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Wissenschaftsfeindlichkeit und Rassismus – die Ideologie der Querdenker*innen ist so alt wie unoriginell

Von Edna Bonhomme

Corona-Leugner*innen gibt es mittlerweile in vielen Ländern. Demonstrant in Wien Anfang Februar 2021. Foto: Ivan Radic/Flickr, CC BY-SA 2.0

Ende August 2020 versammelten sich 50.000 Demonstrant*innen in Berlin, um gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und das Tragen von Masken zu protestieren. Der Protest brachte eine beunruhigende Mischung aus Normalbürger*innen und rechtsextremen Aktivist*innen auf die Straße, geeint im Glauben an Verschwörungsideologien. Es war beklemmend: Ich hätte nie gedacht, dass ich in der Stadt Sprechchöre wie »Wir sind die zweite Welle« oder Forderungen nach einem »Ende der Gesundheitsdiktatur« hören würde – genau, wie ich mir nie hätte vorstellen können, dass diese Proteste noch monatelang weitergehen würden. Die Demonstrationen wurden zum Sammelbecken für verschiedene rechtsextreme Bewegungen, die sich unter dem Banner des Misstrauens gegenüber den Hygienemaßnahmen zusammenfanden.

Vielleicht war es naiv zu glauben, dass so etwas in Deutschland nicht passieren würde. Immerhin fanden in meinem Heimatland, den USA, von Michigan bis Florida ähnliche Proteste statt, die von Trump-Anhänger*innen und religiösen Eiferer*innen frequentiert wurden. Weltweit haben Corona-Skeptiker*innen gegen Gesetze zur Pandemiebekämpfung demonstriert: in London, Stuttgart, Melbourne, São Paulo und Wien. Diese Versammlungen sind alles andere als einheitlich. Aber sie machen eines deutlich: Wissenschaftsfeindliche Verschwörungsideologien sind zu einem globalen Phänomen geworden.

Die rasante Ausbreitung solcher Theorien überrascht. Nicht alle leugnen das Coronavirus, aber die meisten halten Covid-19 für nicht gefährlicher als die Grippe. Mithin sind die Leute, die die Gefahren von Covid-19 herunterspielen, die gleichen, die sehr besorgt über die möglichen Gefahren des Impfstoffs sind.

Antisemitismus und Rassismus

Mit der Verfügbarkeit von Impfstoffen gegen Covid-19 hat sich die Geopolitik der Krankheit entscheidend verändert. Am 27. Dezember begann das Robert-Koch-Institut damit, den Fortschritt der deutschen Impfkampagne zu dokumentieren. Für viele von uns, die frostige Spaziergänge durch den finsteren Berliner Winter unternommen haben, verspricht der Impfstoff eine Atempause vom ständigen Gefühl der Isolation. Die Demonstrierenden vom Herbst sind indes noch immer da. Sie davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen, könnte schwierig werden. Für einige der Impfgegner*innen ist das Vakzin Teil einer groß angelegten Verschwörung der Regierung, wie sie auch Anhänger*innen der QAnon-Thesen unterstellen; andere hegen ein eher diffuses Misstrauen gegenüber der Regierung. Wie Katrin Bennhold für die New York Times berichtete, haben die Positionen von QAnon in Deutschland gerade unter den sogenannten Querdenker*innen Konjunktur. Anhänger*innen dieser Bewegung behaupten, das Tragen einer Maske sei unnütz und »unmenschlich«.

Die Verschwörungsideolog*innen folgen einer Formel: Sie leugnen Covid-19 zunächst ganz, spielen die Krankheit dann herunter und machen schließlich 5G und Jüdinnen und Juden für die Pandemie verantwortlich. Seit den Anti-Corona-Demos im Sommer und Herbst macht sich auch eine Ablehnung von Impfungen breit. Die Anti-Impf-Bewegung ist so alt wie Impfungen selbst und beruht auf einem tiefen Misstrauen gegenüber der Wissenschaft, aber auch gegenüber der Regierung. Unter der Oberfläche dieses allgemeinen Misstrauens gegenüber Impfstoffen verbirgt sich eine lange Geschichte von Antisemitismus und Rassismus der Anti-Impf-Bewegungen in Deutschland, Großbritannien und den USA.

Auch außerhalb Deutschlands blühten Anti-Impf-Bewegungen auf und bildeten einen Nährboden für Pseudowissenschaften.

Die Verquickung wissenschaftsfeindlicher Ressentiments mit rechter Politik und Rassismus, die in deutschsprachigen Ländern das ganze 18. und 19. Jahrhundert hindurch anhielt, lässt sich mindestens bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. Damals wurden  Jüdinnen und Juden zu Sündenböcken für die Verbreitung der Beulenpest gemacht. Auch außerhalb Deutschlands blühten Anti-Impf-Bewegungen auf und bildeten einen Nährboden für Pseudowissenschaften. Als die britische Regierung 1853 den Vaccination Act verabschiedete, der eine Impfung für alle Säuglinge über vier Monate vorschrieb und bei Nichteinhaltung eine Geld- oder Gefängnisstrafe vorsah, gab es heftigen Widerstand. An der Spitze der Bewegung standen Naturheilkundler*innen wie John Gibbs, die behaupteten, dass das Gesetz einen Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte darstellte. Obwohl die britische Opposition gegen das Impfgesetz nicht rein rassistisch begründet war, übernahmen diejenigen, die dafür eintraten, eine pseudowissenschaftliche Ideologie. Die Schriftstellerin Mary Hume-Rothery etwa, 1866 Mitbegründerin der National Anti-Compulsory Vaccination League, behauptete, dass Impfungen mehr Schaden als Nutzen brächten. Gleichzeitig befürwortete Hume-Rothery auch die Phrenologie, die einen Zusammenhang zwischen Schädelform und geistiger Leistungsfähigkeit behauptete und damit letztlich eine wissenschaftliche Grundlage für die Vorstellung einer Rassenhierarchie schuf.

