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Vereint »gegen den Kommunismus«

Seit Juni hat Peru einen linken Präsidenten, der sich um ein breites Regierungsbündnis bemüht und scharfen Gegenwind bekommt

Von Tobias Lambert

Die Wände eines Hauses sind mit der Aufschrift Peru Libre und dem Symbol, einem Stift, bemalt
Besonders im indigen geprägten ländlichen Raum konnte Peru Libre große Erfolge erzielen. Foto: Amelia Wells / Flickr , CC BY 2.0

Erst eine Woche vor der Amtsübergabe am 28. Juni war es offiziell: Das peruanische Wahlgericht (JNE) erklärte den Linken Pedro Castillo zum Sieger der Präsidentschaftswahlen. Nach der Stichwahl am 6. Juni hatte die unterlegende Kontrahentin Keiko Fujimori versucht, bis zu 200.000 Stimmen von Castillo annullieren zu lassen. Letztlich beugte sie sich ihrer Niederlage, die mit insgesamt 44.000 Stimmen Rückstand denkbar knapp ausfiel. Die Tochter von Alberto Fujimori, der Peru zwischen 1990 und 2000 diktatorisch regierte, hatte sich im Wahlkampf als Anti-Castillo-Kandidatin stilisiert und konnte das rechte und liberale Lager »gegen den Kommunismus« um sich einen.

In seiner Antrittsrede am 28. Juni – dem 200. Unabhängigkeitstag Perus – ließ Castillo keinen Zweifel daran, dass seine Wahl einen historischen Einschnitt darstellen könnte: »Diese Regierung tritt an, um mit der Bevölkerung zu regieren, um von unten aus aufzubauen«, verkündete er. Als eines seiner wichtigsten Ziele erwähnte Castillo die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Zudem schlug er die Dekolonisierung des Staates, eine gerechtere Rohstoffpolitik, die Verbesserung des Gesundheits- und Bildungssystems und die Bekämpfung der Korruption vor. Andererseits bediente er, wie schon im Wahlkampf, rassistische Ressentiments, indem er davon sprach, dass »kriminelle Ausländer« das Land innerhalb von 72 Stunden verlassen sollen. Dies richtet sich vor allem gegen Migrant*innen aus Venezuela.

Basis im Andenraum

Dass Castillo den größten Rückhalt im ländlichen, indigen geprägten Andenraum sowie dem dünn besiedelten Amazonas-Tiefland hat, schlägt sich auch in der Kabinettsbildung nieder. Bisher entstammte die große Mehrheit der Minister*innen stets der (weißen) Elite Limas. Bei Castillo sind weniger als ein Drittel der Minister*innen in Lima geboren. Die Personalentscheidungen sorgten jedoch aus anderen Gründen für Polemik. Bei der Rechten umstritten sind insbesondere einzelne Minister*innen, die wahlweise als »zu unerfahren« oder »zu radikal« gelten. Das Kabinett Castillos beruht auf einem Querschnitt durch die peruanische Linke, um möglichst breiten Rückhalt im eigenen Lager herzustellen. Nur drei Kabinettsmitglieder stammen aus Castillos marxistischer Partei Peru Libre, weitere drei gehören dem moderat-linken Koalitionspartner Juntos por Perú (Gemeinsam für Peru) an. Die übrigen Minister*innen kommen aus kleineren linken Parteien, Gewerkschaften oder Bewegungen.

Vor allem die Ernennung von Guido Bellido zum Ministerpräsidenten polarisiert. Dieser gehört dem linken Flügel von Peru Libre an, deren Chef Vladimir Cerrón nur deshalb Castillo die Kandidatur überließ, weil er selbst aufgrund einer Verurteilung wegen Korruption nicht antreten durfte. Gegen Bellido läuft ein Verfahren, weil er sich in einem Interview positiv auf die Guerilla Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) bezogen hatte. Diese war vor allem von den frühen 1980ern bis Mitte der 1990er Jahre aktiv und tötete zehntausende Zivilist*innen, darunter auch konkurrierende Linke. In Peru ist das Sprechen über den Sendero Luminoso ein heikles Thema. Es gibt einen eigenen Straftatbestand dafür (»Verteidigung des Terrorismus«), der immer wieder gegen Linke instrumentalisiert wird, obwohl es seit über 20 Jahren keine Anschläge oder Guerillaoperationen mehr gegeben hat.

Die Linksregierung muss einen Weg finden, gleichzeitig die Angriffe der Rechten abzuwehren und politische Änderungen durchzusetzen.

