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Kleine Weltmacht

Die Debatte um Russlands Rolle in Afrika nahm ihren Lauf, als das Land begann, an Einfluss zu verlieren

Von Paul Dziedzic

Bild von hohen Staatsrepresentanten mit Schildern ihrer Länder Simbabwe, Südafrika, Ägypten und Algerien. In der Mitte Putin. Im Hintergrund Flaggen afrikanischer Staaten
Große Show für kleine Pläne. Auf dem Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi 2019 präsentierte sich Russland als Alternative zum Westen. The Presidential Press and Information Office / Wikimedia, CC BY 4.0 Deed

Der Russland-Afrika-Gipfel im Sommer 2023 muss für Wladimir Putin eine herbe Enttäuschung gewesen sein. Hatten 2019 noch 43 afrikanische Staatschefs am ersten Gipfel teilgenommen, waren es dieses Jahr nur noch 17. Dafür genoss der Gipfel viel Medienaufmerksamkeit. Denn seit dem Überfall auf die Ukraine hat die Berichterstattung über Russlands Rolle in Afrika zugenommen. Im Fokus dieser Diskurse sind vor allem die Beziehungen mit westafrikanischen Staaten, wo die Militärs geputscht haben und nun an der Macht sind – viele von ihnen waren vorher Verbündete des Westens. Seitdem wird auch die Frage diskutiert: Warum darf Russland in Afrika neokolonial auftreten, während der Westen dafür heftig kritisiert wird? Ironischerweise begann diese Debatte um den russischen Imperialismus genau zu dem Zeitpunkt, als das Land auf dem afrikanischen Kontinent eher an Einfluss zu verlieren begann.

Soft Power ist billig

Für viel Aufsehen sorgte auf dem Gipfel in Moskau der Auftritt des jüngsten Staatschefs der Welt, der 35-jährige Militär Ibrahim Traoré. Nicht wenige dürften in Burkina Fasos Interimspräsidenten einen jungen Thomas Sankara sehen, der für seine revolutionäre Politik Mitte der 1980er Jahre bis heute beliebt ist. In Traorés Reden geht es immer wieder um Fragen von Souveränität und Antiimperialismus. Doch wie schon Sankara mit Blick auf die Sowjetunion vermeidet auch Traoré eine Vereinnahmung, diesmal durch Russland. Trotz der eingehaltenen Distanz dürften die PR-Abteilungen beider Seiten nach dem Gipfel in Moskau zufrieden gewesen sein. So bekam Traoré infolge des Gipfels eine Absichtserklärung der russischen Atomenergiebehörde Rosatom für den Bau eines Atomkraftwerks in Burkina Faso. Solche Erklärungen versuchen die Regierenden auf beiden Seiten für sich zu nutzen: Putin, um zu zeigen, dass er ein besserer Partner ist als Europa, Traoré, um zu signalisieren, dass er seinem Land gute Deals sichert, die das Leben der Menschen verbessern können.

Russland investiert viel in sogenannte Soft Power, denn es ist eine billige Methode, um politischen und ökonomischen Einfluss zu gewinnen. Um ihr Standing in anderen Ländern zu erhöhen, eröffnen viele Staaten Kulturinstitute, erwerben Sendelizenzen oder organisieren Austauschprogramme für Schulen und Universitäten. Das soll sich dann später unter anderem in Wirtschaftsdeals übersetzen. Nehmen die Animositäten zwischen Staaten zu, können solche Initiativen relativ schnell beendet werden. So entzogen Deutschland und weitere europäische Länder Sendern wie Russia Today (RT) die Sendelizenzen. Die russische Nachrichtenagentur expandierte daraufhin nach Afrika, wo sie die Talking-Points des Kremls auf den gleichen Frequenzen wie die Deutsche Welle, Al Jazeera oder Voice of America über den Äther schicken.

Auch in der »Politik von unten« versucht Russland mitzumischen. So werden Forderungen aus unterschiedlichen Bewegungen in Westafrika gekapert und als Linie des Kremls ausgegeben.