Verquere Gemeinschaften

In Deutschland führte das anlässlich der Choleraepidemie 1892 eingebrachte Epidemiegesetz, das Maßnahmen wie Isolierung, Desinfektion und Quarantäne vorsah, ebenfalls zu einem landesweiten Aufruhr. Eine Ad-hoc-Koalition tat sich zusammen, um sich gegen die Maßnahmen zu wehren. Der Volkswirtschaftliche Verband argumentierte, das Gesetz greife in den Handel und die persönliche Freiheit ein. Bei der Opposition zum Gesetz ging es ebenso sehr um Wirtschaft wie um ethnische Zugehörigkeit.

Wo die Impfgegner*innen des 19. Jahrhunderts die Wissenschaft leugneten, wurden die Wissenschaftsskeptiker*innen im 20. Jahrhundert durch neue Verschwörungsnarrative zusätzlich angestachelt. Bereits vor dem Coronavirus bildeten Anhänger*innen von Verschwörungsideologien verquere Gemeinschaften, die sich auf ihre eigene Version der Realität stützten. So berichtet etwa der Zeit-Online-Autor Alexander Eydlin in einem Erfahrungsbericht über seine Wandlung vom Verschwörungstheoretiker zu einem Menschen, der auf faktenbasiertes Wissen vertraut. Eydlin weist unter anderem darauf hin, dass Verschwörungsgläubige im deutschen Kontext häufig der Meinung sind, dass Impfungen das menschliche Immunsystem schwächen und damit das menschliche Überleben gefährden würden. Viele Anhänger*innen dieser Ideologien verbindet der unbedingte Wille, das Unwahrscheinliche zu glauben.  

Die Skeptiker*innen mögen denken, dass sie etwas Neues sagen, wenn sie das Virus oder den Impfstoff gegen alle Beweise abtun. Doch ihre Haltung ist so alt wie die Ressentiments, auf die sie sich stützt. Die Leugnung des Coronavirus ist zum Markenzeichen einer reaktionären Politik geworden die in der extremen Rechten verankert ist, aber über dieses Milieu hinaus Anklang findet. Sie hat sich bequem darin eingerichtet, anti-intellektuell und anti-wissenschaftlich zu sein. Nachdem Ende Dezember 2020 die ersten Dosen des Impfstoffs von Pfizer-BioNTech ausgeliefert worden waren, behaupteten Corona-Leugner*innen in den sozialen Medien, die Verabreichung des Vakzins löse eine Immunreaktion aus, die bei Frauen zu Unfruchtbarkeit führe. Zwei der Männer im Mittelpunkt dieser »Kontroverse« waren Mike Yeadon und Wolfgang Wodarg. In einer Reihe von Videos sowie in einer Petition an die Europäische Arzneimittelbehörde fordern sie das Ende der Impfkampagne von Pfizer-BioNTech. Die darin aufgestellten Behauptungen sind längst durch Expert*innen widerlegt worden. Der Brite Mike Yeadon, ehemals bei Pfizer in der Forschung tätig, hat zudem noch im Dezember verkündet, dass die Pandemie in Großbritannien »effektiv vorbei« sei. Wodarg, ein deutscher Arzt, hatte zu Beginn der Pandemie mit der Erklärung für Furore gesorgt, das neuartige Coronavirus sei nichts weiter als eine gewöhnlichen Grippe. Für Wodarg sind derlei Auftritte nicht neu. Im Jahr 2010 bezeichnete er das H1N1-Virus als »Fake«.

Tödliche Folgen

Die Mobilisierung der Corona-Leugner*innen zeigt Wirkung. Im Jahr 2020 fiel das Vertrauen der britischen Bürger*innen in die Regierung als Informationsquelle über Covid-19 von 57 Prozent im April auf 45 Prozent im August. Zum Teil ist das sicher auch auf das Missmanagement der britischen Regierung und dessen tödlichen Folgen zurückzuführen, denen unverhältnismäßig viele Schwarze, Asiat*innen und andere ethnische Minderheiten ausgesetzt waren.

Mehr als 110 Millionen Infektionen und über 2,5 Millionen Todesfälle; zudem hat die Pandemie die gesellschaftliche Ungleichheit drastisch verschärft. Die Weltbank rechnet damit, dass die Corona-Krise langfristig tiefgreifende Auswirkungen auf das Armutsniveau haben wird.

Die Impfung kann helfen, eine Krankheit zu bekämpfen, die Zerrüttung und Verwüstung verursacht hat. Leider haben Impfskepsis und Verschwörungsdenken tiefe Wurzeln, die mit dem dunklen und gemeinsamen Erbe des Rassismus in Europa und den Vereinigten Staaten verflochten sind. Im Kern geht es deshalb darum, eine Öffentlichkeit mit evidenzbasierten wissenschaftlichen Informationen zu impfen. Denn auch Skepsis ist ansteckend.

Edna Bonhomme

ist Wissenschaftshistorikerin, Autorin und ehemalige Biologin. Sie lebt in Berlin und schreibt über die unerwartete und unheilvolle Art und Weise, wie Krankheit unser Leben verändert.

Übersetzung: Phillip Sack.