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Superspreader für rechtes Gedankengut

Das Problem mit rassistischen Polizist*innen und Polizeigewalt hört einfach nicht auf – kann es auch nicht

Von Jan Ole Arps

Polizisten sprühen Pfefferspray über eine Absperrung; davir halten sich Demonstrant:innen die Augen und das Gesicht.
Recht und Ordnung und Gewaltmonopol: Die Polizei zieht eher Menschen mit autoritärer Gesinnung an als verträumte Freigeister. Foto: Jan Ole Arps

Polizeiproblem, die nächste: Mitte Oktober flog die zweite rechtsextreme Chatgruppe von Berliner Polizist*innen innerhalb von nicht einmal zwei Wochen auf. Sieben Polizei-Studierende für den gehobenen Dienst hatten in einer Chatgruppe mit 26 Mitgliedern rassistische und antisemitische Nachrichten und Memes verschickt. Ein weiterer Polizist soll tierpornografische Inhalte über die Gruppe, die eigentlich nur dem »Austausch allgemeiner Informationen« (Zitat Polizei) diente, verbreitet haben. Nach Bekanntwerden gab es Hausdurchsuchungen, Smartphones wurden beschlagnahmt. Jetzt wird gegen die beteiligten Polizist*innen ermittelt.

So weit, so normal, könnte man meinen. Doch anders als sonst löst der neue Vorfall in Polizeikreisen optimistische, beinah euphorische Reaktionen aus: »Solche Hinweise aus dem Kreis der Kolleginnen und Kollegen sind für mich von großer Bedeutung«, ließ sich die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik zitieren: »Sie stellen unter Beweis, dass der Eid, den wir leisten, nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern nahezu alle von uns diesen mit viel Herz, großem Engagement und in Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit erfüllen.« Und Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei ergänzte: »Der aktuelle Vorfall zeigt, wie transparent die Berliner Polizei mit derartigen Fällen umgeht und wie schnell entsprechende Maßnahmen vollzogen werden.«

Woher kommen die positiven Vibes in Polizeikreisen angesichts der neuerlichen Hakenkreuzmessages?

Woher kommen diese positiven Vibes angesichts der neuerlichen Hakenkreuzmessages? Daher, dass der Vorfall, anders als üblich, durch einen polizeiinternen Hinweis bekannt wurde. Damit ist er ausnahmsweise ein echter Einzelfall. Denn alle (!) bisher bekannt gewordenen Rechtsextremismusfälle bei der deutschen Polizei kamen entweder per Zufall heraus – oder weil sich Whistleblower aus der Polizei an die Medien wandten. Dass ein Polizist den Dienstweg wählt, um rechte Kolleg*innen zu melden, dass die Meldung auf diesem Weg nirgends hängen bleibt und dass die Polizei den Fall selbst an die Öffentlichkeit geben kann, ist eine absolute Neuigkeit, die berühmte Ausnahme von der Regel. Für die Verantwortlichen ein halber Sechser im Lotto: Der Vorgang soll belegen, dass die »demokratische Selbstkontrolle« der Sicherheitsbehörden funktioniert und man nicht, wie Expert*innen quasi einhellig fordern, Beschwerde- und Ermittlungsstellen außerhalb der Polizei braucht.

Sowohl der ungewöhnliche Weg, auf dem der Vorgang bekannt wurde, als auch der Enthusiasmus, mit dem die polizeiliche Führungsebene diesen Umstand ausschlachtet, zeigen, dass das gesellschaftliche Problembewusstsein in Sachen Polizei gewachsen, der Rechtfertigungsdruck für die Verantwortlichen gestiegen ist. Dass die Polizei ein Rassismus- und Naziproblem hat, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Keine Woche vergeht, ohne dass neue Verstrickungen von Beamt*innen in die Prepper- oder Reichsbürgerszene bekannt werden, rechte Chatgruppen auffliegen oder Fälle, in denen Polizist*innen selbst als rechte Schläger oder Drohbriefschreiber aktiv werden, ans Licht kommen. 377 rechte Verdachtsfälle listet der kürzlich vorgestellte Lagebericht Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden auf. Und die sind nur die Spitze des Eisbergs. Dass sich Innenminister Horst Seehofer (CSU) immer noch weigert, eine Studie hierzu in Auftrag zu geben, sorgt selbst bei demokratisch gesinnten Konservativen für Stirnrunzeln.

Natürlich wäre eine solche Studie für Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Politiker*innen eine hilfreiche Datengrundlage. Überraschungen wird sie aber kaum zutage fördern. Dass Polizist*innen eine Schwäche für Faschismus haben, ist kein Geheimnis.

Warum sind so viele Polizist*innen rechts?

Deutsche Polizist*innen sind da keine Ausnahme. In Österreich erzielte die rechtsnationale FPÖ ihr bestes Ergebnis bei den jüngsten Wien-Wahlen (fast 30 Prozent) in einem Wahlkreis im Bezirk Ottakring, 2015 waren es sogar 65 Prozent gewesen. Die meisten Wahlberechtigten dort leben in einem Polizistenwohnheim. In Frankreich stimmten bei den Präsidentschaftswahlen 2017 schon im ersten Wahlgang fast die Hälfte der Polizist*innen für Marine Le Pen vom Front National. In Athen wählten 2012 deutlich mehr Polizist*innen die faschistische Goldene Morgenröte als der Durchschnitt. Auch in Spanien erreicht die rechtsradikale Vox ihre besten Ergebnisse in Wahlbezirken mit Polizeikasernen, ebenso die MHP in der Türkei und so weiter und so fort.

