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Im Laufschritt rechts

Neue Veröffentlichungen deuten darauf hin, dass Nazi-Netzwerke bis ins Verteidigungsministerium reichen

Von Matthias Jakubowski und Martina Renner

Gibt es nicht nur Neonazis im Wachbataillon vor dem Verteidigungsministerium, sondern auch im Verteidigungsministerium? Foto: Wir. Dienen. Deutschland./Flickr, CC BY-ND 2.0

Nachdem im Oktober 2020 bereits bekannt geworden war, dass ein im Einsatzführungskommando tätiger Regierungsdirektor Mitglied der extrem rechten Hamburger Burschenschaft Germania sein soll, unterrichtete das Verteidigungsministerium Ende September 2021 erneut den Bundestag: wieder ein extrem rechter Verdachtsfall. Wieder in den eigenen Reihen. Doch diesmal hängt der Verdachtsfall mit einer extrem rechten Wehrsportgruppe zusammen: Bei mehreren Hausdurchsuchungen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin hat die Polizei Waffen, Waffenteile und Munition sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen neun Beschuldigte zwischen 37 und 53 Jahren wegen der »Bildung einer bewaffneten Gruppe«.

Die Wehrsportgruppe soll aus ehemaligen Fallschirmjägern und Reservisten aus Niedersachsen bestehen, angeführt von Jens G., einem Oberstleutnant der Reserve. Ersten Erkenntnissen zufolge soll die Gruppe geplant haben, Migrant*innen zu töten. »Rechtsextreme Reservisten bilden eine bewaffnete Gruppe«, ist in diesen Tagen bedauerlicherweise keine überraschende Meldung. Die besondere Brisanz erhält der Fall bei einer Routinekontrolle des Militärischen Abschirmdiensts (MAD). Dieser fand auf dem Handy eines Referenten des Bundesverteidigungsministeriums eine Verbindung zu Jens G. Laut Expert*innen hat Jens G. eine lange Vergangenheit in der völkisch-nationalistischen Szene. Nicht ausgeschlossen, dass zwischen dem Referenten des Bundesverteidigungsministeriums und G. sensible Informationen aus dem Verteidigungsministerium direkt an die rechte Wehrsportgruppe geflossen sind. Diese dürften für die neonazistische Wehrsportgruppe von besonderem Wert gewesen sein, denn der verdächtige Referent arbeitete in der Abteilung Strategie und Einsatz (SE) und soll dort Zugang zu sensiblen Daten gehabt haben. In der Abteilung SE werden unter anderem die Einsätze der Bundeswehr im Ausland sowie die Missionen der Spezialkräfte wie beispielsweise des Kommando Spezialkräfte (KSK) geplant, gesteuert und kontrolliert.

Naziproblem, established since 2003

Das KSK ist der Truppenteil, der wie kein anderer im Fokus steht, wenn es um extrem rechte Verstrickungen geht. Die Probleme des 1996 gegründeten KSK bestehen jedoch nicht erst seit den Enthüllungen rund um das vom ehemaligen KSKler André S. angeführte »Hannibal-Netzwerk«. So wurde 2003 der erst im Jahr 2000 zum Kommandeur ernannte Reinhard Günzel in den Ruhestand versetzt, nachdem er dem Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann eine Solidaritätsadresse auf Bundeswehrpapier geschickt hatte. Hohmann, damals CDU und heute AfD, hatte im Bundestag eine Rede gehalten, die der damalige Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, als »Griff in die unterste Schublade des widerlichen Antisemitismus« bezeichnete. Günzel soll schon 1995 während einer Übung von seinen Soldaten eine Disziplin »wie bei der Waffen-SS« gefordert haben. Im Jahr 2005 veröffentlichte er gemeinsam mit Ulrich Wegener, dem Gründer der polizeilichen Antiterroreinheit GSG 9 und dem ehemaligen Wehrmachtsoffizier Wilhelm Walther das Buch »Geheime Krieger«, in dem er das KSK in die Tradition der Wehrmachtsspezialdivision »Brandenburg« stellte. Die in den vergangenen zwei Jahren bekanntgewordenen rechten Vorfälle innerhalb des KSK fallen somit nicht vom Himmel.

So wurden insgesamt mehr als ein Dutzend Fälle mutmaßlich extrem rechter Elitesoldaten bekannt. Im Sommer 2020, berichtete das Verteidigungsministerium, dass Tausende Schuss Munition und Dutzende Kilogramm Sprengstoff verschwunden waren. Im selben Zusammenhang berichtete ein »Whistleblower«, der zuvor die Grundausbildung absolviert hatte, der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer von erheblichen Defiziten im Bereich des Demokratieverständnisses innerhalb des KSK. Rechte Umtriebe würden kollektiv ignoriert oder toleriert. Es herrsche eine Kultur der Widerspruchslosigkeit und zudem ein Gehorsamsverständnis, das von den Soldaten in Ausbildung mit dem der Waffen-SS verglichen werde. Anfang 2019 wurde der Oberstleutnant Daniel K. suspendiert, nachdem er in einer Facebook-Gruppe Beiträge gepostet hatte, die ideologisch dem Milieu der »Reichsbürger« zugeordnet wurden. Im Mai 2020 wurde ein bis 2015 in Calw stationierter ehemaliger KSK-Soldat wegen seiner Nähe zur extrem rechten Identitären Bewegung suspendiert. Ebenfalls im Mai 2020 wurden bei einer Durchsuchung des Oberstabsfeldwebels und ehemaligen KSK-Soldaten Philipp Sch. im sächsischen Collm etwa 7.000 Schuss Munition, zwei Kilogramm Sprengstoff, Zünder und weitere Waffen sowie neonazistische Materialien gefunden wurden. Darunter ein SS-Liederbuch sowie die Zeitschrift »Der Freiwillige« für ehemalige Angehörige der Waffen-SS. Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zufolge gab es auch Verbindungen von Sch. zu Personen aus dem rechten Nordkreuz-Netzwerk. So soll er per WhatsApp in Kontakt zu Sven J., einem Wasserschutzpolizisten aus Rostock, gestanden haben. Gegen diesen hatte die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben, weil er Munition und Waffen in seinem Haus lagerte.

