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Gesetz des Statthalters

Bosniens und Herzegowinas nationalistische Spaltung wird sich in den kommenden Wahlen weiter zementiert

Von Larissa Schober

Meistens wütend, selten konstruktiv: Christian Schmidt, CSU, ist der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Foto: Foto: EEP / Wikimedia , , CC BY 2.0

Im Sommer ging es hoch her in Bosnien und Herzegowina. Christian Schmidt, der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft, hatte Mitte August vor laufender Kamera einen ungezügelten Wutanfall bekommen. Stein des Anstoßes war das Wahlgesetz in Bosnien und Herzegowina, über das seit Jahren im Land gestritten wird. Der CSU-Politiker wollte es unbedingt durchbringen sowie die dazugehörige Verfassungsänderung der Föderation Bosnien und Herzegowina (FBiH). Die FBiH ist einer der beiden Landesteile, den sogenannten Entitäten, Bosnien und Herzegowinas. Sie ist als territoriale Vertretung der bosniakischen sowie der kroatischen Bosnier*innen konzipiert. Ihr Gegenstück ist die serbisch-bosnisch dominierte Republika Srpska. Beide haben eigene Parlamente und Regierungen und sind in sich noch einmal föderal gegliedert. Im extrem komplizierten Staatsaufbau Bosniens und Herzegowinas liegen viele Kompetenzen nicht beim Zentralstaat, sondern bei den Entitäten, ihnen kommt also eine große Bedeutung zu. Die FBiH hatte nun allerdings eine komplette Legislaturperiode lang nur eine Geschäftsführende Regierung, da zahlreiche Blockaden eine Regierungsbildung verhinderten. Die Verfassung der FBiH (wie übrigens auch die des Gesamtstaates) enthielt bisher eine Klausel, nach der Entscheidungen, die »lebenswichtiges Interesse« einer Ethnie betreffen, die Zustimmung einer Mehrheit dieser Ethnie bedürfen. Durch fehlende Definitionen konnte bisher jedoch sehr viel als »lebenswichtiges Interesse« deklariert werden, sodass die Formel ein faktisches ethnisches Veto wurde, das inflationär eingesetzt wurde. Unter anderem wurde in der letzten Legislaturperiode so die Ernennung von Verfassungsrichter*innen verhindert.

Koloniales Gebaren

Um die FBiH wieder handlungsfähig zu machen, ist eine Reform also dringend notwendig. Darüber, wie diese aussehen soll, herrscht in Bosnien jedoch keine Einigkeit, die Reform kam über Jahre nicht zustande. Im Sommer wurde dann ein sogenanntes Non-Paper von Schmidt durchgestochen. Als Hoher Repräsentant hat er laut dem Daytoner Friedensabkommen weitgehende Vollmachten, um zur Durchsetzung des Abkommens in den politischen Prozess im Land einzugreifen. Unter anderem kann er Gesetze erlassen. In dem Non-Paper wurde neben technischen Änderungen am Wahlprozess sowie einer Deadline für die Bildung einer Regierung auch vorgeschlagen, die Regeln für die Wahl der Abgeordneten des Hauses der Völker, dem Oberhaus der FBiH, zu ändern. Diese werden nicht direkt gewählt, sondern nach einem festgelegten Schlüssel aus den zehn Kantonen der FBiH entsandt. Das Prinzip ist damit ähnlich dem des deutschen Bundesrates, aber nicht nach territorialem, sondern nach ethnischem Proporz. Laut dem Non-Paper sollten nur noch Kantone, in den mindestens drei Prozent der Bevölkerung einer Ethnie leben, ein*e Vertreter*in für diese Ethnie in das Haus der Völker entsenden dürfen. Damit wäre eine langjährige Forderung der kroatisch-nationalistischen Partei HDZ erfüllt worden. Diese wollte so verhindern, dass bosniakische Wähler*innen gemäßigte kroatische Kandidat*innen wählen, anstatt für bosniakische Vertreter*innen zu stimmen. Da die Gesamtzahl der Abgeordneten insgesamt gleichbleiben solle, würden die durch die Reform wegfallenden kroatischen Vertreter*innen durch Abgeordnete aus Kantonen, in denen die HDZ dominiert, ersetzt werden.

Seine koloniale Prägung so deutlich herausgekehrt hat allerdings schon lange kein Repräsentant mehr wie der deutsche Politiker.

Das Bekanntwerden des Non-Papers führte zu heftigen Prosteten in Bosnien, in deren Kontext Schmidts Fernseh-Ausraster vom August zu sehen ist. Auch internationale Kritik an der Reform wurde laut, dabei wurde vor allem kritisiert, eine Reform so kurz vor den Wahlen im Oktober vorzunehmen. Zudem wurde Schmidt eine zu große Nähe zur HDZ unterstellt – die kroatische Mutterpartei der bosnischen HDZ ist, wie Schmidts CSU, Teil der konservativen Europäischen Volkspartei. Er macht mit dem Gesetz also durchaus Parteipolitik. Schlussendlich wurden nur einige technische Änderungen für den Wahlablauf im Oktober erlassen und die Diskussion ebbte wieder ab. Angenommen wurde, dass Schmidt die Reform nach den Wahlen erneut angehen würde, sollten die neugewählten Institutionen diese weiter blockieren. Doch es kam anders. Kaum, dass die Wahllokale am Abend des 2. Oktober geschlossen hatten, erließ Schmidt per Dekret Änderungen am Wahlrecht und der Verfassung der FBiH.

Die umstrittene Drei-Prozent-Klausel findet sich in dem Dekret nicht mehr, stattdessen wird die Zahl der Abgeordneten im Haus der Völker erhöht – jeder der drei konstituierenden Ethnien stehen nun 23 statt 17 Sitze zu, für andere Minderheiten sind 11 statt 7 Sitze reserviert. Mit dem überraschenden Schritt versuchte Schmidt wohl, sich auf die sichere Seite zu stellen. Da die Reform vor der Auszählung der Stimmen in Kraft trat, kann sie nicht als Parteinahme bezüglich des Ausgangs der Wahl verstanden werden. Für den demokratischen Prozess ist das Timing dennoch katastrophal: Die indirekte Wahl der Abgeordneten im Haus der Völker der FBiH bedingt, dass diese erst etwa einen Monat nach der Wahl von Anfang Oktober entsandt werden. Die Reform greift also nachträglich in den Wahlprozess ein. An der eigentlichen Wahl ändert dies natürlich nichts, die symbolische Bedeutung ist jedoch extrem problematisch und wird von vielen Bosnier*innen als Verhöhnung empfunden – es ist egal, was sie wählen, der Hohe Repräsentant entscheidet, wie es ihm gefällt. Diese Problematik rund um das Amt des Hohen Repräsentanten besteht schon seit Langem und kann nicht an der Person Schmidts festgemacht werden. Seine koloniale Prägung so deutlich herausgekehrt hat allerdings schon lange kein Repräsentant mehr wie der deutsche Politiker.

Verpasste Chance

Dabei hätte es Alternativen gegeben: Schmidt hätte den Ausgang der Wahl abwarten und den neu gewählten Institutionen die Möglichkeit geben können, selbst eine Reform auf den Weg zu bringen. Die Reform per Dekret wäre die Ultima Ratio im Fall eines erneuten Scheiterns gewesen. Das wäre jedoch die ungemütlichere Variante für den Hohen Repräsentanten gewesen – die Chancen für ein Gelingen stehen mit Blick auf die letzten Jahre schlecht, und eine erlassene Reform zu einem späteren Zeitpunkt hätte er mehr verteidigen müssen. Einen Versuch wäre es dennoch wert gewesen. Dass Schmidt dafür die Geduld fehlt, konnte man nach seinem unrühmlichen Ausraster im August bereits erahnen.

Die Diskussion um die überraschende Reform überschattete dann am Wahlabend auch die Ergebnisse – soweit diese bereits vorlagen. Der Auszählungsprozess ist extrem langsam, es kam zu diversen Unregelmäßigkeiten. Die Zentrale Wahlkommission Bosniens (CEC) war mit dem Ablauf der Wahlen jedoch insgesamt zufrieden und betonte in einer Erklärung vom 3. Oktober, die »eindeutigen Verbesserungen im Vergleich zu vorangegangen Wahlzyklen«.

Zumindest kleine Verbesserungen gab es auch bezüglich jener Ergebnisse, die bei Redaktionsschluss schon abschätzbar waren. Am 2. Oktober fand nämlich nicht eine Wahl statt, sondern fünf. Gewählt wurde das Parlament und das dreiköpfige Präsidium auf gesamtstaatlicher Ebene sowie die Parlamente der beiden Entitäten. In der FBiH kam noch die Wahl der Mitglieder der kantonalen Versammlungen, in der RS jene von Präsident*in und Vizepräsident*in auf Entitätsebene hinzu. Die Ergebnisse der Parlamentswahlen auf gesamtstaatlicher Ebene ähneln jenen der letzten Wahl von 2018: Die bosniakisch-nationalistische SDA erhält wieder acht Sitze, die serbisch-nationalistische SNDS kommt erneut auf sechs Sitze und die kroatische nationalistische HDZ auf fünf. Die bürgerlichen Mitte-Links Parteien DF und SDP kommen jeweils auf vier Sitze. Damit dominiert der Nationalismus weiterhin das Parlament und der Hohe Repräsentant befeuert das weiter.

Eine kleine Überraschung gab es aber bei der Präsidentschaftswahl: Mit dem Kroaten Željko Komšić (DF) und dem Bosinaken Denis Bećirević (SDP) schafften es gleich zwei Mitte-Links Politiker in das dreiköpfige Präsidium. Beide gehören einer neuen Generation an, die sich vom Ethno-Nationalismus abgewendet hat und versucht, die Zivilstaatlichkeit Bosniens zu stärken. Bećirević konnte sich als bosniakischer Vertreter dabei sogar gegen Bakir Izetbegović durchsetzen. Izetbegović ist Vorsitzender der SDA und Sohn des Parteigründers und ersten Präsidenten Bosniens und Herzegowinas, Alija Izetbegović. Er gilt nun als klarer Verlierer der Wahl. Einzig die neue serbische Vertreterin des Präsidiums repräsentiert die alte Nationalismus-Garde: Željka Cvijanović (SNSD) war zuvor Präsidentin der Republika Srpska. Sie ist das erste weibliche Mitglied des Präsidiums und gilt als Vertraute des Ultranationalisten Milorad Dodik, der vom Präsidium in Cvijanovićs altes Amt gewechselt ist. Seine Wahl verlief jedoch überraschend knapp. Die Wähler*innen haben also durchaus einzelne nationalistische Politiker der alten Garde abgestraft.

Das mag nicht viel erscheinen, in Anbetracht der Entwicklungen der letzten Jahre in Bosnien und Herzegowina ist es aber durchaus ein bemerkenswerter Fortschritt. Diese positive Entwicklung hätte durchaus Impulse setzen können, vielleicht auch für die blockierte Wahlrechtsreform. Der Hohe Repräsentant hat sich entschieden, diese erstmal zu ersticken. 

Larissa Schober

ist Redakteurin bei der iz3w und schreibt als Freie zu den Themen Osteuropa, Migration, Erinnerungskultur und Neue Rechte.