Warum sind so viele Polizist*innen stramm rechts? Zum einen, weil die Polizei eher Menschen mit autoritärer Gesinnung anzieht als verträumte Freigeister. Wer auf Recht und Ordnung und das staatliche Gewaltmonopol steht, kann sich eine Laufbahn bei der Polizei einfach besser vorstellen. Im Dienst werden rassistische Einstellungen verstärkt. Dafür sorgen auch Schulungsmaterialien wie das Buch »Türken und Araber verstehen und vernehmen« der Polizei NRW, über das der Journalist Mohamed Amjahid jüngst twitterte.

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Der Verlag für Polizeiwissenschaft bewirbt es mit Sätzen wie diesem: »Dem an einer schnellen und protokollfähigen Klärung des Sachverhaltes orientierten klar und präzise fragenden deutschen Polizeibeamten sitzt eine Person gegenüber die lebhaft gestikulierend weit ausholend und ausweichend reagiert vielleicht zur Verstärkung Familienmitglieder mitgebracht hat.«

Ein Ende September bekannt gewordenes internes Papier der Polizei Essen zur Clankriminalität schlägt in die gleiche Kerbe und fordert zum rassistischen Generalverdacht gegen Angehörige verdächtigter »Familienclans« auf: »Auf eine stetige Abgrenzung zwischen Clan-Mitgliedern, die kriminell in Erscheinung getreten und solchen, die es nicht sind, muss an dieser Stelle verzichtet werden. Zum einen, weil grundlegende Denkmuster häufig auch bei Familienmitgliedern verankert sind, die nicht kriminell auffällig sind, und zum anderen weil auch bei Kenntnis über Kriminalität einzelner Familienmitglieder der Rest schweigt.«

Derartige Schriften sind haarsträubend, das sehen auch Kommentator*innen und Politiker*innen so, die nun darüber nachdenken, wie die Polizei zu einer weniger rassistischen Behörde reformiert werden könnte. Allzu große Hoffnungen auf die Reformierung der Polizei sollte man sich aber nicht machen.

Polizeiproblem und Polizeireform

Die Polizei hat die Aufgabe, eine rassistische, kapitalistische Ordnung abzusichern. Wenn ungerechte Eigentumsverhältnisse durchgesetzt werden müssen, ist sie am Zuge. Jüngstes Beispiel: die Räumung der ehemals besetzten Liebigstraße 34 in Berlin. Widerstand gegen eine solche Räumung muss gebrochen, Menschen, die Widerstand leisten, als Gegner*innen behandelt werden. Es ist nicht schön, aber auch kein Wunder, wenn Polizist*innen nach solchen Einsätzen Selfies schießen oder sich im Vorfeld für den Einsatz gegen die »versifften Zecken« gegenseitig aufputschen. Die Polizei ist im Kapitalismus die Behörde fürs Grobe, folglich gedeihen in ihr auch gewalttätige, autoritäre Männlichkeitsbilder besonders gut. Für die USA weisen Studien nach, dass Polizeibeamte viermal so oft Täter von häuslicher Gewalt werden wie der Bevölkerungsdurchschnitt.

Die Polizei ist im Kapitalismus die Behörde fürs Grobe, folglich gedeihen in ihr gewalttätige, autoritäre Männlichkeitsbilder besonders gut.

Das gleiche Prinzip bei rassistischer Polizeiarbeit: Wenn die Ungleichheit in der Gesellschaft rassistisch strukturiert ist; wenn es Vergehen gibt, derer sich deutsche Staatsbürger*innen nicht, nichtdeutsche Staatsbürger*innen aber sehr wohl schuldig machen können (Verstöße gegen Wohnortauflagen oder gegen das Aufenthaltsrecht etwa); wenn Herkunft über die Erfolgschancen auf dem Arbeitsmarkt entscheidet und so weiter, dann ist die Polizei in ein rassistisches Ordnungssystem eingebunden. Wie soll ein solches Arbeitsfeld keine rassistischen Einstellungen und rechten Weltbilder begünstigen? Man kann Racial Profiling verbieten, aber wie sollte eine nicht rassistische Polizeiarbeit in einer rassistischen Gesellschaft möglich sein?

Hinzu kommt, dass der rassistische Bias gegen die Betroffenen von Polizeiarbeit und -gewalt auch eine Funktion für die Integration der Mehrheitsgesellschaft hat. Die Soziologin und Polizeiforscherin Vanessa E. Thompson fasste es im ak-Interview wie folgt zusammen: »Racial Profiling vermittelt der Mehrheitsbevölkerung ein Versprechen von Sicherheit, das auf der Kontrolle der polizierten Subjekte aufbaut. Angehörige der Mehrheitsgesellschaft betrachten die Polizei als sicherheitsbringend und sehen sich zugleich durch die Kontrolle der anderen in ihren eigenen Rassismen bestätigt.«

Bemühungen, die Polizei zu reformieren, werden daher notwendig an Grenzen stoßen, solange die kapitalistische Eigentumsordnung und eine rassistische Organisation der Gesellschaft fortbestehen. Das heißt nicht, dass gar keine Reformen möglich sind. Vanessa E. Thompson formuliert es so: »Die Frage bei Polizeireformen muss immer sein: Welche Reformen können Betroffene von alltäglicher Polizeigewalt unterstützen?«

Jan Ole Arps

ist Redakteur bei ak.