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Ende der Wohlfühlstimmung

Die Klimakonferenz in Ägypten wird anders als bisherige Gipfel – nicht nur, weil die Zeit tickt

Von Juliane Schumacher

Gruppenfotos von Staatschefs in Anzügen vor einer Leinwand mit den Logos der UN Agentur UNFCCC und der Aufschrift auf französisch "UN Klimakonferenz 2015, Paris, Frankreich"
Alle Jahre wieder ist Klimakonferenz. Meist enden sie mit Gruppenfotos und guten Absichtserklärungen. Foto: ConexiónCOP Agencia de noticias / Flickr, CC BY 2.0

Im November findet die jährliche Klimakonferenz der Vereinten Nationen zum 27. Mal statt. Selten hat es vor einer der Konferenzen so geknirscht wie vor dieser. Seit das Pariser Abkommen 2015 beschlossen wurde, waren die Konferenzen meist eher so etwas wie Wohlfühlveranstaltungen: Trotz aller Differenzen traten am Ende die Staatschefs strahlend vor die Kameras und gratulierten sich selbst zu einem guten Ergebnis. Auch wenn die Emissionen ungebrochen weiter steigen und die Auswirkungen der Klimakrise in Form von Überschwemmungen, Dürren und steigendem Meeresspiegel weltweit immer deutlicher werden, ließ sich so doch einmal im Jahr das Gefühl vermitteln, dass etwas getan werde – und sei es nur mit Versprechen und Vereinbarungen, deren Einhaltung niemand einfordern konnte, da sie auf Freiwilligkeit beruhen.

Auf Wohlfühlstimmung deutet dieses Jahr allerdings nichts hin. Dies liegt zum einen am Krieg in der Ukraine, der die Weltgemeinschaft gespalten und eine schwere Energiekrise ausgelöst hat. Die Dringlichkeit, mit der Vertreter*innen von Ländern wie Deutschland jetzt um die Welt reisen, um Gas und andere fossile Brennstoffe einzukaufen, spotten jeder ernsthaften Klimapolitik und Abkehr von fossilen Brennstoffen Hohn. Unter den Mitgliedern der Klimarahmenkonvention zeichnen sich immer deutlicher Konflikte ab, bei denen es nicht klar ist, ob sie sich im Rahmen der Konferenz lösen lassen, oder dort vielmehr offen ausbrechen werden, wie die Blockadeposition der industrialisierten Länder zu Themen wie Finanzierung und Loss and Damage. Und für Aktivist*innen sind auch die Gastgebenden der diesjährigen Konferenz ein Problem.

Gehen oder nicht gehen?

Die Konferenz findet dieses Jahr in Ägypten statt, im Badeort Sharm el-Sheikh auf dem Sinai. Der Ort ist bewusst gewählt: Nicht nur bietet er mit zahlreichen riesigen Hotelburgen die nötigen Unterkünfte für Zehntausende Konferenzteilnehmer*innen. Es ist auch ein Ort, an dem, außer den Mitarbeiter*innen der Hotels, kaum Ägypter*innen leben, und ein Ort, der sich hervorragend abriegeln und militärisch kontrollieren lässt. Das dürfte nicht unwichtig sein für die ägyptische Regierung: Seit einem Putsch im Juli 2013 herrscht in Ägypten wieder das Militär, und Präsident Abdelfattah Elsisi hat vor wenig mehr Angst als vor einem neuen Aufstand, vor massenhaften Protesten wie jenen, die seinen Vorgänger Husni Mubarak 2011 stürzten und zu einer kurzen Phase des politischen Aufbruchs und freien Wahlen führten.

Gerade junge Menschen, die die Proteste 2011 zu einem großen Teil getragen haben, gelten per se als gefährlich und laufen permanent Gefahr, willkürlich von Polizei oder Militär aufgegriffen zu werden.

Um solche Proteste zu verhindern, greift das Militärregime hart durch. Gerade junge Menschen, die die Proteste 2011 zu einem großen Teil getragen haben, gelten per se als gefährlich und laufen permanent Gefahr, willkürlich von Polizei oder Militär aufgegriffen zu werden. Regierungskritische oder auch nur unzufriedene Kommentare in sozialen Medien reichen für Verhaftung und Folter bis hin zum Tod. Im ganzen Land werden Slums, als Hort sozialer Unruhen gefürchtet, geräumt und die Bewohner*innen umgesiedelt. Von über 50.000 politischen Gefangenen gehen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch aus, die Gefängnisse sind so überfüllt, dass in der Wüste auf dem Sinai riesige neue Gefängniskomplexe gebaut werden. Hinzu kommen zahlreiche Verschwundene, deren Verbleib unklar ist, und ein trauriger weltweiter Spitzenplatz bei der Vollstreckung der Todesstrafe.

Dies hat im Vorfeld der Konferenz nun zu hitzigen Diskussionen geführt, wie insbesondere linke Klima-Aktivist*innen und politische Akteur*innen mit der Konferenz in Ägypten umgehen sollen. Während Gruppen von Exil-Ägypter*innen dazu aufriefen, die Konferenz insgesamt zu boykottieren, argumentierten andere, sie sei eine Chance, um auf die prekäre Menschenrechtslage im Land hinzuweisen und Druck zu machen, um im besten Fall wenigstens ein paar der bekanntesten politischen Gefangenen freizubekommen.

