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Pandemie und Klassenkampf

In Italien befeuert die Corona-Krise den politischen Machtkampf zwischen den Parteien

Von Jens Renner

Italien in Zeiten des Corona-Virus
Italien versucht mit Ausgangssperren die Corona-Krise zu überwinden. Foto: Pietro Luca Cassarino/ Flickr, CC BY-SA 2.0

Burgfrieden gibt es nicht in Italien – auch nicht in Zeiten der Corona-Krise, die das Land im europäischen Vergleich am schlimmsten getroffen hat. Zwar stimmten die regierende Mitte-Links-Koalition und die rechte Opposition gemeinsam für die Bereitstellung von bis zu 13 Milliarden Euro zur Eindämmung der Pandemie und zur Milderung ihrer ökonomischen und sozialen Folgen. Darüber hinaus aber herrscht Uneinigkeit. Der mit dem Krisenfonds verbundene Anstieg der Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) geht den Rechten nicht weit genug. Lega-Chef Matteo Salvini will fünf Prozent: mindestens 30 Milliarden Euro Soforthilfe, vor allem für Steuergeschenke zugunsten der eigenen mittelständischen Klientel im Norden. Damit versucht er sich einmal mehr als entschlossener Verteidiger nationaler Interessen zu profilieren – gegen die Machtzentren der EU, deren Spardiktat bislang nur 2,2 Prozent Neuverschuldung zuließ, und gegen die aus Brüssel, Paris und Berlin »ferngesteuerte« italienische Regierung.

Liberale Medien propagieren derweil eine Art Kabinett der »nationalen Solidarität« unter der Leitung parteiloser Expert*innen. Ihnen geht es vor allem um die Kapitalinteressen, weniger um die sozialen Folgen der Pandemie. Millionen Menschen – prekär Beschäftigte, Scheinselbstständige, Kleinunternehmer*innen und Migrant*innen ohne sicheren Aufenthaltsstatus – stehen völlig ohne Einkommen da. Andere bekommen ein viel zu geringes Kurzarbeitergeld.

Im weitgehend privatisierten Gesundheitswesen sind Ärzt*innen und Pfleger*innen am Ende ihrer Kräfte. Die Notaufnahmen sind völlig überfüllt, und die Zahl der Betten auf Intensivstationen reicht nicht aus. Zu ihrer Verteilung erstellte die Italienische Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin einen brutalen Kriterienkatalog: Demnach sollen vorrangig »die Patienten mit den höchsten Chancen auf therapeutischen Erfolg Zugang zu Intensivmedizin« erhalten. Ältere Menschen gehören offensichtlich nicht dazu.

Ob Betriebe die Arbeit einstellen oder nicht, sollen laut Unternehmerverband Confindustria allein die Kapitaleigner entscheiden. Viele Beschäftigte bleiben aber einfach zu Hause. Die großen Gewerkschaften fordern für die Lombardei (Hauptstadt Mailand) die Einstellung aller nicht lebensnotwendigen Produktion. Maurizio Landini, Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes CGIL, stellt darüber hinaus grundlegende Forderungen. Dazu gehören Lohnfortzahlung und Ausweitung des Kündigungsschutzes, der unter Matteo Renzi (Partito Democratico) stark eingeschränkt worden war; unbefristete statt prekäre Beschäftigungsverhältnisse; Investitionen in Forschung und öffentliches Gesundheitswesen. Die Krise als Chance? Zweifel sind angebracht.

Jens Renner

war bis 2020 ak-Redakteur.