Auf J. waren die Ermittler*innen bei der Auswertung von Chats des Nordkreuz-Chefs Marko G. aufmerksam geworden. Zudem wurde auf dem Handy von Sch. die Nummer von Frank T. gefunden. Frank T. ist der Betreiber des unter dem Namen »Baltic Shooters« bekanntgewordenen Schießplatzes bei Güstrow, über den sich Marko G. einen großen Teil der bei ihm aufgefundenen Munition beschafft haben soll. Sch. gehörte auch zur mittlerweile im Zuge der Skandale aufgelösten 2. Kompanie des KSK. Mitglieder der Kompanie sollen im April 2017 während eines Abschiedsabends für ihren damaligen Kompaniechef mehrfach den Hitlergruß gezeigt haben, während Musik der Rechtsrock-Band Sturmwehr lief. Ebenfalls in der 2. Kompanie befand sich ein Ausbilder, gegen den im Zusammenhang mit weiteren rechten Vorfällen ermittelt wird.

Besagter Ausbilder gilt zudem als enger Vertrauter zweier Teamführer der durch rechte Aktivitäten aufgefallenen BKA-Sicherungsgruppe, die für die Begleitung von Schutzpersonen im Ausland (ASE) zuständig ist. Es wundert wirklich niemanden, dass aktuell wieder über neu bekanntgewordene Fälle innerhalb des KSK berichtet wurde. Den Erkenntnissen zufolge richten sich die neuesten Untersuchungen gegen einen ehemaligen Oberstabsfeldwebel, der während seiner Fallschirmjägerausbildung in den USA im Jahr 2015 eine Reichsflagge aufgehängt haben soll. Vor dieser Fahne sollen im Anschluss bis zu acht weitere KSK-Soldanten posiert haben. Zudem wird gegen einen ehemaligen Leutnant ermittelt, der im Jahr 2014 über eine WhatsApp-Chatgruppe, in der sich mehrere Kommandosoldaten befanden, Bilder mit extrem rechten Hintergrund verbreitet haben soll.

»Wolfsrudel« beim Zapfenstreich

Doch nicht »nur« das KSK, das BKA und das Bundesverteidigungsministerium sorgen für Schlagzeilen durch extrem rechte Verstrickungen: Am 8. Oktober wurde zudem bekannt, dass sich innerhalb des Wachbataillons der Bundeswehr eine stramm rechte Gruppe von mindestens sechs Soldaten gebildet haben soll, die unter dem Codenamen »Wolfsrudel« agiert. In den nun eingeleiteten Ermittlungen geht es erneut um menschenverachtende Aufnahmerituale bis hin zum Vorwurf der Volksverhetzung.

Das Verteidigungsministerium wirkt hilflos und kann sich nicht einmal mehr sicher sein, dass die eigenen Mitarbeiter*innen nicht auch Teil rechter Netzwerke sind.

Bei der Schlagzahl der Ereignisse fällt es schwer, einen Überblick zu behalten, und doch liegt im Versuch die Chance mehr als »Einzelfälle« zu sehen: Ein Soldat war Mitglied in der vom Bundesinnenminister im Juni 2020 verbotenen extrem rechten Gruppierung Nordadler. Ein weiterer wird als Verdächtigter im Ermittlungsverfahren gegen die rechtsterroristische Organisation Revolution Chemnitz geführt. Im Juni 2021 dann Soldaten, die von einer Nato-Mission in Litauen abgezogen wurden, nachdem sie rechte und antisemitische Lieder gesungen haben sollen. Hinzu kommen nicht wenige Soldaten, die Verbindungen zum von André S. aka »Hannibal« gegründeten Verein Uniter hatten oder mit diesem sympathisieren. Darunter auch Franco A., der sich derzeit vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen des Vorwurfs der Planung eines rechtsmotivierten Terroranschlags verantworten muss. Im Zusammenhang mit Uniter und den rechten Prepperchatgruppen, wie »Nordkreuz«, rückten auch immer wieder Mitglieder der Reservistenverbände in den Mittelpunkt des Interesses. Es ist wichtig zu verstehen, dass rechte Akteure die Bundeswehr nicht von außen infiltriert haben. Die Bundeswehr bietet über ihre Traditionspflege − und insbesondere in den Eliteeinheiten mit ihren geheimen Eingreiftruppen, die in den Grauzonen des Völkerrechts unerkannt und abgeschirmt agieren − die idealen Voraussetzungen für die Bildung eines rechten Lebensbundes. Insgesamt entsteht der Eindruck, als marschiere die Bundeswehr seit Jahren geschlossen nach rechts. Das Verteidigungsministerium wirkt hilflos und kann sich nach den jüngsten Enthüllungen nicht einmal mehr sicher sein, dass die eigenen Mitarbeiter*innen nicht auch Teil rechter Netzwerke sind.

Matthias Jakubowski

ist Fachreferent der Linksfraktion im Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz-Anschlag.

Martina Renner

ist stellvertretende Vorsitzende der Partei DIE LINKE und Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Bundestag.