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Dunkle Wolken über Vonovia

Was der Verkauf von Wohnungen im Wert von 13 Milliarden Euro mit der Inflation zu tun hat

Von Kalle Kunkel

Lange Zeit hat jener Mechanismus, der Vonovias Geschäftsmodell trägt, für den Konzern funktioniert. In relativ kurzer Zeit ist dieser Mechanismus nun jedoch gekippt. Collage: KD

Vonovia hat Anfang August angekündigt, für 13 Milliarden Euro Wohnungen verkaufen zu wollen. Die Ankündigung wirft ein Schlaglicht auf die Widersprüche des finanzialisierten Wohnungsmarktes in Deutschland und die Probleme, in die die finanzmarktorientierten Konzerne angesichts von Zinswende und Inflation geraten.

Der Konzern war im September 2021 mit der Übername der Deutsche Wohnen um ca. 154.000 Wohneinheiten gewachsen. Der Wert von 13 Milliarden Euro entspricht rechnerisch ca. 86.000 Wohneinheiten, also mehr als der Hälfte der Expansion vom Vorjahr.

Warum diese Schrumpfkur? In der öffentlichen Verlautbarung des Konzerns, die auch von der Berichterstattung weitgehend übernommen wurde, wird dieser Verkauf mit der Reduzierung der Schuldenlast des Konzerns begründet. Tatsächlich sind seine Schulden vor allem im Zuge der Übernahme der Deutsche Wohnen massiv angestiegen von ca. 36,6 auf rund 69,8 Milliarden. Wichtiger als die Entwicklung der absoluten Schulden ist jedoch die Entwicklung der Verschuldung im Verhältnis zum Vermögen – also die Verschuldungsquote. Zwar ist auch diese angestiegen. Da mit dem Kauf von Deutsche Wohnen auch Vermögenswerte, vor allem in Form von Wohnungen, erworben wurden, jedoch nicht annähernd so dramatisch, wie die absoluten Zahlen nahelegen; sie stieg von 60,2 auf 65,6 Prozent.

Trotzdem steht die Verringerung der Schulden im Mittelpunkt der aktuellen Berichterstattung. Dies scheint angesichts der steigenden Zinsen zunächst nachvollziehbar. Diese spielen aber erst eine Rolle, wenn die aktuellen Schulden umgeschuldet, also laufende Anleihen oder Kredite durch neue abgelöst werden müssen, für die dann höhere Zinsen fällig werden. Dies steht für Vonovia 2022 und 2023 für Schulden im Wert von ca. sechs Milliarden Euro an – also weit entfernt von den 13 Milliarden, die nun über den Verkauf rein geholt werden sollen.

Zudem kann durch den Verkauf zwar die Höhe der absoluten Schulden reduziert werden. Die Schuldenquote aber, die durch das Verhältnis von Vermögen zu Schulden bestimmt ist, kann der Konzern überhaupt nur dann reduzieren, wenn er die Wohnungen zu einem höheren Wert verkaufen kann, als sie in seinen Büchern stehen. Dazu ist es wichtig zu verstehen, dass die Immobilienwerte für die Konzerne bisher die Funktion einer Kreditkarte erfüllen, mit der sie ihre finanziellen Aktivitäten finanzieren. Entgegen der landläufigen Vorstellung stammt die finanzielle Feuerkraft der Konzerne nicht aus den Mieteinnahmen (diese werden weitgehend für die Dividendenausschüttung an die Aktionär*innen verwendet): Der größte Teil des »Gewinns« der Konzerne besteht aus den spekulativen Wertsteigerungen der Immobilien.

Diese werden in den Bilanzen von Konzernen wie Vonovia nach dem finanzmarktorientierten Bewertungsstandard IFRS bewertet, der den potenziellen Marktwert der Immobilen erfassen soll. Nach diesem Standard können die Bestände der Vonovia mit jedem Jahr um mehrere Milliarden Euro höher bewertet werden, wodurch das Vermögen des Konzerns steigt. Mit der Absicherung dieses quasi aus dem nichts geschaffenen Vermögens im Hintergrund können dann neue Schulden aufgenommen werden, ohne dass dies die Schuldenquote des Konzerns verschlechtert. Dies gilt jedoch auch anders herum. Die Schuldenquote kann nicht reduziert werden, wenn die Immobilen lediglich zu ihrem Buchwert verkauft werden. Denn mit dem Erlös können zwar Schulden getilgt werden. Gleichzeitig reduzieren sich jedoch die Vermögenswerte, die den Schulden gegenüberstehen. Eine Reduzierung der Schuldenquote ist also nur möglich, wenn die Immobilen über ihren aktuellen Buchwerten verkauft werden können und damit mehr Geld eingenommen wird, als in der Bilanz gestrichen werden muss.

