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|ak 683 | Wirtschaft & Soziales

100 versus 2 Milliarden Euro

Die Teuerungen werden zum sozialen Problem – trotz Maßnahmen der Regierung

Von Guido Speckmann

Zum an den Kopf fassen: Die Lebensmittelpreise sind schon wieder gestiegen. Foto: Viki Mohamad/Unsplash

Es sind nur zwei Zahlen, die man gegenüberstellen muss, um die Prioritäten der Ampelregierung auf den Punkt zu bringen: 100 und zwei Milliarden. Für 100 Milliarden Euro wird aufgerüstet, zwei von über 23 Milliarden aus den Entlastungspaketen fließen gezielt an jene, die am meisten unter den steigenden Preisen zu leiden haben: Menschen mit wenig oder keinem Einkommen. Vom Rest profitieren auch Gutverdiener*innen und Mineralölkonzerne, siehe der sogenannte Tankrabatt. 

Zwar hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die Einführung eines Klimageldes vorgeschlagen und will die Hartz-IV-Regelsätze im Zuge der Umbenennung in Bürgergeld um 40 bis 50 Euro erhöhen. Ihm scheint bewusst zu sein, dass die Inflation nicht so schnell wieder Geschichte ist und sich die soziale Lage trotz der ergriffenen Maßnahmen weiter zuspitzen könnte. 

Bezeichnend, dass die Sozialpartnerschaft von Unternehmen und Lohnabhängigen immer dann ernst genommen wird, wenn es darum geht, Krisenkosten gemeinsam zu tragen

Aber fraglich ist, ob diese Maßnahmen, die immerhin in die richtige Richtung weisen, umgesetzt werden. Der Koalitionspartner FDP mag das gar nicht – eine Umverteilungspolitik zugunsten der unteren Schichten. Und klar ist: Das würde nicht ausreichen, die soziale Not zu lindern, die dank der Agenda 2010 längst auch die untere Mittelschicht betrifft und durch die Teuerungsraten infolge von Pandemie und Ukraine-Krieg verschärft wird. 

Kanzler Scholz hat derweil eine Neuauflage der »konzertierten Aktion« ins Spiel gebracht. Bezeichnend, dass die Sozialpartnerschaft von Unternehmen und Lohnabhängigen immer dann ernst genommen wird, wenn es darum geht, Krisenkosten gemeinsam zu tragen, anstatt auch mal die Gewinne zu verteilen. 

Das im Sinn scheint immerhin die IG Metall zu haben, die eine Unterschriftenaktion zur Einführung einer Übergewinnsteuer initiiert hat. Motto: »Krisengewinne abschöpfen – Kosten deckeln«. Für diese Steuer erwärmen sich immer mehr Politiker*innen und sogar Bundesländer. In Staaten wie Italien, Spanien, Großbritannien oder Ungarn ist sie bereits eingeführt. Das Ziel: Gewinne besteuern, die Konzerne durch außergewöhnliche und nicht beeinflussbare Umstände erzielen. So schöpften Großbritannien, die USA und Frankreich im Ersten und Zweiten Weltkrieg die Gewinne von Unternehmen mit Steuersätzen von bis zu 95 Prozent ab. 

Die aktuellen Sätze sind viel niedriger. In Italien liegt er bei 25 Prozent; gleichwohl wird mit Einnahmen in Höhe von elf Milliarden Euro gerechnet. Eine beachtliche Summe – und vor allem ein Bruch mit der neoliberalen Umverteilungspolitik von unten nach oben, wenn dieses Geld beispielsweise für die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze verwendet würde.

Aber mit Blick auf Frankreich sollte auch ein anderer Ansatz nicht außer Acht gelassen werden. Dort wurden die Energiepreise schon im Herbst gedeckelt. Im Nachbarland leicht umzusetzen, weil der Staat den Stromkonzern EDF dominiert. Ergebnis: Die französische Inflationsrate stieg zwar auch, ist aber die drittgeringste in der EU. Staatseingriffe und Umverteilungspolitik – das wären doch Steilvorlagen für die Linke, die Bewegungslinke inbegriffen.

Guido Speckmann

ist Redakteur bei ak.