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Autoritäre Wende mit Universitätärä

Die Reaktionen auf einen offenen Brief Berliner Wissenschaftler*innen sind ein Einschnitt

Von Peter Ullrich

Die Polizei sperrt den Zugang zur FU Berlin. Foto: KgK News

Der 7. Oktober 2023, der Angriff der Hamas auf Israel, stellt einen massiven Einschnitt dar – und, wie wir nun wissen, nicht mehr nur einen. Zunächst wurde offenbar, wie wenig universalistische linke Prinzipien (Menschenwürde!) wert sind, wenn sie nur beim Gegner verletzt werden. Na ja, eigentlich hege ich schon länger den Verdacht, dass viele Linke sich für liberale Prinzipien nur ernsthaft einsetzen, wenn sie auch in der Sache zustimmen, aber die manchmal spürbare Begeisterung über den »revolutionären Ausbruch« aus dem Gefängnis Gaza (Palästina spricht) und damit über die Taten der Hamas waren dennoch krass. Die Empathielosigkeit gegenüber israelischen wie deutschen Jüdinnen und Juden bleibt ein Skandal.

Darauf folgte bald der nächste. Die israelische Antwort auf den Angriff wurde vom Gegenschlag gegen die Hamas zum Krieg gegen die gesamte Bevölkerung Gazas. Eine rechtsextreme Regierung, deren Mitglieder ihren genozidalen Ambitionen in aller Öffentlichkeit freien Lauf lassen, entfesselte ein Kriegsgeschehen, das sich zu Massenvertreibungen und Massensterben auswuchs. Jetzt steht der Genozidvorwurf vor Gericht zur Verhandlung; die Bundesregierung ist der Beihilfe angeklagt. Das trägt sicherlich zur Erklärung des nächsten Einschnitts bei.

Was sich in den unübersichtlichen ersten Tagen des Krieges angedeutet hatte, ist inzwischen normal geworden: Massive Beschränkungen der Versammlungs-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit, rassistische Stigmatisierung palästinensischer Lebensäußerungen. Schlicht verboten: Fahnen, Slogans, Symbole, ein großer Palästina-Kongress – alles Dinge, die ich mir persönlich nicht zu eigen mache, die aber überwiegend mindestens mehrdeutig sind. 

Was sich in den ersten Tagen des Krieges andeutete, ist inzwischen normal geworden: massive Beschränkungen der Versammlungs-, Meinungs- und Bewegungsfreiheit, rassistische Stigmatisierung palästinensischer Lebensäußerungen.

Wie entschlossen die sogenannten Freund*innen Israels und Kritiker*innen des Antisemitismus sind, auf palästinensisches Leben zu pfeifen und dabei weitere Grundrechte zu beerdigen, zeigt sich auch im aktuellen Akt. Berliner Wissenschaftler*innen haben sich in einem offenen Brief gegen die polizeiliche Räumung eines pro-palästinensischen Protestcamps an der Freien Universität gewendet. Ohne sich inhaltlich zu den Anliegen der Protestierenden zu positionieren, wohl aber in Anerkennung des Protestthemas als nachvollziehbarem Anlass, haben sie sich für das Recht auf friedlichen Protest und für kritische Debatte anstelle von Polizeieinsätzen auf dem Campus stark gemacht. Die Antwort kam mit ungeahnter Heftigkeit. Das recht zahme Statement wurde vom Regierenden Bürgermeister und Berliner Senator*innen sowie von der Bundesbildungsministerin mit stärksten Waffen gescholten. Der Vorwurf: Unterstützung von Israel- und Judenhass.

Damit sekundierten sie der Bild und BZ, die wüste Hetzartikel gegen die »UniversiTÄTER« veröffentlichten. Mitgeliefert: Listen mit Namen und Institutionen der Betreffenden. Einige wurden herausgepickt und mit Foto präsentiert. Sie seien links, tolerant, gegen Diskriminierung, »außer es geht um Juden«. Sie »unterschrieben offenen Brief für Juden-Hass-Demos«. Unter den derart an den Pranger gestellten sind Holocausthistoriker (Michael Wildt), Antisemitismusforscher (der Autor dieses Textes), Lehrende mit Migrationsgeschichte, solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus, mit Hassfächern der Rechten (»Gender«) oder auch ohne jeden erkennbaren Bezug (Skandinavistik). Eine Taktik, die in ihrer Gerichtetheit wie teilweisen Willkür wohl besonders einschüchtern soll.

Der Skandal ist nicht nur der Bild-Pranger oder die überschießende Klassifikation der Proteste als antisemitisch – es sind die höchsten politischen Weihen für diesen Sudeljournalismus und die daran anschließenden Forderungen wie die der CDU nach Verfassungsschutzüberprüfungen der Wissenschaft. Trotz der klar spürbaren Zurückweisung und Solidarität mit den Betroffenen scheint es mir nicht mehr ganz offen zu sein, ob sich auch hier eine allgemeine autoritäre Wende abbildet.

Peter Ullrich

ist Soziologe an der TU Berlin, Referent im Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung, engagiert bei ver.di und im Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss).