firma verlässt. Alle, die meinen, Corona hätte auch Chancen, könne Positives bewirken, sind auf dem Holzweg, was die Arbeitswelt betrifft.

* Name geändert