Nach uns die Sintflut
Die Bundesregierung nimmt Klimatote in Kauf – Hauptsache, die Wirtschaft wächst wieder
Von Guido Speckmann
Es hätte auch Deutschland treffen können. Es traf aber die Philippinen. Der Inselstaat wurde gleich zweimal binnen weniger Tage von einem Extremwetterereignis verheert. Zwei tropische Wirbelstürme sorgten für Zerstörungen und Todesopfer, gleichzeitig begann im brasilianischen Belém die 30. UN-Weltklimakonferenz.
Wetterextreme treten aufgrund der Erderwärmung immer häufiger auf. Die Bilanz laut des jüngsten Klima-Risiko-Indexes für die Jahre 1995 bis 2024 lautet: 830.000 Tote und ein wirtschaftlicher Schaden von inflationsbereinigt über 4,5 Billionen US-Dollar. Unter den Toten sind 24.400 aus Deutschland; bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 starben 135 Menschen und allein in den Jahren 2023 und 2024 starben hierzulande schätzungsweise rund 6.000 Menschen durch Hitze.
Die Bundesregierung interessieren diese Toten freilich kaum – von den Opfern im Globalen Süden ganz zu schweigen. Was sie interessiert, ist das Wohl der deutschen Wirtschaft, sind Wachstum, Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit. Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft, Naturschutz und Nachhaltigkeit hingegen – das klingt nach »grün-links-versifft«. Weil die Wirtschaft schon länger stagniert, hallt nur noch selten die Hoffnung nach, dass sich mit grünen Technologien »Made in Germany« neue Exportmärkte erschließen ließen. Gerade der Leitsektor der deutschen Wirtschaft – die Autoindustrie – hat die ökologische Transformation verschlafen, und energieintensive Branchen wie Chemie und Stahl beklagen die gestiegenen Energiepreise, seitdem kein Gas mehr durch Nord Stream I fließt. Anstatt verstärkt auf die billigeren erneuerbaren Energien zu setzen, importiert die Ampel-Regierung LNG-Gas aus Katar und den USA. Merz schließt daran an, auch um US-Präsident Trump zu besänftigen. Ohnehin sind Aufrüstung und die Sicherung des Standortes in Zeiten geopolitischer Umbrüche das Gebot der Stunde.
Ähnlich wie bei der Migrationsfrage übernehmen die Unionsparteien auch in der Klimapolitik die Argumente der AfD.
Hinzu kommt: Die extreme Rechte in Gestalt der AfD sitzt der CDU im Nacken. Und ähnlich wie bei der Migrationsfrage übernehmen die Unionsparteien die Argumente der AfD, die sich offen als rücksichtslose Verteidigerin des fossilen Kapitalismus und seiner Lebensweise geriert. Deutschland, so sagte Merz im Sommer, »hat ungefähr ein Prozent der Weltbevölkerung, wir stellen ungefähr zwei Prozent des Problems dar. Selbst wenn wir morgen klimaneutral wären, würde keine einzige Naturkatastrophe auf der Welt weniger geschehen.«
Logische Konsequenz: Klimaschutz gerät unter der schwarz-roten Regierung noch stärker als bei der Ampel unter Beschuss: Das Verbot für neu zugelassene Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 – ein wichtiges Element des europäischen Green Deals – soll fallen. Die Luftverkehrssteuer soll wieder gesenkt, der Ausbau erneuerbarer Energien gebremst, neue Gaskraftwerke gebaut und die Förderung von Wärmepumpen zusammengestrichen werden. Die deutsche Regierung hatte auch Anteil an den verspätet und abgeschwächt eingereichten EU-Klimazielen, mit denen die EU-Delegation nach Belém reiste. Bis 2040 sollen fünf Prozent der Treibhausgasreduktionen über den Handel mit CO2-Zertifikaten erreicht werden – ein Klimainstrument, dessen Wirksamkeit noch nicht bewiesen ist und die Erderwärmung sogar weiter befördern kann.
Ebenso wenig belegt ist der Nutzen der unterirdischen CO2-Speicherung. Regierung und Bundestag haben den Weg dafür jedoch gerade freigemacht. Die Hoffnung auf Wundertechniken wird durch das Gefasel von der »Technologieoffenheit« kaschiert. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als das fossile Weiter-So. Selbst aus der Perspektive des Autokapitals erscheint dies irrational. Wenn es weiterhin auf Verbrenner setzt, reduziert es sein Geschäftsmodell auf einen Markt, der in wenigen Jahren nur noch eine Nische ist. Die derzeitigen Probleme – sinkende Umsätze und Stellenabbau – nehmen sich da noch bescheiden aus. Offenbar aber geht es der Kapitalseite nur noch um die nächste Quartals- oder Jahresbilanz. Es hätte auch Deutschland treffen können. Ja, aber das Kalkül der Bundesregierung lautet: Die Wahrscheinlichkeit ist eben nicht so hoch, eine Flutkatastrophe wie im Ahrtal kommt nicht alle fünf Jahre, und die hitzebedingten Toten werden als solche kaum wahrgenommen.