analyse & kritik

Zeitung für linke Debatte & Praxis

|Thema in ak 666: Satan & die Hölle

Der Teufel ist los

Durch QAnon erfährt die Satanic Panic ein Revival

Von Carina Book

Zeichnung einer Teufelsfigur, die auf der Bettdecke sitzt, darunter liegt eine erschrockene Gestalt.
Die Gruselgeschichten, die sich QAnon-Anhänger*innen erzählen, haben eine lange Tradition. Illustration: Henna Räsänen, Instagram: @henna.rasanen

Seit Anfang der Corona-Pandemie hält in Deutschland die Verschwörungserzählung der QAnon-Bewegung Einzug. Den Stoff hierfür liefern ein vermeintlicher Whistleblower aus dem Umfeld Donald Trumps, der sich »Q« nennt, und seine Anhänger*innen, die »QAnons«. Sie verbreiten die Geschichte vom globalen Staat im Staate, der in der Hand »satanischer Mächte« sei. Diese entführten Kinder, die sie in Lagern quälten, um aus ihrem Blut einen verjüngenden Stoff namens Adrenochrom zu gewinnen.

Zugeschnitten wurde dieser Verschwörungsmythos auf die Dämonisierung von Hillary Clinton, Barack Obama, George Soros oder einflussreichen Künstler*innen. QAnon behauptet, sie alle arbeiteten in satanistischen Zirkeln daran, die USA und letztlich den Rest der Welt in ein diabolisches, totalitäres Regime zu verwandeln. QAnon stellt den vermeintlich bösen Kräften, im Unterschied zu vielen anderen Verschwörungsideologien, eine reale und als messianisch aufgebaute Person entgegen: Donald Trump. Er ist derjenige, der als Befreier und regelrechter Exorzist verehrt wird.

QAnon lässt auf diese Weise ein Phänomen der 1980er Jahre ein Revival erleben: die Satanic Panic. Deren kulturhistorische Ursprünge liegen in den 1960er Jahren in den USA – eine Zeit, in der US-amerikanische, christliche Konservative von der Black-Panther-Bewegung, der Hippie-Bewegung inklusive Drogenkonsum und freier Liebe sowie den Protesten gegen den Vietnamkrieg herausgefordert wurden. Die Konservativen befürchteten, dass nun christliche Werte durch eine gesellschaftliche Liberalisierung zerstört würden. Völlig klar, dass hier ein Pakt mit dem Teufel vorliegen müsste. Alternative Kultur wurde als satanistisch gebrandmarkt, auch, um zu verhindern, dass sich Menschen von der Kirche abwenden.

Rosemaries Baby

Mit der Veröffentlichung des Filmes »Rosemaries Baby« im Jahr 1968 braute sich eine Verschwörungserzählung aus Teufelsanbetung, Menschenopfern und Massenvergewaltigungen zusammen, die internationalen Widerhall fand. Der Film erzählt die Geschichte eines jungen Ehepaars, das in ein neues Haus neben netten und einflussreichen Nachbar*innen aus der Oberschicht zieht. Rosemarie, die Ehefrau, ahnt nicht, dass ihr Ehemann die neuen Nachbarn bereits aus einer satanistischen Sekte kennt und einen Pakt geschlossen hat: Rosemaries erstes Kind soll der Sohn Satans werden, dafür wird ihm als Schauspieler zum Durchbruch verholfen. Rosemarie wird unter Drogeneinfluss vergewaltigt und schwanger mit dem Kind Lucifers, der nun die Welt ins Chaos stürzen soll.

Henna Räsänen

ist Comic-Künstlerin in Berlin. Ihre* Arbeiten beschäftigen sich mit queerem und punk Leben, aber auch alles Satanische und Dämonische wird gern gezeichnet. 2018 erschien der erste Teil seiner* Graphic Novel »Weltuntergang – a post-apocalyptic queer adventure«. Die Bilder auf diesen Seiten sind aus der Skizzenserie »Minor Demons«, in denen Henna seit Anfang des Jahres seine* persönlichen Dämonen porträtiert. Website: cargocollective.com/hennarasanen, Instagram: @henna.rasanen

Zeichnung: Henna Räsänen

Es folgten Filme wie »Der Exorzist« (1973) oder »Das Omen« (1976), die inhaltlich in eine ähnliche Kerbe schlugen: Geheime, einflussreiche Zirkel von Satansbesessenen würden morden, vergewaltigen oder Kinder quälen, immer mit dem Ziel, die Macht Satans auf Erden zu erweitern.

Alles Fiktion, keine Panik – bis die Kanadierin Michelle Smith und ihr Psychotherapeut und späterer Ehemanns Lawrence Pazder 1980 das Buch »Michelle Remembers« veröffentlichten. Das Buch schildert, wie Michelle mittels einer Hypnotherapie verdrängte Erinnerungen an Folterungen, Ritualmorde und Vergewaltigungen durch eine satanische Sekte wiedergefunden haben soll.

Das Buch, das sich als »wahre Geschichte« nicht nur in Kanada, sondern weltweit millionenfach verkaufte und den Therapeuten Pazder zu einem viel beachteten Experten für »rituellen Missbrauch« machte, wurde später von Pazder selbst relativiert. Dennoch löste es eine Panik-Welle aus: In aller Welt wurden Berichte über grausame Satanist*innen veröffentlicht, die im Verborgenen Gräueltaten an arglosen Kindern begehen, sie schlachten und sogar aufessen würden. Polizeibeamt*innen wurden speziell zur Erkennung krimineller Aktivitäten von Hexen und Satanist*innen geschult. Der US-Kongress erwog gar einen Gesetzesentwurf zum Verbot des Satanismus. Bis weit in die 1990er Jahre herrschte die »satanic panic«. In Deutschland beschäftigte sich sogar eine Enquete-Kommission des Bundestages ausführlich mit dem Thema. Danach flaute die Satanspanik ab und wurde zu einem Thema, das vor allem die katholische Kirche und die Sicherheitsbehörden interessierte.

