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Plötzlich »fünfte Kolonne«

Wie Afghan*innen in Iran zwischen Geopolitik und rassistischer Staatsideologie zerrieben werden

Von Saiema Sultani und Pedram Zarei

Iran gilt westlichen Medien als Land der Gegensätze: Hier Atomgespräche, dort Protestbewegungen. Aus dem Blick geraten dabei regelmäßig jene, die in diesen Spannungsfeldern zerrieben werden – etwa afghanische Geflüchtete, die in Iran nicht nur entrechtet, sondern zunehmend Ziel rassistischer Kampagnen werden. Während internationale Beobachter*innen auf das diplomatische Theater zwischen Washington und Teheran starren, spitzt sich im Inneren eine humanitäre Krise zu: Nach dem militärischen Schlagabtausch zwischen Israel und Iran im Frühjahr 2025 bezichtigten iranische Behörden zahlreiche Afghan*innen der Spionage für Israel – ohne jegliche Beweise.

Zwischen dem 24. Juni und dem 9. Juli 2025 wurden laut iranischen Angaben über eine halbe Million Afghan*innen zwangsweise abgeschoben. Die afghanische Vertretung der Internationalen Organisation für Migration spricht sogar von mehr als einer Million Abschiebungen seit Jahresbeginn. Bis zu vier Millionen Menschen könnten von den nächsten Wellen betroffen sein. An den Grenzübergängen herrschen skandalöse Zustände: stundenlanges Warten in sengender Hitze, kaum medizinische Versorgung, überforderte Hilfsstrukturen und zahlreiche Tote, vor allem unter Kindern und Frauen. Diese Praxis verstößt gegen fundamentale Prinzipien des Völkerrechts – etwa gegen das Non-Refoulement-Gebot oder das Verbot kollektiver Ausweisungen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von systematischen Verstößen, manche sogar von möglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die afghanisch-kanadische Journalistin Zahra Nader dokumentiert in Zan Times zahlreiche Fälle, in denen Menschen ohne Vorwarnung – etwa am Arbeitsplatz oder auf der Straße – verhaftet wurden, darunter auch Kinder. Die Deportationen erfolgten abrupt: keine Möglichkeit, sich zu verabschieden, persönliche Gegenstände mitzunehmen oder Hilfe zu suchen. Selbst Personen mit legalem Aufenthaltsstatus wurden über Nacht zu »illegalen Eindringlingen« erklärt. Afghan*innen galten plötzlich als fünfte Kolonne – ohne Recht auf Verteidigung, ohne Zugang zur Justiz, ohne Stimme.

Migrationsgeschichte in fünf Wellen

Die Geschichte afghanischer Migration nach Iran ist eine Geschichte struktureller Instrumentalisierung – durchgehend geprägt von ideologischen, sicherheitspolitischen und ökonomischen Interessen des iranischen Staates. Eine bekannte Form dieser Instrumentalisierung war die Rekrutierung schiitischer afghanischer Geflüchteter für die Fatemiyoun-Brigade, die auf Seiten von Bashar al-Assad in Syrien kämpfte.

In fünf zentralen Phasen lässt sich nachvollziehen, wie das Verhältnis zu afghanischen Geflüchteten stets dem machtpolitischen Bedarf der Islamischen Republik folgte.

Nach der sowjetischen Invasion Afghanistans 1979 flohen Hunderttausende nach Iran – parallel zur dortigen Islamischen Revolution. Das neue Regime empfing die Geflüchteten unter dem Slogan »Der Islam kennt keine Grenzen« – nicht aus humanitären Gründen, sondern zur ideologischen Festigung. Schiitische Geflüchtete wurden in islamistische Parteien eingebunden und als geopolitische Stellvertreter instrumentalisiert. Der sogenannte »blaue Ausweis« sicherte rudimentäre Rechte, während andere Gruppen marginalisiert blieben.

Ab Ende der 1980er Jahre – nach dem sowjetischen Rückzug und während des Bürgerkriegs unter islamistischen Fraktionen – forcierte Iran dann die »freiwillige Rückkehr« afghanischer Geflüchteter – oft unter strukturellem Zwang. Rückführungsabkommen mit dem UNHCR und der afghanischen Regierung führten zur Abschiebung von über 1,5 Millionen Menschen. Afghan*innen galten nun als sicherheitspolitisches Risiko und wirtschaftliche Last.

Mit dem Aufstieg der Taliban flohen Mitte der 1990er Jahre erneut Hunderttausende, doch Iran nahm nur »konkret Gefährdete« auf. Der Flüchtlingsstatus wurde formal abgeschafft; viele erhielten temporäre Aufenthaltsdokumente. Schutz wurde zum geopolitisch steuerbaren, widerrufbaren Instrument.

Im Zuge der US-Invasion 2001 führte Iran schließlich das Amayesh-System ein: ein bürokratischer Aufenthaltstitel, jährlich kostenpflichtig zu verlängern. Wer nicht registriert war, galt als »illegal« und war akut von Abschiebung bedroht. »Freiwillige Rückkehr« wurde zur politischen Fiktion. Das UNHCR geriet zunehmend unter Druck, Rückführungen zu organisieren statt Schutz zu bieten.