Wie sehr die Rechte der Regierung Castillo mit dem Terrorismusvorwurf schaden kann, zeigt auch eine andere Personalie. Außenminister Héctor Béjar, eine historische Figur der Linken und in den 1960ern selbst Guerillero bei der kleineren Gruppe ELN (Nationales Befreiungsheer), musste bereits nach wenigen Wochen sein Amt wieder niederlegen. Er stand in der Kritik, weil er Anfang des Jahres die peruanische Marine und den US-Geheimdienst CIA für das Entstehen des Sendero Luminoso verantwortlich gemacht haben soll. Nachdem sogar die Marine selbst in einem Kommuniqué Druck aufbaute, opferte Castillo den Minister, obwohl dessen Äußerungen nachweislich aus dem Kontext gerissen worden waren. Dies lässt ahnen, wie wenig gefestigt die linke Regierung bislang ist, wenn sie der Rechten bei einer solch wichtigen Personalie nachgibt, anstatt offensiv in die Diskussion zu gehen. Zum Nachfolger ernannte Castillo den Karrierediplomaten Óscar Maúrtua – ein klarer Rückschritt im Hinblick auf eine souveräne Außenpolitik, was wiederum für deutliche Kritik innerhalb des linken Lagers sorgte.

Abgesehen von den durchsichtigen Attacken der Rechten zeigt die Ernennung des Ministerpräsidenten Bellido aber auch reaktionäre Tendenzen innerhalb der peruanischen Linken auf. Auf Twitter verbreitete dieser in der Vergangenheit etwa Frauen- und homofeindliche Äußerungen. Auch Castillo selbst fiel immer wieder durch erzkonservative Positionen auf und berief in sein Kabinett nur zwei Frauen. Die Koalition mit dem Mitte-Links-Bündnis Juntos por Perú um Verónika Mendoza, die als Präsidentschaftskandidatin in der ersten Runde 7,9 Prozent der Stimmen erreicht hatte, wirkt gesellschaftspolitisch bislang als Korrektiv. Mit Anahi Durand stellt Juntos por Perú etwa die Ministerin für Frauen und vulnerable Gruppen. Die Soziologin ist als langjährige Kämpferin für die Rechte von Frauen und LGBTI bekannt und versicherte auf Twitter, weiterhin »das Patriarchat zu bekämpfen und heute aus der Regierung heraus«. Wirtschaftsminister Pedro Francke, ein bekannter, moderat-linker Ökonom, zögerte genau wie Justizminister Aníbal Torres nach der Ernennung Bellidos zunächst mit seiner eigenen Vereidigung. Mit einem Tag Verspätung traten beide dann doch noch ihr Amt an. Francke sprach sich in einem Statement auf Twitter anschließend sowohl deutlich gegen den Sendero Luminoso als auch gegen Homofeindlichkeit aus.

Prekärer parlamentarischer Rückhalt

Dass der Druck seitens der Rechten von Beginn an so stark ist, liegt auch am peruanischen Regierungssystem, in dem das Parlament (in Peru als Kongress bezeichnet) eine starke Position innehat. Im zeitgleich zur ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im April neu gewählten Kongress kommen Perú Libre und Juntos por Perú zusammen nur auf 42 von 130 Sitze. Dahinter folgt Keiko Fujimoris Fuerza Popular mit 24 Abgeordneten. Die übrigen 64 Sitze teilen sich auf sieben weitere Parteien auf, die überwiegend das Mitte-Rechts-Spektrum abdecken. Das Parlament muss über das Kabinett abstimmen. Zudem kann es unter bestimmten Bedingungen Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident*innen durchführen. Am 28. August sprach der Kongress der Regierung tatsächlich mit 73 Ja-Stimmen das Vertrauen aus. Damit kann Castillo vorerst regieren. Hätte der Kongress zweimal hintereinander das komplette Kabinett durchfallen lassen, hätte der Präsident das Parlament auflösen und Neuwahlen anberaumen können.

Der Kongress kann zudem auch einzelne Minister*innen nach ausgiebiger Befragung mit einfacher Mehrheit ihres Amtes entheben. Jorge Montoya, Sprecher der ultrarechten Partei Renovación Popular kündigte bereits an, man werde »einen nach dem anderen erledigen«. Die neue Parlamentspräsidentin María del Carmen Ávila von der Mitte-Rechts-Partei Acción Popular brachte gar eine Absetzung Castillos durch den Kongress ins Spiel, weil »die Straße« dies angeblich fordere. Laut dem umstrittenen Verfassungsartikel 133 müsste der Kongress dafür die »moralische Unfähigkeit« Castillos feststellen. Die neue Linksregierung muss also einen Weg finden, gleichzeitig die Angriffe der Rechten abzuwehren und politische Änderungen durchzusetzen. Das wichtigste Vorhaben Castillos bleibt eine politische Neugründung Perus mittels einer Verfassungsgebenden Versammlung, für die er unbedingt Druck von unten braucht. Bisher ist nicht absehbar, ob ihm dies gelingen wird oder er sich in die Riege von Präsidenten einreiht, die in den vergangenen Jahren ihr Mandat nicht zu Ende bringen konnten.

Tobias Lambert

arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika.