analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 697 | International

Ein hausgemachtes Feuer

Die Waldbrandsaison auf Sizilien ist ein Geschäft geworden, viele der mutwilligen Brandstiftungen haben soziale Ursachen

Von Miryam Frickel

Ein Flugzeug über einem Wald, aus dem Flugzeug wird eine große Menge Löschwasser abgelassen
Ein Löschflugzeug fliegt einen Einsatz über einem Wald in Südeuropa. Foto: Contando Estrelas/Flickr , CC BY-SA 2.0 Deed

Sizilien brennt. Es ist Ende September und der Scirocco, ein heißer Sahara-Wind, weht Rußpartikel und Brandgeruch durch die Straßen von Palermo. Die Flammen auf den Bergen, die die Stadt umgeben, sind von der Stadt aus gut zu sehen. Ein Teil der Stadtautobahn ist gesperrt, weil auch dort ein Feuer wütet. Die Mülldeponie Bellolampo, unweit der Hauptstadt Siziliens, steht zum zweiten Mal in diesem Jahr in Flammen, aus ihr steigen giftige Dämpfe empor. Über 50 unterschiedliche Brandherde sind über die Insel verteilt.

Winde, Trockenheit und die hohen Temperaturen über 35 Grad werden in deutschen Medien meist als Gründe für die Waldbrände genannt. Zwar beschleunigen diese Faktoren die Feuer, aber das ist nur ein Teil der Geschichte: Die Ursache für etwa 80 Prozent der Brände auf Sizilien ist Brandstiftung. Zu dieser Einschätzung kommen Expert*innen. Dass die Brände an unterschiedlichen Stellen zur gleichen Zeit ausbrachen, ist laut Brandschützer*innen ein klares Zeichen. Sizilien ist einsamer Spitzenreiter in Italien: 80 Prozent der verbrannten Wälder befinden sich auf der Insel. Nach den Daten des Europäischen Waldbrandinformationssystems (Effis) sind auf der Insel 2021 78.000 Hektar abgebrannt, doppelt so viele Hektar Land und Wald wie im Jahr zuvor. Bis Juni waren es dieses Jahr schon 41.400 Hektar.

Geschäft mit den Flammen

Hunderte gehen deshalb im Sommer auf die Straßen: Basta Incendi heißt eine offene Bürger*innenversammlung in der historischen Altstadt von Palermo, die sich diesen Sommer gegründet hat und Demonstrationen und offene Foren organisiert. Die politischen und strukturellen Probleme, die diskutiert werden, sind vielfältig. »Nicht das Feuer macht Angst«, spricht es eine Aktivist*in auf einer Demonstration ins Mikrofon »sondern die Hand, die es legt; mit der fahrlässigen Komplizenschaft von Institutionen, die unfähig sind, sich um unser Gebiet zu kümmern.« Auf den Plakaten liest man: »Streicht den Attentätern die Gelder«, »Was tun Sie gegen den Klimawandel?«, »Wo bleiben die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft?«. Seitdem sich die Waldbrände häufen, werden vor allem zwei Aspekte kontrovers diskutiert: zum einen die Brandstiftungen selbst, zum anderen die politische Verantwortung. Kaum einbezogen werden hingegen die sozialen Ursachen, die hinter den Feuern stehen.

Nichtstaatliche Unternehmen und Privatpersonen verwalten staatliche Löschflugzeuge und verdienen damit an jedem Einsatz.

Roberto Lagalla, Palermos rechter Bürgermeister von den Christdemokrat*innen, verglich die Brandstiftungen mit »schweren Verbrechen wie jenen der Mafia«. Das obwohl ihm selbst schon Mafiaverbindungen vorgeworfen wurden. Tatsächlich hegte auch die regionale Antimafia-Kommission 2022 in einem Abschlussbericht über die Brandstiftungen einen ähnlichen Verdacht. Die Kommission geht zwar davon aus, dass es keine einheitliche Ursache gebe, jedoch spielten »das Phänomen der Weidemafia« und kriminelle Verhaltensweisen, bei denen es um Kontrolle des Territoriums und ökonomischen Vorteilen gehe, eine Rolle. Als Weidemafia werden umgangssprachlich kriminelle Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Agrarsektor bezeichnet. Häufig geht es dabei darum, Grundstücke in Unternehmensakten aufzunehmen, um europäische Fördermittel zu beantragen. Allerdings ist das nur bedingt möglich, da es in Italien eigentlich ein Gesetz gibt, dass nach einem Brand für zehn Jahre den Bau von Gebäuden, Strukturen und Infrastrukturen für die zivile Nutzung auf Wald- oder Weideland verbietet.

Hinzu kommt, dass die Brandbekämpfung teilprivatisiert ist. Nichtstaatliche Unternehmen und Privatpersonen verwalten staatliche Löschflugzeuge und verdienen damit an jedem Einsatz. Die Antimafia-Kommission will aber keinen Zusammenhang zwischen der Privatisierung und den Brandstiftungen herstellen. Sie plädiert stattdessen für einen Ausbau der Kontrollen bei der Brandverhütung und -bekämpfung. Mehr Kontrolle und der Ausbau des Sicherheitsapparates sind beliebte Mittel gegen die Mafia – eine Strategie, die erstmals im historischen Faschismus verfolgt wurde und die sich mit der Linie der italienischen Regierung unter Giorgia Meloni deckt, die im Kampf gegen die Mafia auf Law and Order, mehr »Sicherheit« und einen starken Staat setzt. Der Präsident der Region Sizilien, Renato Schifani von der Forza Italia, gab in einem Interview eine wirre Einschätzung ab, die letztlich den gleichen Schluss zieht: »Leider handelt es sich bei diesen Taten hauptsächlich um Brandstiftungen, die von Verrückten verübt werden, die Momente der pathologischen Begeisterung erleben. Brandstifter hat es immer gegeben und wird es leider auch weiterhin geben.« Laut Untersuchungen gehen weniger als fünf Prozent der Brände auf Pyroman*innen zurück. In einem Punkt zumindest scheinen sich Protestierende, Politiker*innen und die Institutionen weitestgehend einig: Die Brandstifter sind kriminell und müssen bestraft werden.

Katastrophenschutz mit miesen Löhnen

Im Waldbrandbekämpfungsplan der Region Sizilien für das Jahr 2020 ist von einer »Feuerindustrie« die Rede ­– allerdings mit folgendem Zusatz: »um Arbeitsplätze zu schaffen: bei der Sichtung (der Brände, Anm. M.F.), beim Löschen und bei den anschließenden Wiederaufbaumaßnahmen«. Und tatsächlich scheinen das Problem nicht die Technik oder die Kontrolle beim Brandschutz, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen zu sein. Verantwortlich für den Schutz der Wälder ist in der Autonomen Region Sizilien das regionale Forstkorps Siziliens (CFRS), eine zivil organisierte Polizeieinheit, die dem regionalen Amt für Land und Umwelt untersteht. Es nimmt auf der Insel umwelt- und forstpolizeiliche Aufgaben und Befugnisse wahr. Die eingesetzten Forstarbeiter*innen werden häufig erst im Juni eingestellt, darum beginnt die Prävention auch erst jedes Jahr in diesem Monat. Es handelt sich um Saisonarbeiter*innen, die so genannten Centocinquantunisti (centocinquantuno = 151), weil sie jährlich neu für 151 Arbeitstage beschäftigt werden. Insgesamt wird die Zahl der Saisonarbeitskräfte in der Forstwirtschaft auf Sizilien auf etwa 20.000 geschätzt, da weitere 12.000 über das Landwirtschaftsministerium in der Pflege von Naturschutzgebieten und Regionalparks arbeiten. ak unterhält sich in einem Naturpark in der sizilianischen Provinz Siracusa mit einer Frau um die 60 Jahre, die dort in einem Informationszentrum arbeitet. Sie antwortet auf die Frage, wie lange sie schon hier angestellt sei: »seit April«. Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, dass die Frau seit 38 Jahren jedes Jahr mit einem neuen saisonalen Vertrag angestellt wird – in der gleichen Position.