Antisemitismus

Dass sich die Ritualmorderzählungen auch ganz hervorragend zur Verteuflung politischer Gegner*innen eignet, ist keine Neuheit. Die antisemitischen Erzählungen über Ritualmorde an Kindern reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück und wurden immer wieder benutzt, um die Verfolgung von Minderheiten, insbesondere von Jüdinnen und Juden, zu rechtfertigen. Ihnen wurde zum Vorwurf gemacht, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben und zum Backen der ungesäuerten Brote zum Pessah-Fest das Blut geschächteter Christenkinder zu verwenden.

Der bekannteste Fall ist der antisemitische Ritualmordprozess gegen 23 Jüdinnen und Juden von Trient. Die Angeklagten sollten unter Folter gestehen, den jungen Simon von Trient am Gründonnerstag 1475 rituell ermordet zu haben. Die Männer wurden in kollektiven Hinrichtungsorgien umgebracht. Simon von Trient wurde seither in der katholischen Kirche als Märtyrer verehrt und sogar heilig gesprochen.

Erst im Zweiten Vatikanischen Konzil, also nach der Shoah, widerrief die Kirche die Ritualmordvorwürfe gegen das Judentum und nahm auch die Heiligsprechung zurück. Das dürfte der katholischen Kirche zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so schwergefallen sein, da die Verschwörungserzählung ihren Zweck bereits erfüllt hatte: Das Christentum war als Konkurrenzreligion gegenüber dem Judentum angetreten. Verteufelungen von Jüdinnen und Juden dienten also auch dem Distinktionsbedürfnis der christlichen Kirchen.

Pizzagate

Mit der Verteufelung ist eine Art der Entmenschlichung des (politischen) Gegners verbunden, die auch heute allzu gern verwendet wird: Es ist leichter, einen politischen Gegner zu bekämpfen, Gewalt gegen ihn anzuwenden oder ihn gar zu töten, wenn davon ausgegangen wird, dass dieser Kinder rituell vergewaltigt, quält, tötet und ihr Blut trinkt. Ein bestialischer Umgang mit diesem politischen Gegner wird dadurch ermöglicht, dass er als vermeintliche Bestie konstruiert wird.

2016, mitten im US-Wahlkampf, tauchten plötzlich Gerüchte im Netz auf, nach denen Hillary Clinton Teil eines Netzwerks aus pädosexuellen Straftäter*innen sei, der in der Pizzeria »Comet Ping Pong« in Washington aktiv sei. Ursprung für diese Spekulationen waren von Hacker*innen geleakte E-Mails aus dem Umfeld Clintons. Auf den Online-Plattformen 4chan und Reddit, die besonders bei der US-amerikanischen Alt-Right beliebt waren, wurden diese E-Mails vermeintlich dechiffriert. Eine finstere Geheimsprache käme in den E-Mails zur Anwendung, in der »Pizza« ein Codewort für »Mädchen« sei; »Sauce« stünde in Wahrheit für »Orgie« und so weiter.

Diese Pseudo-Enthüllungen verbreiteten sich zunächst vor allem in verschwörungsideologischen Kreisen, wurden aber bald aufgewertet: Michael Flynn, der ehemalige Sicherheitsberater von Donald Trump, verlinkte die Story mit Leseempfehlung auf Twitter, und auch Flynns Sohn, der damals in Trumps Wahlkampfteam beschäftigt war, twitterte: »Bis #Pizzagate widerlegt ist, bleibt es eine Nachricht.« Im Dezember 2016 tauchte dann ein schwer bewaffneter Mann in einer Pizzeria in Washington auf und schoss um sich. Er war überzeugt, dass sich im Keller der Pizzeria durch das Netzwerk entführte Kinder befänden. Doch in besagter Pizzeria gibt es weder einen Keller noch gequälte Kinder.

Für die QAnon-Anhänger*innen macht das keinen Unterschied: Dann muss die Pizzeria wohl woanders sein, reimt man sich zusammen. Auch die »Prophetie« des »Q« hat sich selten bis nie bewahrheitet. Doch das Verschwörungs-Repertoire von »Q« ist so mannigfaltig, dass man sich einfach aussuchen kann, was man glauben möchte: Im vergangenen Wahlkampf droppte »Q« die Botschaft Nummer 4627. Darin hieß es, das Emblem des Nominierungsparteitags der US-Demokrat*innen ähnele einem Pentagramm. Das sei ein deutlicher Hinweis, dass die Demokrat*innen Satan verehren: »Eine Partei löscht Gott aus.«

In einer Vorwahlbefragung gaben 20 Millionen US-Amerikaner*innen an, dass sie QAnon anhängen, 25 Prozent der US-Bevölkerung glaubt, dass zumindest Teile der Q-Drops wahr sind. Auch in Deutschland finden die Erzählungen von QAnon weite Verbreitung. Sie dienen zur Erklärung von Phänomenen wie Klimawandel oder Pandemie und machen den Freund*innen des Irrationalismus in einer Situation der Handlungsunfähigkeit ein verführerisches Angebot: »Teufelswerk bekämpfen«.

Carina Book

ist Redakteurin bei ak.