Protestbild, in der Mitte drei Frauen, die etwas skandieren, daneben ein paar weitere Leute. Im Hintergrund hohe Gebäude
Ein weiteres 2011 soll sich nicht wiederholen, Investoren freut das. Foto: Hossam el-Hamalawy / Wikimedia, CC BY 2.0

Der Konferenzort stellt Klima-Aktivist*innen aber auch vor organisatorische Herausforderungen. Die Klimakonferenzen werden normalerweise begleitet von Alternativgipfeln, auf denen sich jene treffen, die deutlich machen wollen, dass das, was in den offiziellen Räumen verhandelt wird, nicht reicht – sie dienen gleichermaßen der Vernetzung als auch dazu, Alternativen sichtbar zu machen. Dies wird in diesem Jahr nicht möglich sein: In Sharm el-Sheikh gibt es aufgrund der schwierigen Sicherheitslage keinen Alternativgipfel, und auch wenn die ägyptische Präsidentschaft laut UN-Vorgaben einen Raum für zivilgesellschaftliche Aktivitäten zur Verfügung stellt, ist unklar, wie sichtbar dieser sein wird. Angesichts der Tatsache, dass die Konferenz nächstes Jahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet, wo sich vermutlich ähnliche Probleme stellen, gibt es Überlegungen, diese Zusammenkünfte ganz von den Klimagipfeln zu lösen.

Die Strategie von Menschenrechts- und Klimaaktivist*innen, Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben, scheint derweil bisher wenig aufzugehen – diese fühlt sich, mit Rückendeckung der USA und Saudi-Arabiens, offensichtlich sicher. Im Fall des bekanntesten politischen Gefangenen, des Bloggers und Aktivisten Alaa Abd el-Fattah, gibt es keine Zugeständnisse, er befindet sich seit über 200 Tagen im Hungerstreik; andere Aktivist*innen, die im Frühjahr, im Rahmen eines Nationalen Dialogs freigelassen worden waren, sind wieder in Haft. Auch die deutsche Regierung hat sich bisher kritischer Worte zur Menschenrechtslage weitgehend enthalten, dafür drängen sich Akteur*innen wie Wirtschaftsverbände und politische Stiftungen darum, nach Sharm el-Sheikh zu reisen, darunter auch viele, die sich für Klimakonfernzen bisher nie interessiert haben.

Ägypten hatte in den Jahren nach dem Putsch eine harte Gangart gefahren, und ausländische NGOs und politische Stiftungen mussten das Land verlassen. Nun hoffen sie, die Gelegenheit nutzen und wieder einen Fuß in die Tür bekommen zu können – Ägypten gilt, auch wenn in einer schweren Wirtschaftskrise, weiterhin als zentraler politischer Akteur in der Region, auch was den Nahost-Konflikt angeht. Dass vor seiner Küste riesige Gasvorkommen entdeckt wurden, dürfte ebenfalls nicht unerheblich für das Interesse sein. Die Klimakonferenz ist auch eine Gelegenheit für den Abschluss zahlreicher Geschäfte, Wirtschaftsabkommen und bilateraler Verträge. Durchaus möglich, dass Ägyptens Strategie aufgeht und das Land gestärkt aus seiner Rolle als Gastgeberland der Klimakonferenz hervorgeht.

Industrieländer wollen nicht zahlen

Das hängt aber auch davon ab, wie die Konferenz selbst verläuft – und da droht Streit. Zum einen beim Thema Finanzen: Auf dem Gipfel in Kopenhagen 2009 haben die Industrieländer zugesagt, den Ländern des Globalen Südens ab 2020 jährlich 100 Milliarden für Klimaschutz und -Anpassung zur Verfügung zu stellen – die Summe ist bis heute aber nicht erreicht worden. Das, was davon gezahlt wurde, haben sie an anderer Stelle gekürzt, bei den meisten Geldern handelt es sich nur um Kredite, die die Schulden der Empfängerländer erhöhen. Beim zweiten Streitpunkt geht es um Schäden und Verluste (Loss and Damage), die der Klimawandel verursacht und die vor allem in den Ländern des Globalen Südens entstehen. Diese verlangen den Aufbau einer eigenen Institution, die sich des Themas annimmt – woraus langfristig auch die Forderung nach Entschädigungszahlen abgeleitet werden könnte. Deshalb blockieren die Industriestaaten, allen voran die USA und die EU, jeden solchen Versuch bisher.

Die Corona-Krise, die Inflation – die in vielen Ländern des Südens noch viel höher ist als in Europa – sowie die Erhöhung der Leitzinsen in den USA haben die Wirtschaftskrisen in vielen ärmeren Ländern verstärkt und beiden Themen neue Brisanz verliehen. Schon bei den Vorverhandlungen im Juni hat insbesondere die indische Delegation erkennen lassen, dass sie die Blockade-Haltung der westlichen Länder nicht weiter akzeptieren will und notfalls auf Konfrontationskurs gehen wird. Einen großen Teil der Länder des Globalen Südens hat sie hinter sich – auch Ägypten, das sich in seiner Rolle als Konferenzvorsitz ebenfalls für mehr Finanzierung und Loss and Damage stark macht.

Reparationszahlungen für Klimaschäden sind, darüber herrscht unter Aktivist*innen im Norden wie im Süden weitgehend Einigkeit, gerechtfertigt. Die schwierigere Frage ist, wie der ägyptische Aktivist und Filmemacher Omar Robert Hamilton in einem Beitrag für die Online-Zeitung Mada Masr fragte, wie ein solches System für Reparationszahlungen gestaltet sein muss, dass diese am Ende auch bei den Betroffenen ankommen, und nicht nur die Macht der autoritären Regime stärkt. Eine Frage, die in den Verhandlungen selbst wohl kaum diskutiert werden dürfte, und für die es wohl tatsächlich jene alternativen Räume braucht, die dieses Jahr, unter den Bedingungen der Konferenz in Ägypten, so schwer aufzubauen sind.

Juliane Schumacher

ist Wissenschaftlerin und Journalistin mit den Schwerpunkten Umwelt, Klimawandel und soziale Bewegungen.