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Dynamische Allianzen

Das Militär hat im Sudan geputscht, aber der Widerstand ist nicht gebrochen

Von Thomas Schmidinger

Schwarz-weiß Bild einer Demonstration. Ein paar Menschen laufen durch die Gegend, im Vordergrund zwei Menschen, die ein Banner in die Kamera halten, wo steht: Free Sudan
Die Revolution 2019 erfuhr viel Unterstützung wie hier in Berlin, nun haben die Generäle wieder Macht an sich gerissen. Foto: Hossam el-Hamalawy/Flickr , CC BY 2.0

Die Menschen gingen kurz nach dem 25. Oktober in Khartum auf die Straße. Der Tag, an dem General Abdel-Fattah Burhan die Absetzung von Premierminister Abdalla Hamdok und der zivilen Minister in der sudanesischen Übergangsregierung verkündet hatte. Ausgangssperre und Ausnahmezustand wurden ignoriert. Die Unterstützer*innen der Revolution von 2019 zeigen sich seither entschlossen, den Demokratisierungsprozess zu verteidigen und dem Militär die Stirn zu bieten. Auch Premierminister Hamdok und seine Minister haben ihre Absetzung nicht akzeptiert und rufen zum gewaltfreien Widerstand und zivilen Ungehorsam auf.

In den Städten wurden Barrikaden errichtet gegen die Militärs und die Spezialeinheiten der Rapid Support Forces (RSF), die seit 2019 vom früheren Janjawid-Führer Mohamed Hamdan Dagalo nach Khartum gebracht wurden. Die Janjawid sind arabische Reitermilizen, die immer mal wieder mit dem alten Apparat für die Aufstandsbekämpfung paktierten. Nach tagelangen spontanen Protesten fanden sich am Samstag, den 30. Oktober, die Gegner*innen der Putschisten zu einer Massendemonstration mit über 100.000 Teilnehmer*innen zusammen. Im ganzen Land sind Geschäfte geschlossen und werden Betriebe bestreikt.

Aktive Opposition

Die feministische Aktivistin Merwat Hammad an-Nil war als Revolutionärin der ersten Stunde im Frühjahr 2019 die einzige Frau im Verhandlungsteam der in den Forces of Freedom and Change (FFC) zusammengefassten Oppositionellen, um mit dem Militärischen Übergangsrat zu verhandeln. Sie sieht im Gespräch mit ak in den Straßenprotesten Anlass zur Hoffnung: »Die sudanesische Bevölkerung ging sofort auf die Straßen, als sie von dem Putsch gehört hat. Das war eine spontane und sehr deutliche Reaktion der Bevölkerung und eine laute Stimme gegen den Putsch, und zwar von Beginn an.«

Der Widerstand organisiert sich seither überwiegend in der Baladna (»unser Land«)-Bewegung, die die lokalen Widerstandskomitees vernetzt. Der Präsident des Zentralrates der Baladna-Bewegung, Adil Abdaljalil, sieht in den Putschisten die Militärs und jene Kräfte, »die sich dem Übergang zur Demokratie widersetzen, die Verfassungserklärung missachtet und die Rechte der Zivilbevölkerung durch Inhaftierung, Folter und Tötung verletzt« haben. Am 30. Oktober, dem Tag der ersten großen Massendemonstration in Khartum, sei »das sudanesische Volk« auf die Straße gegangen, »um zu beweisen, dass die Revolution lebendig ist und diesen Militärputsch nicht anerkennt. Wir sind entschlossen, mit friedlichen Mitteln weiterzukämpfen, bis Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit herrschen.«

