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Neue Worte, neue Taten?

In Westafrika versuchen Militärregierungen, die kolonialen Abhängigkeiten zu minimieren – ob sie das können, ist umstritten

Von Paul Dziedzic

Modernes Hochhaus im Sudano-Sahelischen Stil vor blauem
Prominentes Gebäude in Ouagadougou: die Zentralbank des Westafrikanischen Währungsraums. Foto: Martin Wegmann/ Wikimedia, CC-BY-SA-3.0

Nachdem im Aufstandsjahr 2019 auch in westafrikanischen Ländern zahlreiche Bewegungen für eine bessere Politik auf die Straße gingen, putschten in Mali, Burkina Faso und Niger die Militärs. Es drohte ein Krieg zwischen diesen Ländern und den Mitgliedern der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas. Die Militärregierungen gründeten daraufhin die Allianz der Sahel-Staaten (AES). Aus Teilen der Zivilbevölkerung erhalten sie Unterstützung, andere wiederum beschweren sich über Intransparenz und Repression.

Das Thema Souveränität ist derzeit eines der am meisten diskutierten innerhalb der panafrikanischen Linken. Das erklärt sich natürlich zum Teil aufgrund der sich verändernden geopolitischen Lage. Doch die Diskussion reicht weiter zurück und betrifft Fragen der kolonialen Kontinuitäten, die soziale Bewegungen und Parteien in vielen westafrikanischen Ländern stellen. Die Militärregierungen griffen diese Themen konkret auf, von der französischen Militärpräsenz bis hin zu den Bedingungen, unter denen Rohstoffe exportiert werden sollten.

Hoffnung…

Die Einführung eines offiziellen Namens der AES, einer Flagge und zuletzt eines gemeinsamen Passes, der Rauswurf französischer und US-amerikanischer Truppen: In den letzten drei Jahren waren die Militärregierungen bemüht, öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zu ergreifen. »Es geht ihnen darum zu zeigen, dass sie vorankommen, nicht nur in ihrem Diskurs«, sagt Dolly Katiutia Alima Afoumba, Doktorandin der Wirtschaftsgeschichte an der Philipps-Universität Marburg.

In Mali veranlasste General Assimi Goïta nach seiner Machtübernahme eine Prüfung des Bergbausektors. Die Militärregierung änderte daraufhin das Bergbaugesetz, unter anderem erhöhte sie die mögliche Staatsbeteiligung an internationalen Projekten und strich Steuervergünstigungen. Von der Novellierung des Bergbaugesetzes erhofft sich die Regierung Mehreinnahmen von über 700 Millionen Euro.

Außerdem warf sie bereits operierenden Firmen vor, Lizenzgebühren und andere Steuern nicht gezahlt oder diese in Steueroasen versteckt zu haben. Für Schlagzeilen sorgte der Haftbefehl für Marc Bristow, dem CEO des zweitgrößten Goldproduzenten der Welt, der kanadischen Firma Barrick Gold und die Beschlagnahmung einer großen Menge Gold. Die Verhandlungen laufen schleppend, einige Medien berichten von über 400 Millionen Euro an Entschädigung. Schlimmer erwischte es den CEO von Resolute Mining, Terence Holohan, und einige andere Manager der australischen Firma wegen ausstehender Steuerzahlungen. Freigelassen wurden sie, nachdem sich Staat und Minenunternehmen auf eine Zahlung in Höhe von 160 Millionen Euro einigten.

»Wir wissen, wie wir unser Gold abbauen, ich verstehe nicht, warum wir Multis reinlassen und ihnen das überlassen«, kommentierte Burkina Fasos Interimspräsident Ibrahim Traoré die Aufhebung von Bergbaulizenzen zugunsten einer stärkeren nationalen Produktion. In Niger verlor der französische Uran-Multi Orano (früher Areva) seine Konzessionen. Niger lieferte zeitweise bis zu einem Viertel der Uran-Importe für die EU und insbesondere Frankreich.