2021 begann die bis heute anhaltende fünfte Phase. Nach dem Zusammenbruch der afghanischen Regierung und der Rückkehr der Taliban setzte eine neue Fluchtwelle ein. Doch anstelle von Aufnahme folgten Repressionen: Afghan*innen werden als »Saboteure« und »Spione« diffamiert – Abschiebung dient als symbolpolitische Machtdemonstration. Seit 2022 wurden rund zwei Millionen Menschen abgeschoben – viele ohne Dokumente, Perspektive, Schutz. Besonders betroffen sind dabei Angehörige der Hazara, einer historisch verfolgten schiitisch-afghanischen Minderheit, die in Iran nie volle Anerkennung erfahren hat und regelmäßig zum Ziel rassistischer Gewalt wird.

Gegen die afghanischen Geflüchteten marschieren Regime und monarchistische Opposition in Iran im Gleichschritt.

Allen Phasen gemein ist die ökonomische Kalkulation des iranischen Staates: Afghanische Geflüchtete wurden durch institutionalisierte Entrechtung gezielt in den informellen Niedriglohnsektor gedrängt – ähnlich wie in den Ländern des globalen Nordens. Sie übernehmen zentrale Aufgaben im urbanen Management: Müllentsorgung, Straßenbau, Pflege öffentlicher Anlagen, meist ohne Zugang zu Arbeitsrechten oder sozialer Absicherung. Zum Leben in Angst und Unsicherheit kommen klassistische wie rassistische Abwertungen, die durch die neoliberale Verhärtung des gesellschaftlichen Klimas zunehmend legitimiert wurden.

Ein rassistischer Konsens

In Bezug auf die afghanischen Geflüchteten marschieren Regime und monarchistische Opposition in Iran im Gleichschritt. Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint – dass sie ein gemeinsames Feindbild pflegen –, erweist sich bei näherem Hinsehen als Ausdruck eines autoritär-nationalistischen Konsenses. Beide bedienen sich der Figur des »fremden Anderen«, um soziale Spannungen nach außen zu projizieren. Das Regime diffamiert Afghan*innen als Sicherheitsrisiko und subversive Gefahr, die Opposition mobilisiert unter dem Banner eines »reinen Arya«, der Iran »zurückerobern« müsse.

Diese ideologische Allianz hat historische Wurzeln: Nach der Revolution wurden Teile des SAVAK, des Geheimdienstes des Schahs, in den neuen Sicherheitsapparat übernommen. Die nationalsozialistisch orientierte SUMKA-Partei, die laut neuer Recherchen direkt vom ehemaligen Schah finanziert wurde, verbreitete faschistisches Gedankengut in Teilen der Bevölkerung. Wie tief solche autoritär-nationalistischen Denkmuster in der iranischen Gesellschaft verankert sind, zeigte sich in grotesk-tragischer Weise bei einem Fußballspiel der iranischen Nationalmannschaft gegen Deutschland im Jahr 2004: Tausende iranische Zuschauer im Azadi-Stadion zeigten während der deutschen Nationalhymne den Hitlergruß – eine absurde und erschütternde Geste, in der sich die Kontinuität faschistischer Fantasien auf der symbolischen Bühne des Nationalismus manifestierte.

Heute verspricht Reza Pahlavi, Sohn des letzten Schahs, ehemaligen Revolutionsgardisten Amnestie und einen Platz in einer künftigen Regierung. Staatsfetischismus und rassistische Exklusionsfantasien verschmelzen hier miteinander: Afghan*innen gelten als Bedrohung nationaler Homogenität. Ihre bloße Anwesenheit wird als »nationale Schande« empfunden.

Die Konsequenzen sind real: In sozialen Netzwerken kursieren Videos von öffentlichen Misshandlungen afghanischer Menschen – unter Applaus. In mehreren Städten wurden gezielte Kampagnen gegen Afghan*innen lanciert. Auch Teile der Opposition greifen diese Diskurse auf, bis hin zur Behauptung, das Regime werde von Menschen »migrantischer Herkunft« kontrolliert. Der rassistische Subtext eint Regime und Opposition in einem ethnonationalistischen Schulterschluss – mit tödlichen Folgen.

Die derzeitigen Massenabschiebungen aus Iran sind Warnung genug, wie schnell auch hier eine »Remigrationskampagne« gegen Menschen, die teilweise seit Generationen Teil der Gesellschaft sind, zur Realität werden kann.

Saiema Sultani

ist feministische Autorin aus Afghanistan. Ihr Fokus liegt auf Gender, Klasse und Migration. Nach der Machtübernahme durch die Taliban verließ sie das Land.

Pedram Zarei

ist mehrsprachiger Übersetzer, Journalist und Psychologiestudent aus Rojhelat (Ostkurdistan). Er lebt als politischer Geflüchteter in Deutschland. Zu seinen Interessengebieten zählen die kurdische Frage, kritische Psychologie und Kultursoziologie.