Für die Gewerkschaften in Catania stellt es vor diesem Hintergrund schon einen kleinen Erfolg dar, dass in diesem Jahr die Centocinquantunisti dort statt bis zum 31. Juli bis zum 12. August im Einsatz blieben, um Schneisen zur Brandverhütung in den Wäldern zu schlagen. Die Verträge der Centounisti (101) und der Settantottisti (78), liefen laut Gewerkschaften aber nur bis zum 31. Juli. Auch diese beiden Beschäftigtengruppen sind nach der Anzahl der Arbeitstage in ihrem Vertrag benannt. Von den Gewerkschaften wurde außerdem kritisiert, dass Zahlungen in der Provinz teilweise Monate überfällig seien, wegen Verzögerungen bei der Abrechnung für das Jahr 2022: »Die Forstarbeiter sind zurecht verärgert.« Auch die Feuerwehrleute sind teilweise Centounisti und werden mitunter erst Mitte Juni eingestellt. An Gewerkschaften und politische Kämpfe, erzählt die Frau, die seit 38 Jahren keinen festen Vertrag bekommt, glaube sie nicht mehr. In den letzten Jahrzehnten sei sie oft die knapp vier Stunden nach Palermo gefahren, um dort auf Demonstrationen zu gehen, ohne Erfolge.

Rosario Napoli, Regionaler Leiter der Waldbrandschutzbehörde, sagte schon 2021, nachdem sieben der neun Provinzen der Region Siziliens gleichzeitig von Feuern betroffen waren:  »Es ist schon merkwürdig, dass jedes Jahr die Naturschutzgebiete betroffen sind, deren Bewirtschaftung zwar begehrt ist, aber durch die auferlegten Zwänge sehr eingeschränkt wird.« Ein Großteil der Saisonarbeiter*innen wählt natürlich nicht diesen Weg. Aber die Brände sollten – ohne sie gutzuheißen oder zu verteidigen – auch als der Protest gegen prekäre Anstellungen und Arbeitsbedingungen verstanden werden. Sie sind auch ein Versuch, längere Anstellungen zu erzwingen. Dieser Logik folgend würde die Hoffnung vieler in der Ausweitung der Brandsaison liegen, dann wäre die Chance auf einen längeren Arbeitsvertrag wahrscheinlicher. Tatsächlich handelt es sich wohl bei einem Großteil der Brandstiftungen nicht um die Taten »krimineller Verrückter«, wie dem Präsidenten der Region vermutlich selbst klar ist. Politisch hat diese Erzählung aber Vorteile, denn eine Debatte um prekäre Arbeitsbedingungen und die soziale Frage auf Sizilien bleibt so weiter aus. Der fehlende Glaube vieler Menschen an den politischen Willen zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und die eigenen politischen Gestaltungsmöglichkeiten wird in der Debatte pathologisiert. Diese Erzählung, die von der rechten Regierung angeheizt, aber teilweise auch durch regierungskritische Positionen übernommen wird, trägt zur Entpolitisierung der Zusammenhänge bei. Die Umweltzerstörung ist tragisch, die Verwüstung durch die Brände verheerend. Aber repressive Lösungsansätze stellen ein Grundelement der politischen Strategie der neofaschistischen Regierung dar und bieten keine Lösungen für Probleme, die komplexere Ursachen haben. Diese Zusammenhänge scheinen Sizilianer*innen klarer zu sein, als Menschen, die mit den lokalen Arbeitsverhältnissen nicht vertraut sind, das wird in Gesprächen über die Brände klar. Noch in der Nacht ist von den Häuserdächern Palermos auf mehreren der umliegenden Bergen der rote Feuerschein zu sehen. Er wandert, wenn der Wind sich dreht.

Miryam Frickel

arbeitetet bei verschiedenen (Dokumentar-)Filmfestivals und Filminitiativen mit.