»Alle paar Jahrzehnte eröffnet sich die Möglichkeit, bestehende Verträge neu zu verhandeln, wenn eine neue Elite übernimmt und neue Vereinbarungen mit internationalen Unternehmen schließen möchte«, sagt Sa’eed Husaini, Forscher und Redakteur beim Online-Magazin Africa is a Country. »Hier in Nigeria gab es das unter einem nationalistischen Regime in den 1970er Jahren, auch in Ghana oder in Burkina Faso«. Für ihn stelle sich die Frage, was die neuen Deals beinhalteten – und wem sie zugute kommen: dem Staat und denen, die ihm nahe sind, oder ganzen Gemeinschaften und unterschiedlichen Sektoren der Gesellschaft.

Deutlicher zeigen sich alte Abhängigkeiten in der Finanzpolitik. Derzeit sind die AES-Länder Teil des CFA-Francs, einer Währung aus der Kolonialzeit, die 15 afrikanische Staaten an den Euro koppeln und deren Verwaltung maßgeblich von Frankreich mitbestimmt wird. Die Währung ist aber keine Währungsunion wie der Euro. »Das Problem ist, dass es zwischen diesen Ländern nur wenig Wirtschaftsaustausch gibt. Unter anderem, weil man einen Franc-CFA aus Kamerun nicht einfach in Senegal verwenden kann. Er muss umgetauscht werden«, sagt Afoumba. Auch stehen zwischen Transaktionen vom zentralafrikanischen und dem westafrikanischen CFA Exchange-Gebühren an.

Euro-Nutzer*innen hätten das Problem nicht, erklärt Afoumba: Sie könnten unbegrenzt in Franc-CFA konvertieren und problemlos Vermögen nach Europa transferieren. »Man sieht überall Total-Tankstellen und Carrefour-Supermärkte. Sie können Dumping betreiben, ohne dass ihnen regionale Akteure wirklich Konkurrenz machen können«.

Hinzu kommt, dass die Währungsreserven zu 50 Prozent in Frankreich lagern. Die Interessen Frankreichs und der Eurozone unterscheiden sich von jenen der CFA-Zone. Denn weil die Euro-Bürokratie an der Inflationsstabilisierung im CFA-Franc-Raum interessiert seien, führe es dazu, dass die Zentralbanken in West- und Zentralafrika weniger in ihre Wirtschaft investieren würden, so Afoumba. Und da Französ*innen in hohen Verwaltungsposten in Zentralbanken der Länder, die den CFA-Franc verwenden, sitzen, lege ihr Interesse selten in der Stärkung des Wettbewerbskapitals der lokalen Erzeuger. »Die westafrikanischen Länder sind mehr Konsument*innen als Investor*innen, Händler*innen, Akteur*innen in ihren Märkten«, sagt Afoumba.

Konkrete Pläne für den Ausstieg der AES und weiterer Staaten aus dem CFA-Franc gibt es nicht, auch wenn solche Ideen schon seit den 1960er Jahren kursieren und auch ehemalige britische Kolonien einbeziehen. In der Vergangenheit haben einzelne Länder wie Guinea, Mauretanien und Madagaskar die Währung verlassen. Doch seitdem ist die Idee der regionalen Kooperation wichtiger geworden, ein Austritt wäre dann nur kollektiv vorstellbar. »Ich bin nicht gegen eine Währung, die Westafrika miteinander verbindet. Aber sie darf nicht in der Treuhandschaft Frankreichs liegen«, fasst Afoumba zusammen.

… und Skepsis

Einen anderen Abschied haben die AES-Länder schon vollzogen: den Austritt aus der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas. Nach dem Coup in Niger 2023 drohte ein Krieg, weil es, in den Worten der damaligen senegalesischen Außenministerin Aïssata Tall Sall, »der Coup zuviel« war. Die Ecowas-Staaten verhängten Sanktionen und drohten, in Niger einzumarschieren. So entstand erst die Sahel-Allianz.

Die Situation hat sich jedoch entspannt. Die Sanktionen wurden aufgeweicht, eine zwischenzeitige Sperre des nigrischen Staatsvermögens durch die westafrikanische Zentralbank aufgehoben. Für Husaini haben beide Seiten Gesichtswahrung betrieben: »Einer der kritischen Punkte, die den Konflikt eskaliert hatten, war die Tatsache, dass Ecowas versucht hatte, eine rote Linie in Bezug auf das, was sie verfassungswidrige Machtübertragungen nennen, zu ziehen«, sagt er. Mit dem Austritt habe Ecowas diese rote Linie aufrecht erhalten, die AES-Staaten wiederum ihr Bündnis.

Viele schauen darauf, ob sich die materielle Situation verbessert.

Viele richten ihren Blick jedoch darauf, ob sich die materielle Situation für die Menschen zum Besseren ändern kann. Schritte wie die Beendigung der militärischen Kooperation wären auf Seite der Ecowas-Staaten nicht erfolgt, wären die AES-Staaten nicht vorgeprescht, glaubt Afoumba.

»Die Forderungen kommen von der Basis: Es gibt ein großes politisches Bewusstsein in Westafrika, nicht nur innerhalb der Grenzen der AES zu Themen wie koloniale Kontinuitäten. Auch in den Ecowas-Ländern bewegt sich etwas, zwar weniger radikal, aber Schritt für Schritt«, so Afoumba.

Die Maßnahmen der AES stoßen jedoch nicht überall auf Enthusiasmus, einige sehen darin eher Symbolpolitik. »Man muss sich die Situation vor Ort anschauen«, sagt Husaini. Beispielsweise bei der Einführung eines gemeinsamen Passes: Das sei für Offizielle und Geschäftsleute von Bedeutung, die über Flughäfen oder offizielle Grenzposten reisten. Für eine Mehrheit aber nicht, von der nur wenige einen Pass besitzen. »Auf der diskursiven Ebene wirkt eine solche Maßnahme neuartig. Auf der Ebene der Straße vielleicht etwas weniger.«

Eine weitere Frage ist, ob die sozialen Bewegungen und die Zivilgesellschaft in beiden Teilen weiterhin frei agieren können. Husaini beobachtet, dass die Grenzen zwischen Ecowas und AES Staaten härter geworden sind, es werde verstärkt darauf geschaut, wer sich dort bewege. »Der zivile Reiseverkehr von NGO-Mitarbeiter*innen und Journalist*innen wird besonders kontrolliert, vor allem auf der Seite der AES«, sagt er.

Das erschwert die Arbeit sozialer Bewegungen wie die der burkinischen Balai Citoyen, die 2015 maßgeblich am zivilen Sturz des prowestlichen Militärs Blaise Compaoré beteiligt war. Der Sekretär von Balai Citoyen, Ousmane Miphal Lankoandé, beschwerte sich in einem Interview mit der Bürgerrechtsorganisation Civicus darüber, dass viele der Mitglieder eingeschüchtert und eingesperrt würden. Beschlüsse von Gerichten, sie frei zu lassen, würden die Militärs ignorieren, obwohl die Verfassung nicht außer Kraft gesetzt worden sei.

Die Frage der Souveränität und ob diese beispielsweise durch eine Militärregierung erlangt werden kann, sei in Westafrika ein polarisierendes Thema, stellt Husaini fest. »Am Ende geht es bei der Frage von Souveränität um die Ausweitung des Wohlergehens der Menschen, ihrer kritischen Stimme und die Fähigkeit, ihre Zukunft selbst zu gestalten«. Diese kritische Stimme sei wichtig, um bewerten zu können, ob alles in die richtige Richtung gehe. »Ich hoffe natürlich das Beste, bin aber eher skeptisch.«

Paul Dziedzic

ist Redakteur bei ak.