Auch in der »Politik von unten« versucht Russland mitzumischen. So werden Forderungen aus unterschiedlichen Bewegungen in Westafrika gekapert und als Linie des Kremls ausgegeben. Zentral dabei ist die Gegnerschaft zum Neokolonialismus. Damit füllt der russische Staat eine Lücke, die westliche NGOs offenlassen, weil nur die wenigsten die neokolonialen Verhältnisse in afrikanischen Ländern thematisieren – nicht zuletzt, weil sie von staatlicher Finanzierung abhängen. In der Rhetorik präsentiert sich Russland dabei als Partner ohne koloniale Geschichte auf dem Kontinent, eine Strategie, die auch China oder die Türkei für sich nutzen. Wenn also Bilder von Menschen auf der Straße mit russischen Flaggen weltweit über die Fernsehbildschirme flimmern, ist das ein Soft-Power-Gewinn für den Kreml.

Soft Power wird aber auch dann ausgeübt, wenn in der UN-Generalversammlung wieder Resolutionen verabschiedet werden. Medienwirksam wird anhand des Abstimmungsverhaltens analysiert, welche Groß- und Mittelmächte welche Verbündeten an ihrer Seite haben.

Worauf es auf lange Sicht jedoch ankommt, ist, welchen materiellen Einfluss Staaten wie Russland oder China oder auch die EU ausüben, ob sie das Leben der Menschen verbessern oder deren Bedürfnisse befriedigen können. Und da sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache: Noch auf dem ersten Russland-Afrika-Gipfel in Sotschi 2019 hatte Putin großspurig verkündet, Russland würde seinen Handel mit dem Kontinent von 20 auf 40 Milliarden US-Dollar verdoppeln. Das ist zwar nichts im Vergleich zum Handelsvolumen Afrikas mit Europa (295 Milliarden) oder China (254 Milliarden US-Dollar) – wäre aber von vielen willkommen geheißen worden. Vier Jahre später ist das Handelsvolumen zwischen Russland und Afrika auf 14 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Und wie schon mit Europa oder China herrscht zwischen beiden ein ungleicher Tausch: Während die afrikanischen Länder landwirtschaftliche Produkte exportieren, erhalten sie von Russland Getreide, Waffen und Rohstoffe.

Infolge des Krieges in der Ukraine hat die wirtschaftliche Stärke Russlands abgenommen. Jetzt muss das Land selbst Waffen importieren, und auch die Getreidelieferungen sind ins Schwanken geraten. Das erweckt bei Russlands Partnern nicht gerade Vertrauen. In den deutschen Medien wird ein anderes Bild gezeichnet: Russland weite seinen Einfluss aus, vor allem über die berüchtigte Gruppe Wagner.

Brutalität als Dienstleistung

Über das Engagement der Gruppe Wagner in afrikanischen Ländern ist seit der Schlacht um das ukrainische Bachmut viel geschrieben worden. Es gibt einen Mythos, der die Stärke der Söldnertruppe überschätzt, vielleicht auch, um die Gefahr Russlands zu verdeutlichen, oder einfach aus Gründen des Clickbaitings. Verlässliche Zahlen zur Wagner-Präsenz auf dem Kontinent gibt es nur wenig. Sicher ist jedoch: In jenen Ländern, in denen sie eine dauerhafte Präsenz aufbauen konnten, hinterließen sie eine Spur der Verwüstung.

Angefangen hatten die Operationen der Militärfirma im Donbass, später operierten die Söldner in Syrien, Sudan, der Zentralafrikanischen Republik und Mali. Das lange Zeit vom Milliardär Jewgeni Prigoschin geführte Mehrzweck-Unternehmen Wagner konzentriert sich zwar auf Söldnertätigkeiten, hat über ein unübersichtliches internationales Geflecht aber auch Firmen aus anderen Sektoren wie Bergbau oder Medien in seinem Besitz. Für die russische Machtelite hingegen dient Wagner als Instrument ihrer geopolitischen Interessen.

Die Art und Weise, wie Wagner es in der Zentralafrikanischen Republik schaffte, Fuß zu fassen, gilt vielen in Afrika heute als Warnung. Denn nachdem sich Frankreich aufgrund des mangelnden geopolitischen Interesses zurückgezogen hatte, bot Russland der in Gefahr geratenen Regierung 2018 seine Hilfe an. Wagner sollte die bewaffnete Opposition im Land bekämpfen. Im Gegenzug, heißt es, soll das multinational agierende Unternehmen Bergbaukonzessionen erhalten haben, um Diamanten und Gold abbauen zu können. Ob es diese Konzessionen wirklich bekommen hat, ist ungeklärt.