Spekulation und Performance

Wie bereits oben angedeutet spielt ein wesentlicher Teil der Musik für die finanzialisierten Wohnungskonzerne nicht in der Welt von Mieten, realen Einnahmen und Ausgaben, sondern vor allem in der spekulativen Aufblähung ihrer Bilanzen. Mieteinnahmen, Schulden, Zinsen, Kosten und ähnliche profane Dinge sind dabei nicht für sich genommen relevant, sondern als Teil der Performance, um gegenüber dem Finanzmarkt die spekulativen Wertsteigerungen plausibel machen zu können. Daraus erklärt sich die Bedeutung des Bewertungssystems IFRS für das Geschäftsmodell der Konzerne. Die Bedeutung von steigenden Zinsen und Inflation aber auch der Mietentwicklung müssen für das Geschäftsmodell der Konzerne also vor dem Hintergrund dieser Performance-Funktion interpretiert werden, um die aktuelle Krise der Konzerne verstehen zu können.

Um die Immobilienbestände in den Büchern der Konzerne zu bewerten, können nicht einfach die aktuellen Verkaufspreise bei Immoscout zu Grunde gelegt werden. Stattdessen arbeitet IFRS mit komplizierten Modellen, in die Erwartungen der zukünftigen Entwicklung unter anderem von Zinsen, Inflation, Mieten und Möglichkeiten weiterer Mietsteigerung einfließen. Steigen die Zinsen und die Inflation an – und zwar unabhängig davon, was dies für Auswirkungen auf die unmittelbaren Kosten der Konzerne hat – sinken die Werte der Immobilien. Können Mieterhöhungen plausibel prognostiziert werden, steigert dies die Werte der Immobilien. Dieser Mechanismus hat für über ein Jahrzehnt angesichts von null-Zinsen, null-Inflation und Mietenwahnsinn im Sinne der Konzerne gewirkt und so deren Vermögenswerte immer weiter aufgeblasen. In relativ kurzer Zeit ist dieser Mechanismus nun jedoch gekippt. Sowohl das allgemeine Zinsniveau als auch die Inflation ziehen massiv an. In dem Bewertungsmodell von IFRS führt das zu einer Gefahr der massiven Abwertung der Buchwerte.

Für die Konzerne erhöht dies den Druck für weitere Mieterhöhungen – und zwar nicht wegen realer Probleme bei Einnahmen und Ausgaben, sondern wegen der Performance für die Bewertung. Um dies zu verdeutlichen, ein fiktives Beispiel: Kann Vonovia ein Prozent höhere Mietsteigerungen durchsetzen als bisher, würde dies auf der Ebene der realen Mieteinnahmen ein Plus von ca. 26 Millionen (sechs Nullen) Euro bedeuten. Wenn dies jedoch in der Bewertung der Immobilen zu einem Plus von fünf Prozent führt, macht dies einen Bilanzgewinn von 4,87 Milliarden (neun Nullen) aus, oder es reduziert zumindest die zu erwartende Abwertung wegen des Zinsanstiegs entsprechend. Dies dürfte einer der wesentlichen Gründe sein, warum Vonovia und Co. Franziska Giffey bei ihrer Showveranstaltung Bündnis für Neubau und bezahlbares Wohnen in Sachen freiwillige Mietbegrenzung so haben im Regen stehen lassen. Dabei ging es nicht einfach um ein paar Millionen Euro an realen Einnahmen, auf die die Konzerne verzichten würden, sondern ganz wesentlich um das Signal Richtung Immobilienbewertung, dass die Abwertungen durch Zins- und Inflationsanstieg durch Mietsteigerungen kompensiert werden sollen. Den Konzernen geht angesichts der aktuellen Situation der finanzielle Spielraum aus, um sich Konsens auch nur durch kleinste Zugeständnisse zu erkaufen – die gesellschaftliche Anerkennung wird der betriebswirtschaftlichen Bonität geopfert.

Da diese Entwicklung sehr neu ist, entsprechen die tatsächlich aktuell noch zu erzielenden Preise auf den Märkten nicht unbedingt den negativen Prognosen der Immobilienbewertung. Die Aktienmärkte signalisieren jedoch deutlich, dass sie von einer »Korrektur« der Bewertung ausgehen. »Die Börsenkurse sind ein Fragezeichen, ob die Buchwerte Ende dieses Jahres und 2023 auf dem aktuellen Niveau bleiben werden. Denn steigende Zinsen nehmen nun mal immer Luft aus den Bilanzen« zitiert die Immobilienzeitung vom 4. August einen Analysten. Der Aktienkurs von Vonovia hat seit Anfang des Jahres über 30 Prozent seines Wertes verloren. Wenn diese Abwertung an den Aktienmärkten tatsächlich die Abwertung der Immobilen vorweg nimmt, wären die Auswirkungen für Vonovia massiv. Ihre aktuellen Immobilienwerte würden sich von ca. 98 auf 66 Milliarden Euro reduzieren. Damit würde die Schuldenquote auf 94 Prozent hochschnellen. Vonovia muss also gerade alles dafür tun, dass diese Abwertung sich nicht vollzieht. Der Konzern muss beweisen, dass seine Immobilien noch immer das Wert sind, was seine Bilanz behauptet.

In dem bereits zitierten Bericht aus der Börsenzeitung wird die Situation, vor der Vonovia steht, so beschrieben: »›Wenn Transaktionen fehlen, an denen man sich orientieren kann, stellt der Kapitalmarkt seine eigenen Bewertungen auf‹, weiß Claudia Reich Floyd, die für den kanadischen Immobilienmanager Hazelview die globalen Immobilienaktien-Strategien verantwortet. Früher oder später werden die Investoren klarer sehen, denn Vonovia, LEG und TAG planen bereits Verkäufe von Portfolios oder Beteiligungen. Ob dabei die Buchwerte jedes Mal gehalten werden können? ›Das Interesse an unseren Verkaufsportfolios ist groß – das ist natürlich grundsätzlich gut für unsere Verkaufserlöse‹, lautet die diplomatische Antwort von LEGs Investor-Relations-Manager Frank Kopfinger auf diese Frage.«

Was hier beschrieben wird, weckt Erinnerungen an einen Immobilienskandal, der seit einigen Monaten durch die Medien geht: die Adler-Group. Ein Investor hatte dem Immobilienkonzern vorgeworfen, dass die Bewertungen seiner Immobilen überzogen seien. Die Finanzaufsichtsbehörde Bafin hat sich diesem Vorwurf zumindest in Bezug auf ein wichtiges Investitionsobjekt der Adler Gruppe inzwischen angeschlossen. In Reaktion auf diese Vorwürfe verkaufte Adler große Teile aus seinem Immobilenportfolio. Bei diesen Verkäufen wurden zum Teil Preise oberhalb der Buchwerte erzielt. Adler bekräftigte darauf öffentlich, »dass der Verkauf über Buchwert ein weiterer Beleg für den inneren Wert des Portfolios sei«.

Für die Mietenbewegung bedeutet dies, dass die Auseinandersetzungen härter werden.

Angesichts der Abwertungen an den Börsen kann die aktuelle Verkaufsoffensive von Vonovia also auch anders interpretiert werden. Vonovia geht es nicht einfach um den Abbau von Schulden. Der Konzern muss angesichts der jährlichen Neubewertung seiner Bestände beweisen, dass die Immobilen in seinen Büchern auch das Wert sind, was sie behaupten. Da die Berechnungsmodelle dabei gegen den Konzern sprechen, will er dies durch Verkäufe auf dem Markt beweisen, solange die Preise hier – insbesondere für solche Blockverkäufe – nicht einbrechen. Ob dies gelingt? »Wieso sollten wir den Preis aus Dezember 2021 bezahlen, wenn uns der Aktienmarkt einen anderen Kurs signalisiert?«, zitiert die Immobilienzeitung einen Vertreter des Immobilienkonzerns LEG und macht dabei ein Dilemma der Branche deutlich, die als Verkäufer noch die alten Preise erzielen will, sich als Käufer aber schon auf fallende Preise einstellt.

Zwar hätten die Verkäufe auch in dieser Erklärung etwas mit den aktuellen Zinsentwicklung zu tun – jedoch in einer fetischisierten Form. Die Verkäufe können verstanden werden, als eine Performance gegenüber den Finanzmärkten, um die eigenen Bilanzen vor einer Abwertung der aufgeblasenen Immobilienwerte zu schützen, die sich in den Aktienkursen gerade ankündigt. Dies muss relativ schnell geschehen, solange auf dem Markt die Spekulationspreise noch zu erzielen sind.

Politische Bedeutung

Diese Entwicklungen haben auf mehreren Ebene praktische Relevanz für die aktuellen Auseinandersetzungen. Zum einen zeigt sich, warum die Konzerne jedes Interesse an Kompromissen gegenüber der Politik verlieren. Es geht dabei nicht nur um unmittelbaren Beschränkungen bei den Mieteinnahmen. Vielmehr müssen die Konzerne den Finanzmärkten gegenüber signalisieren, dass die in den aufgeblasene Immobilienwerten ausgedrückten Ertragserwartungen langfristig bedient werden können, um die Immobilienwerte vor dem Absturz abzuschirmen.

Zugleich ist diese Auseinandersetzung um die Bewertung hilfreich für die Entschädigungsdiskussion im Rahmen von Deutsche Wohnen & Co enteignen. Denn sie macht deutlich, dass die Preise für die Wohnungen, die die Konzerne in ihren Bilanzen stehen haben, vor allem durch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt sind, und nichts mit Investitionen oder »Leistungen« der Konzerne selbst zu tun haben. Ein Wert, der innerhalb weniger Monate um 30 Prozent schwanken kann, kann nicht ernsthaft die Grundlage für eine »gerechte Abwägung der Interessen« sein, wie sie für die Festlegung der Entschädigung im Grundgesetz gefordert wird.

Für die Mietenbewegung insgesamt bedeutet dies, dass die Auseinandersetzungen härter werden. Während die Mieter*innen von explodierenden Nebenkosten bedroht sind, werden die Konzerne von den Zwängen der spekulativen Finanzmärkte zu einer noch härteren Gangart getrieben. Wenn die Mieter*innen nicht den Preis zahlen wollen für die Widersprüche des finanzialisierten Kapitalismus, müssen sie zusammen mit anderen Betroffenen von den aktuellen Preissteigerungen einen heißen Herbst organisieren.

Kalle Kunkel

ist aktiv in der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen.

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