analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|ak 672 | International

Eine unmögliche Wahl

Im Iran wird ein neuer Präsident gewählt, das Interesse ist gering – doch die Verweigerung bleibt passiv

Von Mina Khani

Ein älterer Mann mit Bart und Brille hält ein Dokument in die Höhe
Foto: Mohammed Ali Marizad / Wikimedia Commons, CC BY 4.0

Im Iran bereitet sich der Staat auf die Wahl des neuen Präsidenten am 18. Juni vor, Hassan Rohanis Amtszeit endet. Der Großteil der Bevölkerung blickt selbst offiziellen Verlautbarungen zufolge dem Ereignis mit geringem Interesse entgegen. Bei den staatlichen Debatten rund um die Wahlen geht es kaum um politische Themen. Stattdessen steht die wirtschaftliche Krise im Vordergrund; das Ökonomische und das Politische sollen möglichst getrennt voneinander besprochen werden. Auch die Inszenierung der politischen Konfrontation zwischen »Hardlinern« und »Moderaten«, die bei den letzten Wahlen in den Vordergrund gerückt worden war, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, lässt der Staat diesmal links liegen. Kurz gesagt: Es herrscht politische Appetitlosigkeit – und das oben wie unten, , sogar bei der Opposition. Das Interessanteste an den diesjährigen Wahlen scheint das geringe Interesse an ihnen zu sein.

Sieben Männer haben die staatlichen Stellen, vorgefiltert durch den Wächterrat, als Kandidaten für das Präsidentenamt zugelassen. Genauer gesagt sieben treue Männer des Staates, die den Kurs der Diktatur perfekt verkörpern. Unterschiedlichste Teile der Bevölkerung diskutieren in den sozialen Netzwerken sehr ernst darüber, warum das überhaupt »Wahlen« genannt wird, wenn es sich doch nur um eine Auswahl zwischen Kandidaten handelt, die dem diktatorischen Kurs des Staates treu sind.

Das interessanteste an den diesjährigen Wahlen scheint das geringe Interesse an ihnen zu sein.

Die politische Stimmung im Iran hat sich in den letzten drei Jahren drastisch verändert. Zwischen Ende 2017 und November 2019 fanden landesweit große Proteste statt. Zwischen den Wahlen 2017 und denen heutigen liegen Ereignisse wie die blutige Niederschlagung der Protestbewegung im November 2019 – laut Amnesty International sind bisher mehr als 300 Namen von bei diesem Aufstand Ermordeten bekannt, nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters gab es sogar 1.500 Tote –, der Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs mit 176 Toten, die Ermordung von General Qasem Soleimani durch die USA im Irak und die Verschleppung und Ermordung des im Exil lebendem Journalisten Ruhollah Zam. Auch die grassierende Korruption ist eigentlich ein großes Thema, es gab in den letzten Jahren Versammlungen und Streiks von Arbeiter*innen im ganzen Land, die wachsende Repression und Hinrichtungen vieler politischer und anderer Gefangener und das völlige Versagen und die Intransparenz bei der Corona-Pandemie im Iran kratzen am ohnehin schon schlechten Ruf des Staates.

Aufrufe zum Wahlboykott

Nun melden sich politische Gruppierungen innerhalb und außerhalb des Landes und erklären, dass sie sich nicht an diese Wahlen beteiligen werden. Sogar viele Aktivist*innen, die sich in den letzten Jahren immer für die Stimmabgabe ausgesprochen haben, um das »größere Übel« zu verhindern, haben offenbar den Aufruf der Protestierenden im Jahr 2017 und 2019 (»Reformisten, Hardliner! Eure Zeit ist vorbei«) doch noch ernstgenommen und sind zu dem Schluss gelangt, dass sich durch Wahlen im Iran nichts verändern wird. Eines der bekanntesten Gesichter aus den Reihen der Aktivist*innen ist die Menschenrechtlerin Narges Mohammadi. Sie sagte in mehreren Reden auf der Plattform Clubhouse, dass sie sich an diese Wahlen nicht beteiligen werde und dass der Versuch, das kleinere Übel zu wählen, längst gescheitert sei. Ja, sie ruft sogar aktiv zum Boykott der Wahlen auf und bezeichnet das als eine Art »zivilen Widerstand« gegen den Staat und seine blutige Antwort auf die Proteste von 2019.

Auch Ismael Bakhshi, in den letzten Jahren eine wichtige Figur der iranischen Arbeiter*innenbewegung, hat sich in einer Rede auf Clubhouse gegen die Sensationslust um die Wahlen ausgesprochen. Er empfiehlt allen Menschen, die sich für politischen Wandel interessieren, dass sie sich besser auf ihre Organisierung für den Widerstand konzentrieren sollten. Auch bekannte Familienangehörige der Ermordeten bei den Protesten im November 2019 sowie einige Familienangehörige der Ermordeten beim Abschuss des ukrainischen Flugzeugs kurz darauf haben sich, wie es bei vielen Familienangehörigen der ermordeten politischen Gefangenen der letzten 42 Jahren seit Gründung der islamischen Republik Tradition ist, gegen die Beteiligung an den Wahlen ausgesprochen. Diese Position wird verständlicher, wenn man berücksichtigt, dass einer der Kandidaten, Ebrahim Raisi, ein Mitglied jener »Todeskommission« war, die im Jahr 1988 die systematische Ermordung von mehreren tausend linken politischen Gefangenen zu verantworten hatte.

Die Kandidatur vom Ebrahim Raisi, der Justizminister im Iran ist, stellt symbolisch die Position des politischen Systems gegen die unzufriedenen Teile der Bevölkerung dar. Die islamische Republik Iran wurde von Anfang an von Mördern regiert. Aber dieses Mal besteht der Unterschied darin, dass es ein breites Bewusstsein darüber gibt, dass diejenigen, die dieses politische System auf der Entrechtung von Frauen und LGBTI*, der systematischen Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten, auf gezielter Verarmung der Arbeiter*innen und Ermordung der Linken und Andersdenkender gegründet haben, sich längst gegen die gesamte Bevölkerung gewandt haben.

Mina Khani

ist iranische Publizistin und linke Feministin. Sie lebt in Berlin.