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Tod durch Polizeigewalt in Mannheim

Von Lale P. Luz

Eine Demonstration zieht duch die Straße, im Vordergrund ein Transparent mit der Aufschrift "Trauer - Wut - Widerstand: Wer schätzt uns vor der Polizei?", dahinter Rauch von einem Bengalo und eine Antifa-Fahne
Nachdem in Mannheim ein 47-Jähriger infolge eines Polizeieinsatzes starb, gab es in den Tagen danach Demonstrationen. Foto: IL Frankfurt

Zigtausende Menschen klickten das brutale Video an: Ein Mann liegt bäuchlings auf dem Asphalt, über ihn zwei Polizisten. Einer von ihnen schlägt dem Mann mehrfach auf den Kopf und legt Handschellen an. Der Mann wird umgedreht, im Gesicht blutet er. Das Video wurde am Montag, den 2. Mai, zur Mittagszeit am Mannheimer Marktplatz aufgenommen. Kurz darauf stirbt der Mann. Noch ist nicht viel zum Tathergang bekannt. Weder zum Zeitpunkt des Todes noch zur genauen Todesursache gibt es bisher verlässliche Aussagen. Die beiden Beamten trugen laut Polizei während des Einsatzes Bodycams. Diese seien aber aus bisher noch unklaren Gründen nicht aktiviert gewesen.

An den folgenden Tagen sammeln sich am Tatort immer wieder Menschen, trauern, legen Blumen und Schilder nieder. In Heidelberg, Stuttgart, Frankfurt und Berlin finden weitere Kundgebungen statt. Kurz nach dem Ereignis schließen sich einige lokale Gruppen, die bisher vor allem zum Thema Rassismus gearbeitet haben, zur Initiative 2. Mai zusammen. Unter dem Motto »Wer schützt uns vor der Polizei? Gemeinsam gegen Polizeigewalt« ruft das Bündnis am folgenden Samstag zu einer Demonstration auf, der etwa 1.500 Menschen aus der gesamten Region folgen.

Doch schon kurz nach dem Tod des Mannes zeichnet sich ab, was Initiativen gegen Polizeigewalt seit Jahrzehnten in ganz Deutschland beobachten: Die Behörden wenden ihr übliches Schema an: relativieren, umkehren, aussitzen. Zu Beginn der öffentlichen Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung der Stadt Mannheim am 5. Mai unterlief Polizeichef Kollmar ein Lapsus, er spricht vom »getöteten« und korrigiert dann stotternd »gestorbenen« Mann. Er betont, dass 2.500 Kollegen zuverlässig einen guten Job für die Sicherheit in der Stadt machen würden. Die Polizisten würden zur Rechenschaft gezogen, falls die Ermittlungen ergäben, dass diese rechtswidrig gehandelt hätten.

Polizeigewalt wird so zur Ausnahme, zum Einzelfall erklärt. Dabei starb nur acht Tage später, am 10. Mai, ein 31-jähriger Mann nach einem Polizeieinsatz in Mannheim. Laut vorläufigem Obduktionsbericht soll dieser nicht wegen der Verletzungen durch den Polizeischuss, sondern durch Herz-Kreislauf-Versagen und hohen Blutverlust durch Verletzungen verstorben sein, die er sich selbst zugefügt haben soll. Nichts hat mit nichts zu tun. Ein Blick in die Mannheimer Stadtgeschichte zeigt die Kontinuitäten des Polizeiproblems: 2018 verprügelten Beamte einen Minderjährigen und nahmen ihn fest. Zu Beginn der Pandemie kam es zu Polizeigewalt gegen zahlreiche Jugendliche an den Mannheimer Planken. 2015 verblutete ein junger Mann, der nach einem Angriff vor den Türen der Wache im Revier H4, das auch im Fall vom 2. Mai involviert ist. 2020 wurde wegen rechtsextremer Beiträge in Chats gegen Polizist*innen aus ganz Baden-Württemberg ermittelt, betroffen waren auch Mannheimer Beamt*innen. 2021 führten Polizisten im baden-württembergischen Singen einen elfjährigen Sinto anlasslos mit Handschellen ab. Und das sind nur einige Beispiele.

In Mannheim arbeiten Politik und Behörden unterdessen daran, deutscher Meister in der Täter-Opfer-Umkehr zu werden. Der Mannheimer Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Thomas Mohr, sagte zwei Tage nach dem tödlichen Einsatz vom 2. Mai in einem Interview mit dem SWR: »Gerade in diesem Stadtteil hat ja die Anwohnerschaft und das Klientel, das sich in diesem Stadtteil bewegt, grundsätzlich ein gespaltenes Verhältnis zum Staat und auch ein gespaltenes Verhältnis zur Polizei und nutzt auch die mediale Aufmerksamkeit, um hier Hetze und Stimmung zu machen.« Für Polizeipräsident Kollmar scheinen Online-Beleidigungen gegen die Polizei nach deren brutalem Einsatz am 2. Mai Priorität zu haben. Marianne Seitz, eine CDU-Stadträtin, fragt besorgt nach psychologischer Betreuung für die zwei Polizisten. Diese sei sichergestellt, antwortet Kollmar. Kein Wort zur Unterstützung für Angehörige des Opfers und kein Wort zur psychologischen Betreuung von Zeug*innen dieses traumatisierenden Ereignisses. Thomas Hornung, ebenfalls CDU, treibt es auf die Spitze. Er überlegt, ob die ablehnende, vorverurteilende Haltung der Migrant*innen gegenüber der Polizei nicht auch der Grund dafür sein könne, dass ein Polizist auch mal die Nerven verliere.

Wie überall fordern die Aktivist*innen auch in Mannheim unabhängige Beschwerdestellen. Um die auch von den meisten Medien bisher unkritisch übernommene Deutung der Polizei zu brechen, ist weiterhin öffentlicher Druck nötig. Die Zukunft wird zeigen, ob es den Aktivist*innen vor Ort gelingt, im gegenwärtigen Klima für eine Aufklärung des Falls und angemessene Unterstützung der Betroffenen zu sorgen. Es ist längst an der Zeit, die Polizeigewalt in Mannheim zu stoppen.

Lale P. Luz

engagiert sich gegen rassistische Polizeigewalt in Mannheim.