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Trümmerwüste ohne Zukunft?

Der Gaza-Krieg muss durch eine politische Lösung enden, damit die Region eine Perspektive hat

Von Riad Othman

Im Hintergrund eine Trümmerlandschaft, davor Personengruppen
Die humanitäre Katastrophe führt nur zu weiteren Kriegen. Gaza im Frühjahr 2024. Foto: Mohammed Zaanoun/Activestills via medico international

Die bisherige Art der Kriegsführung und das fehlende Einlenken der israelischen Regierung, ihren Feldzug zu beenden, lässt wenig Zweifel daran, dass das Töten in Gaza und die flächendeckende Zerstörung des Gebiets weitergehen soll. Während die noch härter als Benjamin Netanjahu gesottenen Falken in der Regierungskoalition am liebsten eine großangelegte Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus der Enklave sähen, scheint der Premierminister mit einer Verlängerung des Krieges sein politisches Überleben vorläufig sichern zu wollen – auf Kosten der eingeschlossenen Zivilbevölkerung von Gaza. Unterdessen scheint auch die Führung der Hamas nicht bereit, beispielsweise durch einen verhandelten Abzug aus dem Süden Gazas, dem israelischen Vorgehen die Begründung zu entziehen.

Der Preis für die Lehre, dass es Frieden, Freiheit, Würde und Sicherheit dauerhaft nur für alle geben kann oder aber für niemanden, ist hoch.

Der Angriff am 7. Oktober hat gezeigt, dass Israel seine Beziehungen mit arabischen Staaten in der Region nicht an den Palästinenser*innen vorbei normalisieren kann. Ohne eine politische Regelung dieses seit Jahrzehnten andauernden Konflikts wird es keine dauerhafte Sicherheit geben, auch nicht für Israel mit seiner hochgerüsteten Armee. Der Preis für die Lehre, dass es Frieden, Freiheit, Würde und Sicherheit dauerhaft nur für alle geben kann oder aber für niemanden, ist hoch. Vor allem ist es derzeit ungewiss, ob die jüngsten Entwicklungen einen Wendepunkt ermöglichen werden – hin zu einer, nur mit internationaler Unterstützung erreichbaren, palästinensischen Eigenstaatlichkeit –, oder ob sie die palästinensische Sache endgültig in den Abgrund führen.

Die derzeitige Kriegsführung und die Beschaffung von 40.000 Zwölf-Personen-Zelten durch die israelische Regierung deutet klar auf die Vorbereitung der vor allem für die palästinensische Bevölkerung erwartbar verlustreichen Offensive gegen Rafah hin. Die 421 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen bzw. vorsätzliche Behinderung von Rettungskräften und Übergriffe gegen Gesundheitspersonal, die die israelischen Streitkräfte zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 2. April 2024 verübt haben, zeugen von der routinemäßigen Missachtung internationalen Rechts. Die Verletzung der Genfer Konventionen, indem geschützte Einrichtungen und deren Personal attackiert werden, lassen sich auch nicht mit den Umständen des Krieges erklären oder gar rechtfertigen. Die genannten 421 Angriffe ereigneten sich nämlich alle im Westjordanland, dem anderen Teil des palästinensischen Autonomiegebietes. Im gleichen Zeitraum waren es in Gaza 435 solcher Angriffe, die im Vergleich sehr viel tödlicher ausfielen als im Westjordanland. Eine Fortsetzung des Krieges oder seine erneute Ausweitung in Form einer Bodenoffensive gegen Rafah bedeutet weitere Kriegsverbrechen, weitere Tote sowie weitere für den Rest ihres Lebens gezeichnete und beschädigte Menschen in einer Bevölkerung, die zur Hälfte aus Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren besteht.

Wenn es der deutschen Regierung ernst ist mit ihren Warnungen vor genau einem solchen Szenario, sollte sie den mahnenden Worten auch Taten folgen lassen. Annalena Baerbock sprach von einer »humanitären Katastrophe mit Ansage« und nannte israelische Rechtfertigungsversuche für die Vorenthaltung von Hilfe für die Bevölkerung in Gaza »Ausreden«. Die Erhöhung der Zahl von Hilfstransporten, auch in den Norden Gazas, zeigt, dass Druck – in dem Fall aus den USA – durchaus etwas bewirken kann. Dafür braucht es aber den politischen Willen, Forderungen durchzusetzen. Dies hätte seit Monaten geschehen können. Dieser Wille hat mit Blick auf die dringend notwendige Konfliktregelung mindestens in den letzten zehn Jahren gefehlt. Genauso wie der Wille auch jetzt zu fehlen scheint, wenn es darum geht, ein Ende des Blutvergießens in Gaza durchzusetzen. Es bleibt zu hoffen, dass die internationale Gemeinschaft nun versteht und mit ihr die Regierungen in Washington, Berlin, London, Kairo und so vielen anderen Hauptstädten: Es kann keine Rückkehr zum vorigen Zustand geben, sondern sie müssen ihre Verantwortung wahrnehmen, damit dieses Grauen ein Ende hat und sich nicht wiederholt.

Riad Othman

arbeitet seit 2016 als Nahostreferent für medico international. Davor war er medico-Büroleiter für Israel und Palästina.