Als sicher gilt hingegen, dass die Söldner nicht davor zurückgeschreckt haben, Minenarbeiter*innen, die vor Ort waren, zu drohen, sie zu ermorden und zu vertreiben. Auch sollen Wagner oder verbündete Kräfte Hunderte Zivilist*innen getötet haben. Ähnliche Berichte gibt es auch aus Mali. Dort unterstützt Wagner das malische Militär bei seinen Operationen gegen militante islamistische Gruppen, die dem Islamischen Staat (IS) oder Al-Qaida nahe stehen. Auch hier soll die Gruppe auf äußerst brutale Mittel wie Folter und Massenerschießungen zurückgegriffen und ebenfalls Hunderte Zivilist*innen getötet haben. Angesichts solcher Meldungen dementieren viele Staaten die Präsenz der Gruppe Wagner. Obwohl Söldnertruppen oft eingesetzt werden, um politische Verantwortlichkeiten zu vermeiden, unterscheiden Zivilist*innen nicht zwischen Wagner und Russland.

»Wir sollten das Ganze nicht zu sehr intellektualisieren. Die Menschen haben gesehen, dass die vorherige Regierung die Situation nicht stabilisieren konnte«, sagt die Community-Leaderin Kessy Ekomo-Soignet bei einem Online-Seminar zum Thema Wagner. »Deshalb denken viele: Lasst es uns einfach mit Russland probieren«. In westlichen Medien wird jedoch oftmals suggeriert, Russland manipuliere die Menschen, beispielsweise über das Verbreiten von Fake-News. Das habe dann zur Beendigung der Militärpartnerschaften mit Frankreich geführt.

Diese Sichtweise unterschätzt, was für einen schlechten Ruf die ehemaligen Kolonialmächte, allen voran Frankreich, in Westafrika ohnehin schon hatten. Außerdem spielt ein solches Framing Gruppen wie Wagner in die Hände, weil es sie mächtiger wirken lässt, als sie letztlich sind. Wagner ist nicht die einzige Söldnergruppe, die auf dem Kontinent aktiv ist. Und dass wirtschaftliche Interessen, Zugang zu Land und Ressourcen auch mit massiver Gewalt durchgesetzt werden, ist kein Alleinstellungsmerkmal Wagners.

Mit dem Einsatz von Wagner schützt Putin vor allem die wenigen, Russland wohlgesonnenen Regierungen und nicht die Menschen. Mit dieser Strategie ist zuvor schon Frankreich gescheitert. Und wie Frankreich kann auch Russland im Kampf gegen islamistische Gruppen auf dem afrikanischen Kontinent keine nennenswerten Erfolge verbuchen. Im Gegenteil: Der Einsatz von Terror gegen die Zivilbevölkerung dürfte dem Ruf Russlands auf lange Sicht schaden.

Dementsprechend war der Superstar auf dem Russland-Afrika-Gipfel, Ibrahim Traoré, vorsichtig damit, Russland zu viel Einfluss zuzugestehen und Wagner in sein Land zu lassen. Er hat gesehen, was für ein Unheil die Gruppe in der Zentralafrikanischen Republik und in Mali angerichtet hat und war sich zweifelsohne bewusst, dass deren Einsatz auch seine eigene Position gefährden könnte. Denn wo Teile der Zivilgesellschaft die jetzige Regierung noch stützen, könnte sich das Blatt wenden.

In einer sich verändernden Weltlage haben sich die Handlungskorridore für viele Großmächte eher verengt und die Rivalitäten haben zugenommen. Das führt zu mehr Konflikten. Gerade scheint es so, als ob auch für Russland die Einflussmöglichkeiten auf dem Kontinent eher schwinden als zunehmen.

Das hat auch mit der aktiven Zivilgesellschaft in vielen Ländern zu tun. Wenn Bewegungen Themen wie Neokolonialismus, massenhafte Enteignungen durch multinationale Konzerne, Extraktivismus oder Menschenrechtsverletzungen immer häufiger aufgreifen und politisieren, ist auch die russische Präsenz irgendwann infrage gestellt – gerade, wenn das Land nicht liefert, was es verspricht. Die Unterstützung, die das Land gerade erfährt, hat ihre Grenzen. Je länger die vielen Versprechen aus Moskau nicht umgesetzt werden, desto mehr reißt in den Ländern in Afrika auch der Geduldsfaden. Letztendlich gilt für die russisch-afrikanischen Beziehungen das Gleiche wie für andere Großmächte, die Militär schickten: Wer auch immer allein die eigenen, geopolitischen Interessen mit militärischer Gewalt und Ausbeutung durchsetzen will, wird nicht weit kommen.