Die Demonstration war allerdings nur ein Teil einer sehr breiten Protestbewegung. Hammad an-Nil berichtet aus Khartum, dass es eine sehr breite und »offene Kampagne des zivilen Ungehorsams« gibt, »die man täglich auf den Straßen beobachten kann.« Eine wichtige Rolle im Widerstand spielen, wie schon 2019, die Frauen, die ein ausgeprägtes Eigeninteresse am Sturz des islamistisch geprägten Militärregimes Omar al-Baschirs hatten. »Obwohl diese Frauen nicht in die Übergangregierung integriert waren, die von der Armee, den FFC und den bewaffneten Gruppierungen kontrolliert wurden«, sagt die feministische Aktivistin Mey Eltayeb Ahmed im Gespräch mit ak, »spielen sie jetzt wieder eine zentrale Rolle im Widerstand.« Die Friedensforscherin und Ökologin hat den Putsch und die ersten Tage des Widerstands in Khartum erlebt und meint: »Die Widerstandskomitees und Frauengruppen sind neue politische Kräfte, die den Sudan zu Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit führen können. Militär und politische Parteien im Sudan müssen sich zuerst reformieren und sollten die Führung direkt an diese neue politische Bewegung übergeben, die 65 Prozent der Bevölkerung des Sudans repräsentiert.«  

Einige Guerillabewegungen stellten sich gegen die zivile Regierung und auf die Seite der zukünftigen Putschisten.

Schon am 25. und 26. Oktober hatten sich allerdings nicht nur diese Aktivist*innen, sondern auch sämtliche relevanten demokratischen Parteien klar gegen die Putschisten gestellt. Am schnellsten reagierten dabei die linken Parteien, allen voran die traditionsreiche Kommunistische Partei und die eher sozialdemokratisch orientierte Sudanese Congress Party. Aber auch die großen konservativen Parteien, die Democratic Unionist Party und die Umma-Partei, sprachen sich gegen den Putsch aus. Ähnliche Stimmen waren von den meisten jener (ehemaligen) Guerillabewegungen zu hören, die im Zuge des vom Südsudan mediierten Friedensprozesses 2020 einen Friedensvertrag mit der Übergangsregierung geschlossen hatten.

Uneinige Guerilla

Scharfe Kritik kommt auch von Abdul Wahid al-Nur, dem Vorsitzenden einer der beiden größten Fraktionen der gespaltenen Sudan Liberation Army/Movement (SLM/M). Dabei spricht al-Nur allerdings nicht für alle bewaffneten (ehemaligen) Guerillagruppen in Darfur. Seit dem Sommer 2021 zeichnete sich in der sudanesischen Politiklandschaft zunehmend eine Darfur-Achse ab, die quer zu den bisherigen Spaltungslinien zu liegen scheint.  2006 spaltete sich die SLA/M in eine Fraktion, die von Minni Minnawi (SLA/M-MM) und eine, die von Abdul Wahid al-Nur (SLA/M-AN) geführt wurde. Grund für die Spaltung war ein Separatabkommen zwischen dem sudanesischen Regime und Minnawi, dessen Kämpfer fortan auf der Seite der Regierung kämpften. Schon 2008 wurde jedoch immer klarer, dass dieses Abkommen scheiterte, und 2010 floh Minnawi schließlich in den Südsudan und kämpfte mit seinen Truppen wieder gegen die Regierung. Al-Nur  hingegen kontrolliert immer noch Teile des Jebel Marra Gebirges in Darfur.

Der Darfur-Konflikt war, seit er zu Beginn des neuen Jahrtausends militärisch eskalierte, von einer Vielzahl teilweise wechselnder Konfliktkonstellationen geprägt. Von Beginn an kämpften mit dem Justice and Equality Movement (JEM) und der Darfur Liberation Army/Movement, die bald nach ihren ersten militärischen Aktionen unter dem Namen SLA/M auftrat, zwei verschiedene Guerillabewegungen um die Region.

Einer der wichtigsten Kommandanten der Janjawid, Daglo, wurde nicht nur 2013 auf ausdrücklichen Wunsch des damaligen islamistischen Präsidenten al-Baschir zum Kommandanten der RSF, sondern konnte sich um 2017 den wachsenden Goldbergbau in Darfur unter den Nagel reißen. Im April 2019 spielte er mit seinen RSF eine zentrale Rolle im Militärputsch, der der Revolution zuvorkommen sollte. Denn seit Dezember 2018 schien sie durch die anwachsende Protestbewegung möglich. Die oft jugendlichen Kämpfer Daglos aus Darfur kontrollierten in den Wochen nach dem Putsch die Checkpoints der Hauptstadt. Seine Leute waren es auch, die im Juni 2019 das Massaker in Khartum verübten, was wiederum jenen Generalstreik auslöste, der das Militärregime zum geordneten Rückzug und zur Bildung einer Übergangsregierung mit der Opposition zwang. Daglo blieb aber einer der mächtigen Männer in der Übergangsregierung. Seine RSF wurden zwischenzeitlich als Söldner in den Bürgerkriegen Libyens und des Jemens vermietet.

Die oberflächliche Einheit der Rebellen hatte nach der Revolution von 2019 nicht lange gehalten. Schon im Mai 2020 verließ Minnawi mit seiner SLA/M die Sudan Revolutionary Front (SRF), jene seit 2011 existierende Dachorganisation der verschiedenen Rebellenorganisationen, die gemeinsam die Friedensgespräche in Juba geführt hatte. Im April 2021 wurde Minnawi Gouverneur der Region Darfur, während sein Gegenspieler al-Nur weiterhin einen Friedensvertrag mit der Regierung ablehnte.

Neue Bündnisse

Die SLA/M-MM Minnawis und die JEM entfremdeten sich im Sommer 2021 immer stärker von den FFC, jener heterogenen Allianz an demokratischen Oppositionsgruppen, die die Träger der Revolution von 2019 waren und den Militärs gegenübersaßen. Am 16. Oktober bildeten diese beiden Gruppierungen zusammen mit einigen kleineren Grüppchen und Einzelpersonen die National Accord Group (NAG), die in ihrer Charta die Ablösung des Übergangskabinetts unter Premierminister Hamdok verlangte und sich damit auf die Seite der Militärs und gegen die FFC stellte.

Schon in den Tagen vor dem Putsch fanden in Khartum Sit-Ins von Anhängern der Militärs, gemeinsam mit Unterstützern der JEM und der SLA/M-MM vor dem Präsidentenpalast statt, die die Ablösung der Regierung und die Machtübernahme der Militärs verlangten. Unter den Organisatoren der Sit-Ins fanden sich auch Finanzminister Jibril Ibrahim und Mubarak Ardol, der, aus der SPLM-Nord kommend, im Sommer 2020 die Leitung der Sudanese Mineral Resources Co., also des zentralen Bergbauunternehmens des Sudans, übernommen hatte. Damit stellten sich einige Guerillabewegungen gegen die zivile Regierung und auf die Seite der zukünftigen Putschisten.

Bereits gegen diese Pro-Militär-Sit-Ins mobilisierte allerdings die FFC, die wesentlich mehr Demonstrant*innen gegen die Militärs auf die Straße brachten als die Befürworter einer militärischen Machtübernahme. Nach dem Militärputsch zeigt sich angesichts des massiven Widerstands, dass die Regierung Hamdok wohl trotz der massiven ökonomischen Probleme der letzten zwei Jahre immer noch starke Unterstützung in der Bevölkerung hat. Obwohl es mittlerweile 15 Tote und über 300 Verletzte gibt, sind bisher keinerlei Anzeichen zu bemerken, dass sich der Widerstand einschüchtern lassen würde. Insbesondere die gute Organisation der Arbeiter*innen in den Betrieben, die schon 2019 die Basis für den erfolgreichen Generalstreik war, könnte auch diesmal der entscheidende Vorteil der linken und demokratischen Kräfte gegenüber den Militärs sein. Das Militärregime ist jedenfalls weiterhin mit einem gut organisierten Widerstand konfrontiert, der das Land über weite Strecken lahmlegt und die Militärs einmal mehr zurück zum Verhandlungstisch zwingen könnte.

Thomas Schmidinger

ist Politikwissenschaftler an der Universität Wien und hat 2020 bei Bahoe Books »Sudan. Unvollendete Revolutionen in einem brüchigen Land« publiziert.